Die "Sofa-Richter", das Rechtsmagazin im SWR-Fernsehen: Gerech­tig­keit gibt es nur in der Hölle

Gastbeitrag von Dr. Lorenz Leitmeier

25.04.2020

Die "Sofa-Richter" diskutieren zu Hause über Rechtsfälle aus dem Leben. Mal fordern sie die volle Härte des Gesetzes, mal geben sie sich mild und besonnen. Lorenz Leitmeier findet, dass dem SWR eine gute Reihe über das Recht gelungen ist.

Wenn das öffentlich-rechtliche Fernsehen eine Serie startet, in der alltägliche Menschen alltägliche Rechtsfälle diskutieren, klingt das eher nach Fortsetzungshölle als nach Cliffhanger. Und wenn der Titel auch noch "Sofa-Richter" lautet, könnte man annehmen, ein humorbegabter Redakteur habe die Corona-Krise, nun ja, launig verarbeitet.

In Wahrheit aber hat das mit Krise nicht viel zu tun: Die Reihe des Südwestrundfunks (SWR) über das Recht gibt es schon seit 2016, vier Staffeln mit insgesamt 22 Sendungen sind bereits gelaufen. Als guter Beamter ist man lediglich wieder einmal ein wenig late to the party und hat nur wegen Corona die Zeit, das Gesetz kurz aus der Hand zu legen und sich einmal durch die Mediathek zu klicken. Und da der SWR dieses Format für die jüngere Generation vielleicht bald ins Netz bringt, ist das ein guter Grund, sich ein eigenes Bild zu machen.

Der Titel "Die Sofa-Richter" beschreibt natürlich auch keine Vertreter der Dritten Gewalt, die nur mäßig fleißig sind (anders als man selbst, natürlich...), sondern ist der britischen TV-Serie "Gogglebox" nachempfunden, in der normale Fernsehzuschauer zu Hause dabei gefilmt werden, wie sie auf das reagieren, was da in der Glotze vor ihnen flimmert.

Und so gucken die "Sofa-Richter" des SWR Rechtsfälle, kommentieren spontan das Gesehene und entscheiden am Ende, wie es ausgeht. Juristisch begleitet wird das von Frank Bräutigam, dem sympathischen "Rechtsgesicht" der ARD, das nach spektakulären Urteilen gerne aus Karlsruhe berichtet (für diejenigen aus der analogen Generation, die vielleicht auch nicht immer ganz pünktlich sind: der "neue Karl-Dieter Möller").

Schadensersatz wegen "schlechten Beischlafs"?

Die Grundidee ist bekannt aus "Wie würden Sie entscheiden?", einer Rechtssendung des ZDF tief aus dem vergangenen Jahrhundert. Wer den Versuch, diesen Rechts-Dino in das digitale Zeitalter zu übersetzen, kürzlich bei RTL 2 gesehen hat, vermutet also am Eingang der SWR-Mediathek die virtuelle Inschrift: "Die ihr eintretet, lasst alle Hoffnung fahren!"

Nun gut, einmal blind ins Regal, die Sendung vom 19.09.2019 gegriffen und los geht’s: Zur Auflockerung gibt es als Einstieg ein Rechtsrätsel um Gerichtsurteile, die "wahr oder erfunden?" sind.

Geschildert wird die Klage eines Mannes, der ein Doppelzimmer im Urlaub gebucht hatte, aber wegen zweier Einzelbetten wenig Freude daran hatte, mit seiner Partnerin zu kuscheln. Gibt es also vom Gericht Schadensersatz wegen "schlechten Beischlafs"?

Die "Sofa-Richter" – drei Paare unterschiedlichen Alters, eine Familie mit drei Kindern und drei junge Männer aus dem Priesterseminar – grübeln, die eingespielten Marienkäfer kopulieren, die Sektflasche schäumt, da folgt schon die Auflösung: Das Gericht weist die Klage ab.

Die Pointe des Ganzen ist natürlich, wie die Gerichtssprache diesen, huch, intimen zwischenmenschlichen Vorgang fasst: Dem Gericht seien "mehrere Variationen des Beischlafs bekannt, die auf einem einzelnen Bett ausgeübt werden können, und zwar durchaus zur Zufriedenheit aller Beteiligten" - die angehenden Priester amüsieren sich köstlich. Außerdem hätte man ja die beiden Metallrahmen der Betten miteinander verbinden können, beispielsweise mit dem Hosengürtel, der wurde in seiner ursprünglichen Funktion ja "in dem Augenblick sicher nicht mehr benötigt". Sex, Juristen, Humor, nun ja. Wer vorher nicht locker war, ist es ja vielleicht jetzt.

Weiter geht es mit der Rechtsfrage, wie weit Satire gehen darf. Die "Sofa-Richter" versuchen sich abstrakt an der Klärung, wo der Spaß aufhört. Die Äußerungen sind juristisch sehr brauchbar, Frank Bräutigam ordnet fundiert ein.

