Tierschutzrecht: Bes­tien, die gefeiert werden

von Martin Rath

04.10.2015

Gewalt, die von Tieren an Menschen verübt wird, liegt in einer statistischen Grauzone. Widerliche Verletzungen durch bösartige Biester finden kaum öffentliche Aufmerksamkeit. Gut, dass sich wenigstens Juristen der Folgen annehmen.

In der "Welpenstatistik" des "Verbands für das Deutsche Hundewesen" wurden allein für das Jahr 2014 10.470 Jungtiere der Rasse "Deutscher Schäferhund" gemeldet, gefolgt vom "Teckel" – besser bekannt als Dackel – mit 5.883 Jungtieren. Insgesamt meldeten die Züchter im Jahr 2014 nicht weniger als 77.360 rassenzugehörige Welpen.

Das sind, wie der Blick in die juristische Literatur und die Rechtsprechung zeigen wird, sehr beunruhigende Zahlen. Zwar geht die Rassehundeproduktion in Deutschland zurück, doch zeigt die "Welpenstatistik" nur die Spitze des Eisbergs: Insgesamt sollen rund 6,9 Millionen Hunde das Land bevölkern. Nicht zu vergessen, dass sich fast 12 Millionen Katzen hinzugesellen.

Komodowaran verboten, Dackel erlaubt?

Der Zeitschrift Rechtsmedizin kommt der Verdienst zu, bereits im Jahr 2001 auf die Gefahren hingewiesen zu haben, die beispielsweise bereits von kleinen Hunden ausgehen. In einer Zehnjahres-Analyse von tödlichen Hundebissen im deutschsprachigen Raum wurden nicht nur "11 Fälle infolge Verbluten aus durch Bisse geöffneten Gefäßen" dokumentiert, in der Ruhrgebietsstadt Essen musste ein 41-jähriger Mann nach nüchterner medizinischer Auskunft ein "Multiorganversagen bei septischem Schock 4 Tage nach Verletzung erleiden". Den Tod fand der Mann in seinen besten Jahren durch den Biss eines Rauhaardackels – eine Gefahrenquelle, die sich hierzulande jedes Jahr 5.000-mal vermehrt.

Die Dokumentation "Tödliche Hundebisse im Selektionsgut rechtsmedizinischer Institute" wies auch auf die Gefahren hin, die insbesondere für Klein- und Kleinstkinder von Hunden aller Größen ausgehen. Es ist aber fraglich, ob die zuständigen Staatsorgane diese Gefahr überall richtig würdigen. Die Stadt München zählt zum Beispiel das Riesenkänguru und das Walross, das Großkamel und den Komodowaran als "gefährliche Tiere" auf, deren Haltung in Bayern erlaubnispflichtig ist. Hunden wird dagegen generelle Gefährlichkeit erst attestiert, wenn sich Wölfe in den letzten vier Generationen ihres Stammbaums finden.

Diese Gefahreneinschätzung ist fragwürdig. Man weiß zwar heute, dass sich beispielsweise der in Bayern gefürchtete Komodowaran seine Beute mit einem Giftbiss gefügig macht. Früher nahm man aber an, er töte die Beute allein mit den Sepsis verursachenden Bakterien seiner fauligen Maulhöhle, was natürlich weit unmittelbarer an menschliche Urängste appelliert als irgendein Insekten- oder Reptiliengift. Merkwürdig ist daher, dass der Dackel als Verursacher tödlicher Blutvergiftungen viel weniger Aufmerksamkeit auf sich zieht, ist er in Deutschland doch weit häufiger zu sehen als der exotische Komodowaran.

