Interview Stephan Breidenbach von GermanZero: Wie man Kli­ma­schutz in Geset­zes­form bringt

Interview von Annelie Kaufmann

03.03.2023

Rund 500 überarbeitete Normen, 30 Entwürfe für Gesetze und Vorschriften: Die NGO GermanZero hat ein 1,5-Grad-Gesetzespaket geschrieben. Juraprofessor und Projektleiter Stephan Breidenbach erklärt, wie man Klimaschutz in Gesetzesform bringt.

LTO: Herr Professor Breidenbach, GermanZero hat ein Gesetzespaket vorformuliert, mit dem Deutschland seinen Beitrag dazu liefert, den globalen Temperaturanstieg durch Treibhauseffekt auf 1,5 Grad Celsius zu begrenzen.  Das Ergebnis sind mehr als 1500 Seiten mit zahlreichen Änderungsvorschlägen, dreißig Gesetzentwürfen und Begründungen. Sie haben dieses Projekt geleitet. Das schreibt man nicht einfach mal so hin – wie sind Sie vorgegangen?

Breidenbach: Es gibt weltweit ein unfassbar großes Wissen zum Klimawandel, tausende von Studien, die auf verschiedene Probleme eingehen. Und es gibt dazu auch schon Lösungsvorschläge und Handlungsempfehlungen. Also haben wir ein Research Team aufgestellt, um Studien auszuwerten. Es waren dann rund 150 Ehrenamtliche, von der Physikstudentin bis zum pensionierten Ingenieur, aber auch Juristinnen und Sozialwissenschaftler waren dabei. Angefangen haben wir damit 2020.

Also mitten in der Phase der Corona-Lockdowns?

Ja, aber wir konnten es so organisieren, dass viele Menschen deutschlandweit von zuhause aus zusammenarbeiten konnten. Wir haben dafür eine baumartige digitale Struktur angelegt, um die Policies und Lösungsvorschläge den unterschiedlichen Sektoren und Problembereichen zuzuordnen, die für CO2-Emmissionen relevant sind.

Wie muss man sich das konkret vorstellen? Was stand etwa am Ende eines digitalen Baumzweigs?

Im Verkehrssektor konnte man zum Beispiel unterscheiden zwischen Güterverkehr und Individualverkehr und bis ins kleinste Detail Vorschläge für CO2-Reduktionen zuordnen. Insgesamt konnten wir 5.500 Optionen für alle maßgeblichen Sektoren herausarbeiten.

Also 5.500 Vorschläge für CO2-Reduktionen – das ist ziemlich viel, aber auch ziemlich unübersichtlich?

Unsere Struktur hat zwei Vorteile. Wir konnten damit die Optionen mit Pro- und Contra-Argumenten versehen. Und wir haben immer mit einem systemischen Überblick über alle Sektoren und ihre Wechselwirkungen gearbeitet. Im normalen parlamentarischen Prozess reden Verkehrspolitiker und Energiepolitiker wenig miteinander – dort wird das Silodenken meist nicht aufgelöst.

Stephan Breidenbach. Foto: Viktor Strasser

Und wie sind aus dem digitalen "Baum" dann Gesetzesvorschläge geworden?

Aus den im Baum aufgefächerten Optionen haben wir Thesen entwickelt, das heißt wir haben uns für eine bestimmte Lösung entschieden und gegen viele andere und dabei, das war ganz wichtig, auch alle Argumente aus den Bäumen extrahiert, die dafür und dagegen gesprochen haben. Diese Thesen, wollten wir überprüfen. Also haben wir mehr als 30 Werkstätten mit rund 130 Stakeholdern und Expertinnen abgehalten und alle Thesen nochmal kritisch und konstruktiv hinterfragt. Parallel dazu gab es das ZeroLab, einen digitalen Bürgerbeteiligungsprozess, mit auch nochmal rund 1.000 Rückmeldungen. Das war insgesamt ein sehr kreativer Prozess. Wenn man mit Expertinnen und Experten spricht, hört man ja oft: Das funktioniert so nicht. Das ist auch ein guter Hinweis, aber wir haben dann immer die Frage gestellt: Was funktioniert denn stattdessen? Mitte 2021 konnten wir einen Maßnahmenkatalog mit ungefähr 250 Maßnahmen vorstellen.

