100 Jahre vor Uli Hoeneß : Steuerrechtliche Selbstanzeige zu Kaisers Zeiten

von Martin Rath

04.01.2015

Während der Ex-FCB-Präsident auch zu Silvester das Gefängnis verlassen durfte, wird die strafbefreiende Selbstanzeige für reuige Steuersünder ab 2015 schwieriger. Aber schon vor genau hundert Jahren sollte eine frühe Form der steuerrechtlichen Selbstanzeige zu gerechter Steuererhebung erziehen  – und den Wehretat finanzieren. Martin Rath mit einem Blick zurück und Ideen für heute.

Diese Herren pflegten nicht allein die hohe Kunst des verschraubt-kauzigen Kettensatzes, in der sie etwa mit der berüchtigten Definition des Begriffs "Eisenbahn" die juristische Welt bereicherten. Zum Weihnachtsfest 1914 legten die Reichsgerichtsräte aus Leipzig einem Unternehmer aus dem Sprengel des Landgerichts Aachen dieses hübsche Stück Juristenprosa in die Gerichtspost: "Wie das Reichsgericht schon mehrfach zum Ausdruck gebracht hat, ist ein steuerbares Einkommen der Besteuerung nicht mehr entzogen, wenn es – in seiner Eigenschaft als Grundlage für eine Besteuerung – amtlich aus seiner Verborgenheit hervorgezogen, für die Steuerbehörde mithin aufgedeckt und dadurch der Besteuerung zugänglich gemacht ist."

Wann, wie und durch wen ein steuerpflichtiger Gegenstand zur Kenntnis des Finanzamts kommen muss, um der Mechanik des Steuerstrafrechts zu entgehen, diese Fragen beschäftigten also schon die Untertanen seiner Majestät des Kaisers und Königs von Preußen - 100 Jahre bevor der Fall des Fußball- und Würstchen-Helden Ulrich Hoeneß die bayerische Justiz in Gang und die deutsche Öffentlichkeit in Aufruhr versetzte.

Selbstanzeige diente noch der Erhebungsgerechtigkeit

Im zitierten Urteil vom 23. Dezember 1914 befasste sich das Reichsgericht mit einem Spezialfall von Steuerhinterziehung und der Privilegierung ihrer Selbstanzeige (Entscheidungen des Reichsgerichts in Strafsachen, Band 49, S. 59-61, Az. V 381/14).  Am 3. Juli 1913 hatte der reiselustige Kaiser in Kiel das "Gesetz über einen einmaligen außerordentlichen Wehrbeitrag" unterzeichnet, auf dessen Grundlage nun Vermögensgegenstände und Einkommen mit einer einmaligen reichsweiten Abgabe belegt wurden.

Sehr speziell war zunächst, dass direkte Abgaben auf Einkommen und Vermögen bis dahin im Wesentlichen nur von den deutschen Teilstaaten zugunsten ihrer Landeskasse erhoben worden waren. In Preußen existierte beispielsweise seit 1893 parallel zur erstmals erhobenen Einkommensteuer – mit einem Tarif von bis zu 4 Prozent – eine ergänzende Vermögensteuer von 0,5 Promille.

Um den 1913 eingebrachten Wehretat gegenzufinanzieren, der gesondert vom übrigen Reichshaushalt bewirtschaftet wurde, legte Reichskanzler Bethmann Hollweg dem Reichstag am 28. März 1913 einen Entwurf über einen einmaligen außerordentlichen Wehrbeitrag vor.

Rechtswohltaten und ihre Grenzen

In § 57 des Gesetzentwurfs beziehungsweise § 68 des in Kraft getretenen Gesetzes findet sich die zweite Innovation dieses speziellen Steuergesetzes: "Gibt ein Beitragspflichtiger bei der Veranlagung zum Wehrbeitrag oder in der Zwischenzeit seit dem Inkrafttreten dieses Gesetzes bei der Veranlagung zu einer direkten Staats- oder Gemeindesteuer Vermögen oder Einkommen an, das bisher der Besteuerung durch einen Bundesstaat oder eine Gemeinde entzogen worden ist, so bleibt er von der landesgesetzlichen Strafe und der Verpflichtung zur Nachzahlung der Steuer für frühere Jahre frei."

Weil erstmals nicht ein Teilstaat, sondern das Reich in den Genuss der direkten Abgabe kommen sollte, sah das Gesetz hier also eine "Rechtswohltat" vor, wie das Reichsgericht die Möglichkeit des Steuerpflichtigen bezeichnet, sich durch Angabe bisher vor den Landes- oder Gemeindebehörden verheimlichter Einkommens- oder Vermögensbestandteile vor Straf- und Nachzahlungsansprüchen der Finanzbehörden zu schützen.

Im Fall, der vor das Reichsgericht ging, hatte der angeklagte Kaufmann aus Aachen in einer bereits seit 1912 schwelenden Auseinandersetzung um die Höhe seines - bisher zur preußischen Einkommensteuer veranlagten - Einkommens gegenüber der Behörde geäußert: "Im Hinblick auf § 68 … gebe ich, um mich nicht länger zu streiten, mein bisher der Besteuerung entzogenes Einkommen zur Veranlagung für die Jahre 1911 (und 1912) … in der Höhe an, die der Sachverständige K. ermittelt hat."

Ein Sachverständiger hatte hier also schon im Auftrag der Einkommensteuer-Veranlagungskommission die Bücher geprüft und damit - in der schönen Prosa des Reichsgerichts - das Einkommen des Aachener Kaufmanns "amtlich aus seiner Verborgenheit hervorgezogen". Für die "Rechtswohltat" des § 68 Wehrbeitragsgesetz war es damit zu spät.

Zitiervorschlag

Martin Rath, 100 Jahre vor Uli Hoeneß : Steuerrechtliche Selbstanzeige zu Kaisers Zeiten . In: Legal Tribune Online, 04.01.2015 , https://www.lto.de/persistent/a_id/14256/ (abgerufen am: 16.04.2024 )

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