Recht & Musik: Richard Wagner, immer einen Rechts­st­reit wert

von Martin Rath

29.07.2018

Am vergangenen Mittwoch begannen in Bayreuth die Wagner-Festspiele 2018. Das Spektakel bietet nicht nur Musikfreunden Genuss und der Prominenz Anlass, Kunstsinn zu mimen – man findet juristische Seiten an Richard Wagner.

Gerade wenn es ums Recht geht, kann Richard Wagner (1813–1883) seine entfernte Verwandtschaft mit einer bekannten Figur aus dem Comic-Universum der französischen Künstler René Goscinny und Albert Uderzo nicht leugnen.

Im Band "Streit um Asterix" ("La zizanie") werden die tapferen Gallier von Tullius Destructivus heimgesucht, einem Gesandten Cäsars, dessen natürliche Begabung darin liegt, in seiner Umgebung unverzüglich massiven Streit auszulösen. Heutige Anwälte schreiben diese magische Kraft mitunter Pädagogen zu.

Die Fähigkeit, jeden in Aufruhr zu versetzen, der sich mit ihm befasst, zeichnet auch Richard Wagner aus. Das gilt nicht nur für den notorischen und zugleich selektiven Antisemitismus des sächsischen Komponisten oder die Tatsache, dass sich hochkulturelle Musikliebhaber ebenso gut über Geschmack streiten können, wie Wohnungsmieter über das, was aus den niederkulturellen Lautsprechern der lieben Nachbarn quillt.

Vielmehr hinterließ Wagner, zu Lebzeiten und kaum dass ihn der Tod in Venedig ereilt hatte, auch eine Schneise juristischer Kontroversen – bis hin zu einem Dreifachdurchlauf zum höchsten deutschen Zivilgericht.

Wagner, ein sächsischer Tullius Destructivus

Die Rechtsstreitigkeiten um Werk und Person Richard Wagners sind ungezählt. Bereits als Teilnehmer an der deutschen Revolution von 1848/49 zog der sächsische Hofkapellmeister die Aufmerksamkeit der seinerzeitigen Sicherheitsbehörden auf sich – und veranlasste eine ganze Anzahl seiner Fans dazu, sich der Strafvereitelung schuldig zu machen.

Beispiele aus jüngerer Zeit? – In Bayreuth weltberühmt ist etwa der Rechtsstreit um ein Wagner-Museum (BayVGH, Beschl. vom 12.1.2012, Az. 2 NE 2623/11). Sehr hübsch war auch das Anliegen von Sangeskünstlern des Badischen Staatstheaters Karlsruhe, die in den 1990er Jahren begehrten, für ihre Leistungen in der von Berthold Brecht und Kurt Weill hinterlassenen Oper "Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny" ebenso entlohnt zu werden wie es für den "Chor der Lehrbuben" in Wagners Oper "Die Meistersinger" üblich sei – jeder konventionelle Personalsachbearbeiter spricht über dem Urteil Dankgebete, nichts mit Künstlern zu schaffen zu haben.

Betrachtet man ihre verwinkelte Analyse, waren vermutlich auch die Richter des Bundesarbeitsgerichts froh, die Zuständigkeit der Bühnenschiedsgerichtsbarkeit feststellen zu können, ist doch alles Künstler- und besonders das Bühnenvolk für seinen nachhaltigen Unverstand gegenüber juristischem Feinsinn bekannt – ein Grund nicht nur dafür, dass zänkische Mimen gern an die Bühnenschiedsgerichtsbarkeit abgegeben werden, sondern vielleicht auch dafür, dass der Begriff "Staatsschauspieler" in Deutschland mehr als nur eine hintersinnige Doppelbedeutung hat (BAG, Urt. v. 10.4.1996, Az. 10 AZR 722/95).

