Während der Ex-FCB-Präsident auch zu Silvester das Gefängnis verlassen durfte, wird die strafbefreiende Selbstanzeige für reuige Steuersünder ab 2015 schwieriger. Aber schon vor genau hundert Jahren sollte eine frühe Form der steuerrechtlichen Selbstanzeige zu gerechter Steuererhebung erziehen – und den Wehretat finanzieren. Martin Rath mit einem Blick zurück und Ideen für heute.
Diese Herren pflegten nicht allein die hohe Kunst des verschraubt-kauzigen Kettensatzes, in der sie etwa mit der berüchtigten Definition des Begriffs "Eisenbahn" die juristische Welt bereicherten. Zum Weihnachtsfest 1914 legten die Reichsgerichtsräte aus Leipzig einem Unternehmer aus dem Sprengel des Landgerichts Aachen dieses hübsche Stück Juristenprosa in die Gerichtspost: "Wie das Reichsgericht schon mehrfach zum Ausdruck gebracht hat, ist ein steuerbares Einkommen der Besteuerung nicht mehr entzogen, wenn es – in seiner Eigenschaft als Grundlage für eine Besteuerung – amtlich aus seiner Verborgenheit hervorgezogen, für die Steuerbehörde mithin aufgedeckt und dadurch der Besteuerung zugänglich gemacht ist."
Wann, wie und durch wen ein steuerpflichtiger Gegenstand zur Kenntnis des Finanzamts kommen muss, um der Mechanik des Steuerstrafrechts zu entgehen, diese Fragen beschäftigten also schon die Untertanen seiner Majestät des Kaisers und Königs von Preußen - 100 Jahre bevor der Fall des Fußball- und Würstchen-Helden Ulrich Hoeneß die bayerische Justiz in Gang und die deutsche Öffentlichkeit in Aufruhr versetzte.
Selbstanzeige diente noch der Erhebungsgerechtigkeit
Im zitierten Urteil vom 23. Dezember 1914 befasste sich das Reichsgericht mit einem Spezialfall von Steuerhinterziehung und der Privilegierung ihrer Selbstanzeige (Entscheidungen des Reichsgerichts in Strafsachen, Band 49, S. 59-61, Az. V 381/14). Am 3. Juli 1913 hatte der reiselustige Kaiser in Kiel das "Gesetz über einen einmaligen außerordentlichen Wehrbeitrag" unterzeichnet, auf dessen Grundlage nun Vermögensgegenstände und Einkommen mit einer einmaligen reichsweiten Abgabe belegt wurden.
Sehr speziell war zunächst, dass direkte Abgaben auf Einkommen und Vermögen bis dahin im Wesentlichen nur von den deutschen Teilstaaten zugunsten ihrer Landeskasse erhoben worden waren. In Preußen existierte beispielsweise seit 1893 parallel zur erstmals erhobenen Einkommensteuer – mit einem Tarif von bis zu 4 Prozent – eine ergänzende Vermögensteuer von 0,5 Promille.
Um den 1913 eingebrachten Wehretat gegenzufinanzieren, der gesondert vom übrigen Reichshaushalt bewirtschaftet wurde, legte Reichskanzler Bethmann Hollweg dem Reichstag am 28. März 1913 einen Entwurf über einen einmaligen außerordentlichen Wehrbeitrag vor.
Rechtswohltaten und ihre Grenzen
In § 57 des Gesetzentwurfs beziehungsweise § 68 des in Kraft getretenen Gesetzes findet sich die zweite Innovation dieses speziellen Steuergesetzes: "Gibt ein Beitragspflichtiger bei der Veranlagung zum Wehrbeitrag oder in der Zwischenzeit seit dem Inkrafttreten dieses Gesetzes bei der Veranlagung zu einer direkten Staats- oder Gemeindesteuer Vermögen oder Einkommen an, das bisher der Besteuerung durch einen Bundesstaat oder eine Gemeinde entzogen worden ist, so bleibt er von der landesgesetzlichen Strafe und der Verpflichtung zur Nachzahlung der Steuer für frühere Jahre frei."
Weil erstmals nicht ein Teilstaat, sondern das Reich in den Genuss der direkten Abgabe kommen sollte, sah das Gesetz hier also eine "Rechtswohltat" vor, wie das Reichsgericht die Möglichkeit des Steuerpflichtigen bezeichnet, sich durch Angabe bisher vor den Landes- oder Gemeindebehörden verheimlichter Einkommens- oder Vermögensbestandteile vor Straf- und Nachzahlungsansprüchen der Finanzbehörden zu schützen.
Im Fall, der vor das Reichsgericht ging, hatte der angeklagte Kaufmann aus Aachen in einer bereits seit 1912 schwelenden Auseinandersetzung um die Höhe seines - bisher zur preußischen Einkommensteuer veranlagten - Einkommens gegenüber der Behörde geäußert: "Im Hinblick auf § 68 … gebe ich, um mich nicht länger zu streiten, mein bisher der Besteuerung entzogenes Einkommen zur Veranlagung für die Jahre 1911 (und 1912) … in der Höhe an, die der Sachverständige K. ermittelt hat."