Und dann kamen die Juristinnen und Juristen ins Spiel?

Unsere Juristen haben die ganze Zeit an den Gesetzesmaßnahmen mitgearbeitet. In der darauffolgenden Phase ging es darum, aus den Maßnahmen konkrete gesetzliche Bestimmungen zu formulieren. Auch das war größtenteils ehrenamtliche Arbeit, einige kamen über die Bucerius Law School, andere über Lawyers for Future. Ich habe viele Vorträge gehalten und dann haben oft Zuhörerinnen und Zuhörer gesagt, sie wollen mitmachen.

"Wenn das Ziel hundert Prozent erneuerbare Energien sind, muss man regeln, wie man da hinkommt"

Was macht denn überhaupt einen guten Gesetzentwurf aus?

Damit hatte ich mich vorher schon intensiv beschäftigt – ich habe unter anderem eine Schulung für das Bundesjustizministerium entwickelt, in der es um gute Gesetzgebung geht. Darauf konnten wir zurückgreifen. Das sind Regeln, die für alle Gesetze gelten sollten: Normen sollten möglichst klar und eindeutig formuliert werden, ein Paragraf hat höchstens drei Absätze, ein Absatz möglichst nur drei Sätze.

Und daran haben Sie sich gehalten?

Nein, das hat natürlich nicht immer funktioniert. Aber wir haben versucht, es so gut wie möglich umzusetzen. Und wenn es nötig war, haben wir Gesetze komplett neu formuliert und nicht nur Änderungen vorgeschlagen. Das ist dann eine Chance, ein Gesetz auch besser zu formulieren. Man sieht das sehr gut am Erneuerbare-Energien-Gesetz EEG: Das war mal ein ganz kurzes und klares Gesetz, das die Türen für die Entwicklung neuer Energien geöffnet hat. Aber inzwischen ist es maßlos überladen und unverständlich und außerdem geht es im Kern noch von einer Energieversorgung auf der Basis fossiler Energien aus. Wir müssen aber das Ziel anstreben, hundert Prozent erneuerbare Energien zu haben. Und dafür muss man regeln, wie man dort hinkommt. Wir haben also lange Diskussionen mit Strom- und Netzexperten geführt und ein komplett neues Energiegesetzbuch (EnGB) inkl. eines neuen Marktmodells entwickelt.

Dieses Gesetz könnte man genau so umsetzen?

Den Gesetzentwurf an sich könnte man so umsetzen. Allerdings müsste man dann noch hunderte weitere Vorschriften ändern, etwa technische Regeln und detaillierte Spezialvorschriften. Aber den großen Rahmen haben wir konzipiert und in der Form eines Gesetzesentwurfs aufgeschrieben, zusammen mit einer ausführlichen Begründung.

 

"Man kann nicht mehr einfach behaupten, es sei unmöglich Klimaschutz umfassend zu regeln"

Warum wollen Sie die Arbeit des Gesetzgebers machen?

Die Gesetzgebung ist ein parlamentarischer Prozess und daran wollen wir auch gar nichts ändern. Aber die Politik hat nicht geliefert, also haben wir als zivilgesellschaftliche Organisation gesagt: Wir zeigen, wie es geht. So ein Beteiligungsprozess kann auch für andere umstrittene gesellschaftliche Fragen eine gute Möglichkeit sein. Im Grunde ist das ein ADR-Prozess, also Alternative Dispute Resolution, wie man sie auch aus Wirtschaftsstreitigkeiten kennt. Man schafft einen Weg, um Lösungen für gesellschaftliche Herausforderungen und Konflikte zu finden. Das ist ein Modell für eine moderne Demokratie, eine Demokratie-Update, in der die Zivilgesellschaft ihre Kompetenzen einbringen kann. Es erzeugt einfach einen gewissen Handlungsdruck. Man kann dann im politischen Bereich nicht mehr einfach behaupten, es sei unmöglich, diese Fragen umfassend zu regeln.

