Klimakrise und UN-Kinderrechtskonvention: Die Kinder vs. die Welt

Gastbeitrag von Nico Kuhlmann

25.09.2019

Greta Thunberg und weitere Kinder, darunter eine 15-jährige Schülerin aus Hamburg, haben beim UN-Kinderrechtsausschuss eine Individualbeschwerde eingereicht, weil die Staaten nicht genug gegen die Klimakrise tun.

Vor etwas über einem Jahr saß die damals unbekannte Schülerin Greta Thunberg erstmals an einem Freitag allein vor dem Parlament in Stockholm und hat aufgrund der Klimakrise gestreikt. 13 Monate später sollen am vergangenen Freitag weltweit über vier Millionen Menschen in 163 Ländern inspiriert durch die 16-jährige Schwedin auf die Straße gegangen sein. Allein in Deutschland waren es 1,4 Millionen in unzähligen Städten im gesamten Bundesgebiet.

Aber Greta Thunberg mobilisiert nicht nur eine weltweite Bewegung für mehr Klimaschutz und hält anklagende Reden vor den mächtigsten und einflussreichsten Menschen der Welt. Greta Thunberg greift jetzt auch zum Völkerrecht, um weiteren Druck auf die Staaten aufzubauen, endlich entschieden zu handeln.

Am Montag, den 23. September 2019, haben 16 Kinder aus der ganzen Welt beim UN-Kinderrechtsausschuss eine Individualbeschwerde eingereicht. Die rechtliche Grundlage ist das dritte Zusatzprotokoll der UN-Kinderrechtskonventions zum Individualbeschwerdeverfahren.

Diese Beschwerde ist aber keine Klage. Am Ende des Beschwerdeverfahrens steht keine rechtsverbindliche Entscheidung oder Verurteilung, sondern nur eine Empfehlung des UN-Kinderrechtsausschusses. Aber eine solche Empfehlung zu Gunsten der jungen Beschwerdeführer vor den Augen der Welt kann durchaus ein Druckmittel sein, dass die Staaten dazu veranlasst, die bestehenden völkerrechtlichen Verpflichtungen ernst zu nehmen.

Kinder haben Rechte: Die UN-Kinderrechtskonvention

In Deutschland wird über das Thema Kinderrechte seit Jahren geredet - ins Grundgesetz geschafft haben diese es aber noch nicht. Auf völkerrechtlicher Ebene wurde demgegenüber bereits 1989 die UN-Kinderrechtskonvention durch die Generalversammlung verabschiedet. Dieser völkerrechtliche Vertrag trat anschließend am 2. September 1990, dreißig Tage nach der 20. Ratifizierung durch einen Mitgliedstaat, in Kraft und legt seitdem Standards zum Schutz von Kindern fest.

Die UN-Kinderrechtskonvention wird konkret durch vier Grundprinzipien geprägt: Das erste ist das Diskriminierungsverbot. Kinderrechte gelten ausnahmslos für alle Kinder. Das zweite Grundprinzip ist das Recht auf Leben und persönliche Entwicklung. Das dritte, das Kindeswohlprinzip, verpflichtet staatliche Stellen, bei ihrem Tun die Interessen von Kindern als einen vorrangigen Gesichtspunkt zu berücksichtigen. Das vierte Prinzip ist das Recht auf Beteiligung: Kinder müssen bei staatlichen Entscheidungen, die sie betreffen, beteiligt werden. Die Meinung der Kinder ist zu beachten.

Der UN-Kinderrechtskonvention sind mehr Staaten beigetreten als allen anderen UN-Konventionen. Im Ergebnis sind es sämtliche UN-Mitgliedsstaaten - mit der Ausnahme der USA. Zuletzt haben sogar Somalia und Südsudan im Oktober 2015 diesen völkerrechtlichen Vertrag ratifiziert.

Die UN-Kinderrechtskonvention wird durch drei Zusatzprotokolle ergänzt. Das dritte Zusatzprotokoll, welches im Jahr 2014 in Kraft trat, hat schließlich ein entsprechendes Individualbeschwerdeverfahren vor dem Ausschuss für die Rechte des Kindes eingeführt. Beschwerdefähig sind Einzelpersonen oder Personengruppen. Beschwerdegegenstand ist eine Verletzung eines Rechts aus dem UN-Kinderrechtskonvention und seiner Protokolle.

Eine solche Individualbeschwerde wurde nun am Montag unter anderem gegen Deutschland eingereicht.