Unter den wagneritischen Rechtssachen, die wiederholt die obersten Gerichte des Reichs und des Bundes erreichten – die Frage, wann das einmalige Abschreiben von Teilen des "Fliegenden Holländers" als strafbarer und schadensersatzpflichtiger "Nachdruck" gelte, drehte mehr als eine Runde durch die Senate des Reichsgerichts (Urt. v. 1.2.1888, Az. I 371/87, RGZ 20, S. 100–106) – sticht ein Fall hervor, in dem sich gleich mehrere Probleme verbinden, die die Welt mit Wagner hat. Zugleich zeigt er, wie das Urheberrecht anderen Interessen als der Entlohnung des Künstlers und seiner Erben dienen kann – und erfreut nebenbei noch Juristen mit Vorbehalten gegen den bayerischen Zentralismus.

Wagner-Erben scheitern vor Reichsgericht

Anlass zum Rechtsstreit gab das Buch "Wagner As I Knew Him", das 1891 in London, im Jahr darauf in deutscher Übersetzung als "Wagner, wie ich in kannte" in Leipzig herausgebracht wurde. Verfasst hatte diese Biografie der Komponist und Publizist Ferdinand Praeger (1815–1891) auf Anregung von William Tollemache (1859–1935), dem 9. Earl von Dysart, seinerzeit Präsident der Londoner Wagner-Gesellschaft.

Die Erben des 1883 in Venedig verblichenen Richard Wagner begehrten von den Rechteinhabern am Werk des inzwischen ebenfalls verstorbenen Ferdinand Praeger, alle in Deutschland noch für den Handel greifbaren Exemplare der Biografie, deutscher wie englischer Sprache, zu vernichten und die Weiterverbreitung zu unterlassen.

Ihr Begehren stützten die Wagner-Erben auf die unbestrittene Tatsache, dass Praeger bei der Rückübersetzung von Briefen Wagners, die er zitiert hatte, einige Ungenauigkeiten unterlaufen waren. Darin sahen die Erben eine Verletzung des Urheberrechts, hilfsweise des allgemeinen Persönlichkeitsrechts Richard Wagners.

Mit Urteil vom 28. Februar 1898 (Az. I 4/98, RGZ 41, S. 43–50) wies das Reichsgericht die Revision der klagenden Wagner-Erben mit dem Argument ab, dass die Kläger erstens – indem sie Praegers Erklärung, die Briefe verwenden zu wollen, nicht widersprochen hatten – in die Veröffentlichung eines Teils der Briefe eingewilligt hätten. Zweitens habe sich Wagner, als er die Briefe an Praeger schrieb, nicht sonderlich viel stilistische Mühe gegeben – das Urheberrechtsgesetz von 1870 schütze aber nicht das geistige Interesse des Urhebers an solchen Petitessen.

Einige seiner besten Freunde waren Juden

Im Urteil des Reichsgerichts kommt nicht zur Sprache, was die Wagner-Erben der Überlieferung zufolge beim Versuch, Praegers Biografie zu unterdrücken, wirklich umtrieb.

Praegers Vater, ein Violinist, war mit dem Musiklehrer Wagners befreundet gewesen. Die beiden beinah gleichaltrigen Leipziger Musiker, Praeger und Wagner, hatten sich seit ihren Jugendjahren gekannt.  Praegers Eltern waren jüdischer Herkunft, von niederländischer und englischer Geburt.

Ungeachtet des Umstands, dass Wagner, der mit seinem erstmals 1850, dann 1869 erweitert veröffentlichten Aufsatz "Das Judenthum in der Musik" zu einer zentralen Größe des politischen und publizistischen Antisemitismus in Deutschland geworden war, bemühte sich Praeger eifrig darum, Wagner in seiner britischen Wahlheimat bekannt zu machen. Wie in seinem Umgang mit jüdischen Mitarbeitern überhaupt, machte Wagner hier, da es seiner Eitelkeit und Geldgier nützlich war, eine Ausnahme vom antijüdischen Affekt.

Der Erbengemeinschaft Wagners – mit dem Wagner-Schwiegersohn Houston Stewart Chamberlain (1855–1927) gehörte ihr ein führender Kopf des rassentheoretischen Antisemitismus nationalsozialistischen Formats an – war indes nicht nur daran gelegen zu kaschieren, dass Wagners Judenfeindschaft pragmatische Ausnahmen kannte.

Der Revolutionär will ein Eis haben

Hinzu kam, dass Praeger einige sehr unvorteilhafte Mitteilungen über den revolutionären Richard Wagner des Jahres 1848/49 zu machen hatte, die nicht in die neuere deutschnationale Denkmalpflege passten.