Im Reich der Dunkelziffern: Tierbisse

Was die Ursachen für mangelnde Öffentlichkeit durch animalische Gefahren betrifft, kann nur gemutmaßt werden. Von führenden Medienleuten ist etwa eine mitunter sehr befremdliche Tierliebe bekannt, die vielleicht auf die Berichterstattung durchschlägt. Der langjährige Spiegel-Chefredakteur Stefan Aust unterhielt zum Beispiel zu seinen Pferden wohl bessere Beziehungen als zu vielen seiner menschlichen Mitarbeiter. Manfred Bissinger, ein schwergewichtiger Medienmann zu Zeiten der Regierung Schröder, war als leidenschaftlicher Hühnerzüchter bekannt.

Herbert Burda, hier wird es vollends merkwürdig, lässt sein Unternehmen alljährlich Preise in Gestalt einer kleinwüchsigen Hirschart verleihen, die der Wiener Schriftsteller Felix Salten erfand, dem neben dem "Bambi" wohl auch der pornographische Klassiker "Josefine Mutzenbacher" zuzurechnen ist.

Dass sich angesichts der etwas unheimlichen Tierliebe in Kreisen der Spitzenpublizistik zu wenig Öffentlichkeit für die rund 30.000 bis 50.000 Bissverletzungen findet, die nach Angaben des Gesamtverbandes der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV) jährlich in Deutschland behandelt werden müssen, ist nachvollziehbar. Der GDV vermutet, dass eine erhebliche "Dunkelziffer" existiere, weil nur die Hälfte aller Wunden versorgt werde. Kaum verständlich ist aber, dass nicht wenigstens von Seiten der Polizeigewerkschaften jener Aufschrei zu hören ist, der sonst so sicher vom Stichwort "Dunkelziffer" ausgelöst wird. Es ist nur zu hoffen, dass hier nicht das enge Zusammenleben von Diensthund und menschlichen Polizeikräften zu falscher Kameraderie führt.

Überlegene juristische Erkenntniswege

Die fehlende Aufmerksamkeit von Presse und Polizei für die auch im komodowaranfreien Deutschland von Tieren ausgehenden Gefahren wird zum Teil durch rechtswissenschaftliche Medien kompensiert, die insoweit für die höhere Leistungsfähigkeit der Juristinnen und Juristen im Vergleich zu Berufsträgern anderer Professionen sprechen.

Besondere Verdienste hat hier wiederum die Zeitschrift Rechtsmedizin, die zum Beispiel unter dem Titel "Tierfraß – wenige Stunden nach Todeseintritt?" der Frage nachging, wie lange es dauert, bis Hunde oder Katzen ihre verstorbenen Eigentümer anzufressen beginnen. Für beide Gattungen wird von Fraßfällen nach circa acht Tagen ausgegangen, offenbar ein Regelfall. Fressen Hunde ihre verstorbenen "Herrchen" unverzüglich an, geht man mit Bernhard Grzimek von einer Art "psychisch gestörtem" Tier aus (Rechtsmedizin 1996, S. 22-24).

Zu bemängeln ist, dass dieser angesichts steigender Zahlen vereinsamter älterer Tierhalter gar nicht seltenen Kasuistik noch nicht gebührend mit juristischer Dogmatik zu Leibe gerückt wurde: Ist ein üblerer Verstoß gegen das Verbot denkbar, einen Menschen als "bloßen Zweck außerhalb seiner Person liegender Zwecke" zu gebrauchen, als ihn zu fressen? Ein Menschenwürdeverstoß nach der Formel von Kant und Dürig - doch wird diese fehlende interpretatorische Leistung mehr als aufgewogen von der breiten juristischen Kasuistik zu Schäden, die das Tier am Menschen verrichtet.

Zitiervorschlag

Martin Rath, Tierschutzrecht: Bestien, die gefeiert werden . In: Legal Tribune Online, 04.10.2015 , https://www.lto.de/persistent/a_id/17086/ (abgerufen am: 19.04.2024 )

Infos zum Zitiervorschlag
Jetzt Pushnachrichten aktivieren

Pushverwaltung

Sie haben die Pushnachrichten abonniert.
Durch zusätzliche Filter können Sie Ihr Pushabo einschränken.

Filter öffnen
Rubriken
oder
Rechtsgebiete
Abbestellen