Individualbeschwerde gegen die größten Emittenten von Treibhausgasen

Die Beschwerdeführer sind 16 Kinder und Jugendliche aus der ganzen Welt. Die jüngste Beschwerdeführerin, ein Mädchen aus Schweden, welches zum indigenen Volk der Samen gehört, ist erst acht Jahre alt.

Die Beschwerdegegner sind Argentinien, Brasilien, Frankreich, die Türkei und eben Deutschland. Die Beschwerde richtet sich gegen diese Länder, da diese einerseits zu den wenigen Ländern gehören, die sich auch der Individualbeschwerde unterworfen haben, und andererseits mit zu den weltweit größten historischen und aktuellen Emittenten von Treibhausgasen gehören.

"Der Klimawandel macht mich wirklich traurig und es macht mir Angst", sagte die Hamburger Beschwerdeführerin Raina Ivanova am Montag in New York. "Die Erwachsenen mussten sich nicht mit all diesen Problemen und Fragen auseinandersetzen, mit denen wir jetzt konfrontiert sind. Sie mussten sich in ihrer Kindheit keine Gedanken um die Folgen des Klimawandels machen."

In der Beschwerde (Schriftsatz; Anlagen) heißt es unter anderem, dass die Klimakrise die Rechte der Kinder verletzt. Die Beschwerdeführer berufen sich zusammen unter anderem auf das Recht auf Leben aus Art. 6 und das Recht auf Gesundheit aus Art. 24 der UN-Kinderrechtskonvention.

Die Beschwerde zielt auf zwei Aspekte ab. Erstens soll der UN-Kinderrechtsausschuss feststellen, dass die Klimakrise auch eine Krise der Rechte der Kinder ist und dass die genannten Länder, also auch Deutschland, für die Klimakrise verantwortlich sind und dadurch die Rechte der Kinder fortlaufend verletzten. Zudem soll der UN-Kinderrechtsausschuss darauf aufbauend empfehlen, dass die genannten Länder die nationalen Gesetze am Maßstab der wissenschaftlichen Erkenntnisse neu ausrichten sollen, um der Klimakrise entgegenzuwirken.

Prozessuales Problem: Subsidiarität

Der UN-Kinderrechtsausschuss besteht aus 18 unabhängigen Experten für Kinderrechte. Diese Experten können nun im Rahmen des Beschwerdeverfahrens von den Beschwerdegegnern Stellungnahmen anfordern und anschließend Empfehlungen aussprechen. Vorher muss die Beschwerde aber noch für zulässig erklärt werden - und da gibt es noch ein Problem.

Im Rahmen des Beschwerdeverfahrens muss noch eine prozessuale Hürde genommen werden. Nach Art. 7 des Zusatzprotokolls ist eine Beschwerde unzulässig, wenn vorher nicht alle zur Verfügung stehenden innerstaatlichen Rechtsbehelfe erschöpft worden sind. Diese Regelung entspricht ungefähr dem aus dem deutschen Verfassungsrecht bekannten Subsidiaritätsprinzip.

Das Zusatzprotokoll lässt allerdings eine Ausnahme von dieser Regelung zu. Der Vorrang der innerstaatlichen Rechtsbehelfe gilt nicht, wenn das Verfahren bei Anwendung solcher Rechtsbehelfe unangemessen lange dauert oder keine wirksame Abhilfe erwarten lässt.

Genau auf diese Ausnahme berufen sich die Kinder. Die Durchführung von innerstattlichen Rechtsbehelfen sei erstens unangemessen aufwendig und teuer, so dass dies für die Beschwerdeführer unmöglich sei. Zweitens seien nationale Gerichte auch regelmäßig nicht in der Lage, einen entsprechenden Rechtsschutz zu gewähren, da der Beschwerdegegenstand völkerrechtliche Aspekte umfasse und darum innerstaatlich nicht justiziabel sei.

Und schließlich sei einfach keine Zeit mehr übrig. Die innerstaatlichen Rechtsbehelfe seien schlicht zu langsam, um noch erfolgsversprechend zu sein. Die Folgen der Klimakrise seien schneller als die Verfahren nach den Prozessordnungen der Mitgliedstaaten.

Der Autor Nico Kuhlmann (@NicoKuhlmann) ist Anwalt in Hamburg.

Zitiervorschlag

Klimakrise und UN-Kinderrechtskonvention: Die Kinder vs. die Welt . In: Legal Tribune Online, 25.09.2019 , https://www.lto.de/persistent/a_id/37831/ (abgerufen am: 19.04.2024 )

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