Urteilsgründe Birte Meier gegen das ZDF: BAG rettet ein Gesetz

Gastbeitrag von Dr. Alexander Willemsen

26.11.2020

Die ZDF-Redakteurin Birte Meier erstritt vor dem BAG, dass auch arbeitnehmerähnliche Beschäftigte unter das EntgTranspG fallen. Die Urteilsgründe zeigen: Die Argumentation bleibt nicht ohne Widersprüche, so Alexander Willemsen.

Die ZDF-Redakteurin Birte Meier hat mit ihrer Klage auf Entgelttransparenz ein überraschendes Urteil erstritten: Obwohl der Wortlaut etwas anderes sagt, entschied das Bundesarbeitsgericht (BAG), dass auch arbeitnehmerähnliche Personen in den Anwendungsbereich dieses Gesetzes fallen – obwohl der Wortlaut an der entscheidenden Stelle ausschließlich auf "Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer" Bezug nimmt (Urt. v. 25.06.2020, Az. 8 AZR 145/19). Jetzt liegen die Urteilsgründe vor und offenbaren eine gründliche, aber nicht ganz widerspruchsfreie Auseinandersetzung mit der Materie.

Das Mitte 2017 in Kraft getretene Entgelttransparenzgesetz (EntgTranspG) erfasst Betriebe mit regelmäßig mehr als 200 Beschäftigten und bringt Mitarbeitern einen Anspruch auf Überprüfung der Einhaltung des Entgeltgleichheitsgebots (vgl. § 10 EntgTranspG). Dazu müssen die Beschäftigten eine Vergleichstätigkeit benennen. Der Arbeitgeber ist verpflichtet, Auskunft über die durchschnittliche monatliche Vergütung zu erteilen, sofern nicht die Vergleichstätigkeit von weniger als sechs Beschäftigten des jeweils anderen Geschlechts ausgeübt wird. Beschäftigte im Sinne des EntgTranspG sind nach dem Wortlaut u. a. "Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer" (vgl. § 5 Abs. 2 Nr. 1 EntgTranspG).

Was ist bloß ein "Arbeitnehmer"?

Das EntgTranspG hat seine Wurzeln jedoch im europäischen Recht und soll die europäische Richtlinie 2006/54/EG umsetzen. Damit ist nach der Entscheidung des BAG auch der Begriff des Arbeitnehmers im EntgTranspG nach dem weiteren europarechtlichem – und nicht nationalem – Verständnis auszulegen. Von dieser Grundannahme ist das Urteil zugunsten von Birte Meier getragen. 

Allerdings ist insbesondere das Arbeitsrecht nicht immer in der Lage, Gleiches gleich und Ungleiches ungleich zu bezeichnen – und das erschwert die Rechtsanwendung. Beispielsweise wird bereits in arbeitsrechtlichen Grundlagenkursen vermittelt, dass mit dem Begriff "Betrieb" im Kündigungsschutzgesetz etwas Anderes gemeint ist als im Betriebsverfassungsgesetz – oder mit "Betrieb" im Sinne des § 613a Bürgerliches Gesetzbuch (BGB). So verhält es sich auch mit dem Begriff des "Arbeitnehmers": Je nach Gesetzeskontext ist hierunter etwas Anderes zu verstehen.

Nach § 611a BGB wird der Arbeitnehmer durch den Arbeitsvertrag im Dienste eines anderen zur Leistung weisungsgebundener, fremdbestimmter Arbeit in persönlicher Abhängigkeit verpflichtet. Die Weisungsgebundenheit und persönliche Abhängigkeit stehen im Zentrum des Arbeitnehmerbegriffes nationalrechtlicher Ausprägung. 

Der europarechtliche Arbeitnehmerbegriff ist hingegen weiter zu bestimmen: "Arbeitnehmer" im Sinne der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) ist beispielsweise auch ein Fremdgeschäftsführer (EuGH, Urt. v. 11.11.2010, Az. C-232/09 – Danosa). Anders als nach dem nationalen Verständnis ist die Entwicklung des europarechtlichen Arbeitnehmerbegriffs von der Arbeitnehmerfreizügigkeit (Art. 45 AEUV) geprägt und daher weiter gefasst.

Wie weit darf die Auslegung des BAG gehen?

Schon bei der Urteilsverkündung im Sommer wurden Stimmen laut, dass das BAG mit seiner Auslegung jedoch die Grenzen des Wortlauts von § 5 Abs. 2 Nr. 1 EntgTranspG überschritten habe. Das BAG begründet seine Auslegung im Urteil ausführlich damit, dass die Pflicht zur Umsetzung europarechtlichen Vorgaben allen Trägern öffentlicher Gewalt in den Mitgliedstaaten und damit auch den Gerichten obliegt. Hier sah sich das BAG zum Handeln gezwungen: Würde man den Arbeitnehmerbegriff des EntgTranspG nach nationalem Verständnis auslegen, so das BAG, hätte der deutsche Gesetzgeber die europarechtlichen Vorgaben zur Entgeltgleichheit zwischen den Geschlechtern nur unzureichend umgesetzt.