Hat sich der Druck auf den Gesetzgeber nach dem Klimaschutz-Beschluss des BVerfG erhöht?

Wenn man das ernst nimmt, was das BVerfG sagt, dann muss jedem voraussehenden Marktteilnehmer klar sein, dass mit gesetzgeberischen Maßnahmen zu rechnen ist. Jedes Unternehmen, das noch mit fossilen Ressourcen arbeitet, sollte in seinen jährlichen Risikobericht reinschreiben, dass sein Geschäftsmodell in Gefahr ist. Das BVerfG hat klar gesagt, dass auch die Zukunft der nächsten Generationen durch das Grundgesetz geschützt ist. In meinen Augen ist die Entscheidung sensationell und die weitreichendste Klimaschutz-Entscheidung eines Gerichts weltweit. Es ist auf jeden Fall Aufgabe des Gesetzgebers, das jetzt umzusetzen und das heißt insbesondere: Er muss ernst nehmen, welches Restbudget noch zur Verfügung steht, um das 1,5-Grad-Ziel einzuhalten, das er sich ja selbst gesetzt hat.

Um jeden Preis?

Die Treibhausgase müssen runter – anders geht es einfach nicht. Aber zugleich muss Klimaschutz sozialverträglich sein und er muss finanzierbar sein. Das haben wir bei unseren Vorschlägen immer im Blick: Im Sektor Bauen und Wohnen müssen etwa die Vermieter beteiligt und Mieter entlastet werden. Oder man kann lokale Energiegemeinschaften von Abgaben befreien, so dass sie davon profitieren, wenn erneuerbare Energien eingesetzt werden.

Wenn man die Erderwärmung wirklich auf 1,5-Grad begrenzen will, dann muss man Klimaschutz allerdings weltweit ernsthaft angehen. Gibt es ähnliche Projekte in anderen Ländern?

Soweit ich weiß nicht, jedenfalls nicht einen so umfassenden Gesetzesvorschlag aus der Zivilgesellschaft. Derzeit sind wir dabei, unsere Optionen und Argumente zu überarbeiten und ins Englische zu übersetzen, dann können wir die weltweit zur Verfügung stellen. Zivilgesellschaftliche Organisationen in anderen Ländern können dann nachvollziehen, warum wir uns für oder gegen bestimmte Optionen entschieden haben – und ganz bewusst andere Entscheidungen treffen. Jedes Land braucht eine Lösung, die genau zu seiner Situation passt. Wir wissen aber jetzt, dass es in relativ kurzer Zeit möglich ist, eine konkrete Lösung zu finden.

Mehr zum 1,5-Grad-Gesetz sowie zu Klima und Gesetze gibt es zum Hören in der ersten Folge des LTO-Minipodcasts Klimaparagrafen. Unter anderem: Welche aktuellen Gerichtsentscheidungen und Gesetzesvorhaben gab es in letzter Zeit? Weitere Artikel zum Thema außerdem im LTO-Dossier "Klima & Recht".

Stephan Breidenbach ist Professor für Bürgerliches Recht, Zivilprozessrecht und Internationales Wirtschaftsrecht an der Viadrina-Universität Frankfurt (Oder) und Unternehmer. Bei GermanZero leitet er den Bereich Klimapolitik und Gesetzgebung.  

 

Zitiervorschlag

Interview Stephan Breidenbach von GermanZero: Wie man Klimaschutz in Gesetzesform bringt . In: Legal Tribune Online, 03.03.2023 , https://www.lto.de/persistent/a_id/51142/ (abgerufen am: 25.04.2024 )

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