Während beim Dresdner Aufruhr vom Mai 1849 auf der einen Seite die mit Heugabeln bewaffneten Dörfler aus dem Umland angerückt seien, um die bürgerlichen Hoffnungen auf die Frankfurter Reichsverfassung und den sächsischen Verfassungsstaat zu verteidigen, andererseits die preußischen Ordnungskräfte in Sichtweite kamen, habe der stets stark um sein persönliches Wohl besorgte Wagner beispielsweise nach Speiseeis verlangt, da ihm über seinen theatralischen Proklamationen die Stimme schwächelte.

Für Wagnerologen war das plausibel. Bekannt ist etwa, dass der Bühnenrevoluzzer seine Gattin losschickte, ihm Schnupftabak zu beschaffen – ungeachtet der Gefahr, unter preußischen Kugeln zum Witwer zu werden.

Wie ernst die Lage tatsächlich war, zeigte das Schicksal des Wagner-Freundes Otto Leonhard Heubner (1812–1893), eines politisierenden Rechtsanwalts und Turnvaters, der von den königlich-sächsischen Sicherheitsbehörden neben Wagner und dem ebenfalls anwesenden berüchtigten Anarchisten Michail Bakunin (1814–1876) als Rädelsführer der Dresdner Revolution ausgemacht wurde.

Heubner geriet, anders als Wagner, dem etliche Revolutionsgenossen und Musikfreunde bei der Flucht halfen, in sächsische Haft und wurde im Januar 1850 wegen Hochverrats zum Tod verurteilt. Die Strafe, im Mai 1850 in lebenslange Haft gemildert, wurde immerhin neun Jahre vollstreckt. Das Recht zu wählen oder als Anwalt zu arbeiten, blieb ihm bis 1865 entzogen.

Mit dem diskreten Wunsch, Wagner zur nunmehr revolutionsfeindlichen, deutschnationalen und unzweideutig antisemitischen Ikone zu stilisieren, scheiterten die Erben jedoch am Reichsgericht.

Preußisches Recht für den Bayern?

Dass die Wagner-Erben ihre Klage auch auf das "allgemeine Recht der Persönlichkeit" stützten, erlaubt auch einen Blick auf den juristischen Pluralismus im alten Deutschland.

In der Revision hatten sie moniert, dass das Oberlandesgericht Dresden nach Maßgabe des Bürgerlichen Gesetzbuchs für das Königreich Sachsen geurteilt hatte, demzufolge die Erben nicht in solche Rechte des Erblassers eintraten, die keine Vermögensrechte sind – Ehrpusseligkeiten wegen der schwachen Übersetzung aus dem Englischen betrafen kein Vermögen.

Weil Wagner aber zuletzt die bayerische Staatsangehörigkeit erworben habe, sei hier das Preußische Allgemeine Landrecht anzuwenden. Preußisches Recht, anwendbar in Bayern? Des Rätsels Lösung: Das Fürstentum Ansbach-Bayreuth war zwar 1806 vom bayerischen König Maximilian I. Joseph (1756–1825) annektiert worden, das Recht dieses vormals preußischen Gebiets blieb aber erhalten bzw. wurde nach dem napoleonischen Intermezzo wiederhergestellt.

Dem Reichsgericht war dies zwar einerlei, da das preußische Recht hier dem sächsischen glich, doch erinnert dieser Wagner-Fall auch daran, dass der bayerische Zentralstaat in Bayreuth erst mit dem BGB vom 1. Januar 1900 vollendet wurde und dieser Teil des heutigen Freistaats eine grundsolide preußische Vergangenheit hatte. Es gibt Momente, in denen dieser Gedanke recht betörend wirkt.

Der Autor Martin Rath arbeitet als freier Lektor und Journalist in Ohligs. 

Zitiervorschlag

Recht & Musik: Richard Wagner, immer einen Rechtsstreit wert . In: Legal Tribune Online, 29.07.2018 , https://www.lto.de/persistent/a_id/30029/ (abgerufen am: 28.03.2024 )

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