Diese Begründung ist zwar auf den ersten Blick schlüssig, aber sie wirft die Frage auf, ob eine angreifbare Wortlautauslegung durch das BAG wirklich gerechtfertigt ist, nur um europarechtliche Sanktionen und eine "Nachbesserung" durch den Gesetzgeber zu vermeiden. Das BAG weist zurecht darauf hin, dass die Mitgliedstaaten der Europäischen Union verpflichtet sind, die Bestimmungen der EU-Richtlinien in hinreichend verbindlicher, bestimmter und so genauer, klarer und eindeutiger Weise umzusetzen, dass dem Erfordernis der Rechtssicherheit in vollem Umfang genügt wird. Ein Rechtsanspruch, der durch europäische Vorgaben in nationales Recht umgesetzt wird, müsse für die jeweils Begünstigten ohne weiteres deutlich erkennbar sein. 

Aber ist das wirklich der Fall, wenn das EntgTranspG eindeutig nur auf "Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer" Bezug nimmt, gedanklich aber "freie Mitarbeiter", "arbeitnehmerähnliche Personen" oder "Fremdgeschäftsführer" ergänzt werden müssten? Hier bleibt die Urteilsbegründung des BAG nicht ganz widerspruchsfrei.

Einbeziehung ist nicht auszuschließen

Auch an anderer Stelle überzeugt die Argumentation des BAG nicht ganz: Einige Stimmen wiesen schon kurz nach der Urteilsverkündung darauf hin, dass der Referentenentwurf des EntgTranspG noch ausdrücklich eine Einbeziehung arbeitnehmerähnlicher Personen enthalten habe, die Endfassung des Gesetzes jedoch nicht – wohl ein deutliches Indiz dafür, dass der Gesetzgeber bewusst nur Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer im engeren Sinn erfassen wollte. 

Das BAG geht darauf nicht ein, sondern stellt lediglich auf der Grundlage der Gesetzesbegründung fest, dass nicht mit der erforderlichen Sicherheit ausgeschlossen werden könne, dass der Gesetzgeber das EntgTranspG nicht doch auf arbeitnehmerähnliche Personen habe erstrecken wollen. In anderen Entscheidungen zog das BAG noch ausdrücklich Schlüsse daraus, wenn bestimmte Begriffe im Rahmen der Entstehungsgeschichte einer Regelung ergänzt oder ausgetauscht wurden (so z. B. Urt. v. 24.02.2010, Az. 10 AZR 1035/08).

Im Ergebnis richtig

Die Urteilsbegründung macht deutlich, dass arbeitnehmerähnliche Personen über den Einzelfall hinaus von den Ansprüchen nach dem EntgTranspG profitieren sollen. Dieses Ergebnis ist richtig und entspricht dem Willen des europäischen Gesetzgebers. Die praktischen Auswirkungen dürften sich indes in Grenzen halten: Nicht viele Unternehmen beschäftigten derart viele freie Mitarbeiter, dass der Anspruchsteller Auskunft über das Vergleichsentgelt von mindestens sechs freien Mitarbeitern des anderen Geschlechts verlangen kann – von Fremdgeschäftsführern ganz zu schweigen. 

Bedenklich für den Normanwender erscheint jedoch die Entwicklung hin zur "Begriffspluralität" im Arbeitsrecht. Wenn dieselben Begriffe je nach Gesetzeskontext unterschiedliche Bedeutung haben, leidet die Transparenz. Dass das BAG Defizite des nationalen Gesetzgebers mit einer "europarechtskonformen" Auslegung zu kitten versucht, kann also nur kurzfristig Linderung verschaffen. Langfristig wird diese Entwicklung dazu führen, dass die jeweils Begünstigten ihre Anspruchsgrundlagen gerade nicht mehr deutlich erkennen können und die Rechtsanwendung zunehmend erschwert wird. 

Der Autor Dr. Alexander Willemsen ist Rechtsanwalt und Fachanwalt für Arbeitsrecht. Er ist Partner bei der Kanzlei Oppenhoff & Partner in Köln.

Beteiligte Kanzleien

Zitiervorschlag

Urteilsgründe Birte Meier gegen das ZDF: BAG rettet ein Gesetz . In: Legal Tribune Online, 26.11.2020 , https://www.lto.de/persistent/a_id/43530/ (abgerufen am: 19.04.2024 )

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