Hochzeit im und nach dem zweiten Weltkrieg: Lei­chen­trauung schlägt Ver­folgten-Ehe

von Martin Rath

03.12.2017

Im Dezember 1947 würdigte der bayerische Gesetzgeber die heimlichen Ehen politisch Verfolgter. Zur rechtsdogmatischen Stärkung der Ehe trug dies freilich nicht bei: Bereits 1956 erkannte der BGH darin nur noch eine Art Zuschreibungsakt.

1987 brachte der englische Künstler Sting, – alias Gordon Sumner (1951–), mit seinem Album  "Nothing Like the Sun" einen Titel heraus, der etwas aus dem Rahmen fiel.

Auf eine Melodie des deutschen Komponisten Kurt Weill (1900–1950) sang Sumner "The Secret Marriage", ein Lied von der Beständigkeit eines Versprechens ehelicher Liebe und Solidarität jenseits der Anerkennung durch äußere, kirchliche oder staatliche Instanzen.

Es dürfte selten vorkommen, dass sich ein Musiktitel so gut dazu eignet, einen juristischen Komplex zu begleiten – noch dazu einen Komplex, in dem der bayerische und der Bundesgesetzgeber der Jahre 1947 und 1950/51, der Bundesgerichtshof sowie ein Stuttgarter Rechtsanwalt mit auf die Bühne zu bitten sind.

Privates, im totalitären Staat politisch

Über das Verbot durch das sogenannte Blutschutzgesetz, amtlich "Gesetz zum Schutze es deutschen Blutes und der deutschen Ehre " vom 15. September 1935, hinaus war es in Deutschland für ungezählte Menschen, die den weltanschaulichen Vorstellungen des NS-Staats nicht entsprachen, rechtlich oder tatsächlich unmöglich, die Ehe zu schließen. Das ebenfalls 1935 erlassene Ehegesundheitsgesetz sah etwa die eugenische Musterung aller Verlobten durch das Gesundheitsamt vor und verbot "erbkranken " Menschen die Eheschließung. Personenstands- und eherechtliche Vorschriften erlaubten im totalitären Staat, im Zweifel neue Eheverbote extra legem zu kreieren.

§ 28 Abs. 1 Ehegesetz (EheG) von 1938 ermächtigte den Staatsanwalt die Nichtigkeitsklage zu erheben, wenn die Ehe den rassistischen oder eugenischen Vorstellungen des NS-Gesetzgebers nicht entsprach. In einer Justiz der unbegrenzten Auslegung öffnete § 28 Abs. 2 EheG der Staatsanwaltschaft darüber hinaus noch die Befugnis, "in allen übrigen Fällen der Nichtigkeit" eine Ehe durch Urteil vernichten zu lassen.

Dass rassisch oder politisch Verfolgte späterhin nicht unter Lebensgefahr vor dem Standesbeamten des mörderisch agierenden Staats die Ehe schließen konnten, versteht sich von selbst.

Bayern vorbildlich in Sachen Menschenrecht

Eine im Wortsinn vorbildliche Regelung für Menschen, die aufgrund ihrer Verfolgungssituation an der formalen Eheschließung gehindert worden waren, traf das Land Bayern mit dem "Gesetz Nr. 95 über die Anerkennung freier Ehen rassisch und politisch Verfolgter" vom 31. Dezember 1947, veröffentlicht im Bayerischen Gesetz- und Verordnungsblatt vom 4. Februar 1948, in Kraft getreten zum 1. Januar 1948.

Sein § 1 Abs. 1 lautet: "Haben Verlobte, denen aus rassischen Gründen die standesamtliche Eheschließung versagt wurde, dem ungeachtet den Entschluß, eine dauerhafte Verbindung einzugehen, durch Erwirken einer kirchlichen Trauung, durch Erklärung vor den Angehörigen oder auf andere Weise ernstlich bekundet, so kann der Staatsminister der Justiz, wenn der Tod des einen Teils die Nachholung der standesamtlichen Eheschließung verhindert hat, der Verbindung die Rechtswirkungen einer gesetzlichen Ehe zuerkennen. Hierbei ist der Tag festzusetzen, welcher als Tag der Eheschließung zu gelten hat."

Nach § 2 war diese Regelung für einen politisch Verfolgten sinngemäß anzuwenden, "sofern dieser wegen der Verfolgung unter falschem Namen, verborgen oder in sonstiger Weise außerhalb der bürgerlichen Ordnung lebte".

Obschon dem bayerischen Gesetzgeber politische Verfolgung nicht fremd war - die ersten drei Landtagspräsidenten nach dem Krieg, die CSU-Politiker Michael Horlacher (1888–1957), Georg Stang (1880–1951) und Alois Hundhammer (1900–1974) waren beispielsweise im Konzentrationslager Dachau inhaftiert gewesen -, kam das "Gesetz Nr. 95" auf ungewöhnlichem Weg zustande: Grundlage war eine Proklamation der US-Militärregierung. Allerdings fertigte der bayerische Ministerpräsident das Gesetz nach Beratung und Beschluss durch den Länderrat und den Parlamentarischen Rat aus  (nicht zu verwechseln mit jenem in Bonn) – zwei Gremien, mit denen die politische Klasse in der US-Besatzungszone an der Gesetzgebung beteiligt wurde.

Ungeachtet dieser Initiative seitens der Besatzungsmacht übernahm auch der Bundesgesetzgeber die bayerische Regelung der "freien Ehen" durch Gesetz vom 23. Juni 1950 (BGBl. I S. 226) nahezu wortgleich.

Zitiervorschlag

Martin Rath, Hochzeit im und nach dem zweiten Weltkrieg: Leichentrauung schlägt Verfolgten-Ehe . In: Legal Tribune Online, 03.12.2017 , https://www.lto.de/persistent/a_id/25821/ (abgerufen am: 25.04.2024 )

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