Ein Sachverständiger hatte hier also schon im Auftrag der Einkommensteuer-Veranlagungskommission die Bücher geprüft und damit - in der schönen Prosa des Reichsgerichts - das Einkommen des Aachener Kaufmanns "amtlich aus seiner Verborgenheit hervorgezogen". Für die "Rechtswohltat" des § 68 Wehrbeitragsgesetz war es damit zu spät.
2/2: Struck’sche Faustregel der Gesetzgebung
Das Einkommen des Kaufmanns lag nach den weiteren Auskünften des Gerichts übrigens zwischen rund 25.000 und gut 28.000 Mark jährlich, was ungefähr dem 20-Fachen eines Facharbeiterjahresgehalts entsprach. Nach § 32 des Wehrbeitragsgesetzes war auf Einkommen bis zu 10.000 Mark jährlich ein einmaliger Beitrag von 1 Prozent zu erheben, in einer Progression bis zu 8 Prozent für Einkommen ab 500.000 Mark, die damals nur von Großindustriellen, beispielsweise der Familie Krupp erreicht wurden.
Der Kaufmann fiel in eine mittlere Klasse von 1,6 Prozent einmaliger Einkommensabgabe. Hinzu kam gegebenenfalls noch die einmalige Vermögensabgabe, die in einer Progression von 0,15 Prozent für die ersten 50.000 Mark bereinigten Vermögens bis zu 1,5 Prozent für Vermögenswerte oberhalb von 5 Millionen Mark bestand. Zahlbar war der festgesetzte Betrag dann übrigens gestaffelt: ein Drittel alsbald, je ein weiteres Drittel in den beiden Folgejahren.
Die von Peter Struck, dem SPD-Verteidigungsminister und Fraktionsvorsitzenden der Schröder-Jahre, formulierte Binsenweisheit, wonach kein Gesetz das Parlament verlasse, wie es hineingekommen war, galt auch für das Wehrbeitragsgesetz. Ursprünglich war 1913 von Reichskanzler und Bundesrat vorgesehen, einheitlich 0,5 Prozent des Vermögens und bei Einkommen oberhalb der seinerzeit sagenhaften 50.000 Mark vermögensunabhängig 2 Prozent Einkommensabgabe zu erheben. Man erhoffte sich davon eine leichtere Abgabenerhebung.
Eine weitere wichtige Abweichung von der Gesetzesvorlage betraf die Zweckbindung: Gab die Vorlage keine Zweckbindung an, sah § 69 nun vor, dass die vereinnahmten Mittel ausschließlich für die im März 1913 beschlossene "Verstärkung der Wehrmacht", die insbesondere eine Aufstockung der Heeresstärke betraf, verwendet werden durften. Wäre nicht im Sommer 1914 der Weltkrieg ausgebrochen, die Vermögenden und Einkommensbezieher hätten die Chance gehabt, das letzte Drittel der festgesetzten Sonderabgabe erlassen zu bekommen.
Sektsteuer und Panzerkreuzer
Geplant waren insgesamt Einnahmen zwischen 975 und 1.000 Millionen Mark. Das ist ins Verhältnis zu setzen zu den Rüstungskosten jener Jahre. Im Rüstungswettlauf zwischen Deutschland und dem Vereinigten Königreich standen Kriegsschiffe im besonderen öffentlichen Interesse, diese Hochtechnologie gibt vielleicht einen Anhaltspunkt: Die SMS Von der Tann, ein 1911 in Dienst gestellter Schlachtkreuzer, kostete circa 36 Millionen Mark.
Bemerkenswert ist, dass zwar bis heute immer wieder in steuerpolitischen Diskussionen auf die Sektsteuer hingewiesen wird, die mit 50 Pfennigen je 2,50 Mark-Flasche Schaumweins ebenfalls zur Finanzierung der damaligen Marine beitrug. Sie soll meist als Beispiel dafür dienen, dass einmal eingeführte Steuern gleichsam ewig Bestand behalten, selbst wenn der Finanzierungszweck längst auf dem Meeresgrund verrostet.
So wenig man sich seine Wiederkehr zum Zweck der Rüstungsfinanzierung wünschen kann, so erstaunlich ist doch, wie selten Bezug auf das sehr viel interessantere Wehrbeitragsgesetz genommen wird: Der Gesetzgeber und die Gerichte klärten damals einhellig, zu welchem Zweck die "Rechtswohltat" einer nachträglichen Offenbarung steuerpflichtiger Einkommen und Vermögen zu dienen hatte – zur gerechteren Erhebung gegenwärtiger und künftiger Steuern.
Erstaunlicherweise konnte der Kanzler beim Einbringen des Gesetzentwurfs vom Opferwillen aller Vermögenden sprechen, ohne ausgelacht zu werden. Und technologische Großvorhaben jenseits alberner Panzerkreuzer gäbe es heute zuhauf – von der Verkehrsinfrastruktur über bestenfalls behelfsweise vergrabenen Atommüll bis hin zu diversen Neuverkabelungswünschen für Strom- und Datenleitungen.
Martin Rath, 100 Jahre vor Uli Hoeneß : Steuerrechtliche Selbstanzeige zu Kaisers Zeiten . In: Legal Tribune Online, 04.01.2015 , https://www.lto.de/persistent/a_id/14256/ (abgerufen am: 27.09.2023 )
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