Alexander Stevens Buch "Sex vor Gericht": "Juristen haben von Sex keine Ahnung"

von Constantin Körner

19.04.2016

2/2: "Mit einer 17Jährigen den härtesten Sex der Welt haben – aber bloß keinen Porno schauen!"

LTO: Vorhin sprachen Sie bereits von einer "Übermoralisierung" des Sexualstrafrechts und über fehlende Sinnhaftigkeit von erfolgten Reformen. An mehreren Stellen im Buch thematisieren Sie die aktuelle Rechtslage. Etwa hinterfragen Sie die Strafbarkeit von Tierpornographie oder vergleichen die Strafandrohung für Beischlaf zwischen Verwandten mit der für die "Verletzung von Flaggen oder Hoheitszeichen anderer Staaten". Was haben Sie an der geltenden Rechtslage im Sexualstrafrecht auszusetzen?

Stevens: Wie vorhin bereits angedeutet, ist das deutsche Sexualstrafrecht bisweilen völlig überholt und führt immer wieder zu regelrecht absurden Ergebnissen.

Nehmen Sie allein die Verschärfung des Kinderpornographie-Paragraphen nach der sogenannten "Edathy-Affäre". Blinder Aktionismus war das!  Wenn der Gesetzesentwurf von Bundesjustizminister Maas so, wie er ursprünglich angedacht war, den Bundesrat passiert hätte, müssten wir jetzt alle unsere Eltern wegen des Besitzes von kinderpornographischen Schriften anzeigen. Denn nichts anderes wären dann die unzähligen Nacktbilder vom Urlaubsstrand in den Fotoalben unserer Eltern!

Umgekehrt scheint es niemanden zu interessieren, dass sich nur Männer des Exhibitionismus strafbar machen können oder ein Achtzehnjähriger mit seiner siebzehnjährigen Freundin zwar den härtesten Sex haben, aber mit ihr zusammen bloß keinen Porno gucken darf. Denn Letzteres wäre strafbar. Dass Geschwister angeblich aus Angst vor behinderten Kindern keinen Sex haben dürfen, behinderte Menschen hingegen schon, ist ein weiteres Beispiel von ganz vielen für völlig irrationale Tatbestände unseres deutschen Sexualstrafrechts.

Oder nehmen Sie den Teenager, der am Tag seines vierzehnten Geburtstages mit seiner einen Tag jüngeren und damit noch dreizehnjährigen Freundin Sex hat  und sich deshalb wegen sexuellen Missbrauchs vor Gericht verantworten muss, wohingegen der Neunzigjährige mit einer Vierzehnjährigen völlig ungestraft Sex haben darf, solange er nicht die fehlende Fähigkeit zur sexuellen Selbstbestimmung, was auch immer das sein soll, ausnutzt.

Und warum das Verbreiten von Tierpornographie strafbar ist, erschließt sich mir einfach nicht. Um den Schutz der Tiere kann es jedenfalls kaum gehen, wenn ich einerseits ungestraft Kühe essen, sie aber andererseits nicht sexuell stimulieren darf. Denn im Zweifel wird wohl Letzteres dem Tier lieber sein als auf dem Teller zu landen.

"Angedachte Verschärfung des Vergewaltigungstatbestandes ist blanker Aktionismus"

LTO: Die Vorfälle der Silvesternacht von Köln haben eine breite gesellschaftliche Debatte ausgelöst. Wie bewerten Sie die rechtspolitischen Reaktionen?

Stevens: Die angedachte Verschärfung des Vergewaltigungstatbestandes ist erneut blanker Aktionismus, der nichts bringt.

Deutschland hat im internationalen Vergleich bereits einen der schärfsten Tatbestände im Hinblick auf die sexuelle Nötigung bzw. Vergewaltigung. Jetzt, nach den Sex-Mob-Attacken, will der Justizminister wieder Hand anlegen und alle schreien sogar noch nach mehr. Dabei hatten die Vorfälle in Köln kaum etwas mit Vergewaltigung sondern vielmehr mit sexueller Belästigung und weit überwiegend mit bloßem Diebstahl zu tun.

Klar mag das moralisch verwerflich sein und wird keineswegs von mir gut geheißen. Aber was das mit Vergewaltigung, also dem Eindringen oder vergleichbaren Eingriffen in den Körper eines anderen zu tun haben soll, ist mir schleierhaft.

Der Vergewaltigungstatbestand ist in seiner derzeitigen Fassung völlig ausreichend, um etwa Sex-Mob-Täter, die einer Frau zu mehreren auflauern, diese umkreisen und dann in die Taschen und in diverse Körperöffnungen fassen, angemessen zu bestrafen. Denn auch das Ausnutzen einer schutzlosen Lage erfüllt den Tatbestand der sexuellen Nötigung, ohne, dass gedroht oder Gewalt ausgeübt werden müsste.  Es wäre meines Erachtens deutlich besser, die Strafverfolgungsbehörden und Gerichte einer substantiierten Ausbildung in Sachen Sexualstrafrecht zuzuführen und diese nicht in der Ausbildung der Juristen auszusparen, weil man sich auf den Standpunkt stellt, dass man mit solchen Themen die armen Studentinnen verschrecken könnte!

LTO: Herr Dr. Stevens, vielen Dank für das Gespräch.

Dr. Alexander Stevens ist als Strafverteidiger und Nebenklagevertreter mit Spezialisierung im Sexualstrafrecht in München tätig. Sein Buch "Sex vor Gericht" erscheint im Knaur Verlag.

Das Interview führte Constantin Körner.

Zitiervorschlag

Constantin Körner, Alexander Stevens Buch "Sex vor Gericht": "Juristen haben von Sex keine Ahnung" . In: Legal Tribune Online, 19.04.2016 , https://www.lto.de/persistent/a_id/19124/ (abgerufen am: 24.04.2024 )

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