Juristisch nahe an der Vernichtung

Es folgt ein konkreter Fall aus dem Arbeitsrecht: Dazu begegnet dem Zuschauer Sonja Tesic, die in schwarzen Strapsen mit Geht-so-Sex-Appeal singt und tanzt, offensichtlich ironisch. Kurz noch einmal gecheckt, ob man wirklich bei der ARD ist, schon geht es weiter: Frau Tesic arbeitet in der Personalabteilung einer Firma und veröffentlicht ein satirisches Musikvideo auf Youtube, in dem sie die Zustände in der Arbeitswelt aufzeigt - Männer haben die Macht, Frauen eher andere Qualitäten. Frau Tesic trägt Unterwäsche und eine schwere Metallkette um den Hals, die Herren ein Krönchen auf dem Kopf, der Arbeitgeber des Satire-Films hat einen leicht anderen Namen als der echte. Alles ist überzeichnet, aber vielleicht doch irgendwie realistisch.

Am nächsten Tag hat Frau Tesic die Kündigung und fühlt sich ungerecht behandelt. Einer der angehenden Priester kommentiert trocken: "Muss sie halt ein Lied daraus machen." Ein anderer "Sofa-Richter" versteht nur eines nicht: "Wieso hat das zwölf Stunden gedauert?" Auch die weiteren Kommentare sind humorvoll und rechtlich ansprechend.

Bräutigam gewichtet im Anschluss präzise die Argumente – und teilt erfreulicherweise auch seine persönliche Einschätzung mit: Das Arbeitsgericht, dem das Video nicht für die Kündigung reichte, "hätte das durchaus ein bisschen strenger sehen dürfen". Juristisch ist das nahe an der Vernichtung.

Schnelle Schnitte, knappe Dialoge, kurze Einspieler

Im Anschluss wagt sich der SWR an ein Eisen, das spontan zu heiß für das Sofa wirkt - es ist der Fall Daschner und die Frage: "Darf man Gesetze brechen, um ein Kinderleben zu retten?" Auch hier wird der Sachverhalt zeitgemäß präsentiert: Schnelle Schnitte, knappe Dialoge, kurze Einspieler.

Die Reaktion der "Sofa-Richter" im Anschluss ist auf angenehm hohem, immer sachlichem Niveau. Wie der Rechtsstaat hier an die Grenze geführt wird – das erschließt sich dem Zuschauer prägnant und im besten Sinne pointiert. Die "Sofa-Richter" sehen das erfreulich rechtsstaatlich und wissen, dass es im Recht Grenzen gibt, und der Staat nicht alles um jeden Preis erzwingen will. So wird die abstrakte Einsicht sehr plastisch: Gerechtigkeit gibt es nur in der Hölle. Wenn die Kommentare wirklich spontan und nicht "ge-scripted" sind, dann muss man den SWR beglückwünschen zur emotionalen und sozialen Intelligenz seiner Zuseher.

Natürlich wird nicht jedes Detail der Rechtsphilosophie gewälzt, die wahre Kunst im Recht ist es aber, einen Sachverhalt so einzudampfen, dass nur noch das Rechtsproblem da ist – und außerdem, dass der Nicht-Jurist dieses Rechtsproblem auch versteht. Und wenn das alles dann so aussieht, als sei es das Leichteste von der Welt, dann weiß man, dass da viel Zeit und Energie investiert wurde.

Zum Schluss der Sendung erfährt man noch recht kurzweilig, dass Hobby-Schatzsucher eine Genehmigung brauchen, wenn sie mit Sonde und Spaten im Wald buddeln; und sollten sie einen wertvollen Schatz heben, für den sich auch Archäologen interessieren, sind sie wegen Unterschlagung dran. Das ist nicht spektakulär, aber unterhaltsam aufbereitet.

Starke Rechtsdiskussionen

Angenehm überrascht nach dieser Folge, muss man natürlich einen Zufallstreffer ausschließen und noch eine weitere Kurzfolge sehen: Werbung für Schwangerschafts¬abbruch, es wird wieder heikel. Aber auch hier ist die Darstellung des Falls angenehm sachlich, präzise und ausgewogen. Frau Hänel, die als Ärztin Schwangerschaftsabbrüche vornimmt und zum "Gesicht" des § 219a Strafgesetzbuch wurde, der Werbung für diesen Eingriff verbietet, kommt zu Wort, aber auch die Gegensicht. Unterstellungen und Ad-personam-Geschreie findet man nicht, die emotionale Auseinandersetzung hat der SWR anderen überlassen. Hier greift die schöne Zeile der Band Tocotronic: "Was du auch machst, mach es nicht selbst."

Im Ergebnis ist dem SWR mit den "Sofa-Richtern" eine gute Reihe über das Recht gelungen. Es bleibt allein das Gefühl, dass die pornös aufgeladenen Fällchen eine Konzession an den übersexualisierten Zuschauer sind, damit der auch wirklich, Entschuldigung: bei der Stange bleibt. Auch hier kann man mit Tocotronic sagen: "Es ist mir egal, aber so will ich's doch nicht haben."

In Wahrheit sind nämlich die Rechtsdiskussionen stark genug, um den Zuschauer für Jura zu interessieren. Für alles andere gibt es ja zum Glück RTL 2.

Der Autor Dr. Lorenz Leitmeier ist hauptamtlicher Dozent an der Hochschule für den öffentlichen Dienst in Bayern (HföD), Fachbereich Rechtspflege.

Zitiervorschlag

Die "Sofa-Richter", das Rechtsmagazin im SWR-Fernsehen: Gerechtigkeit gibt es nur in der Hölle . In: Legal Tribune Online, 25.04.2020 , https://www.lto.de/persistent/a_id/41416/ (abgerufen am: 17.04.2024 )

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