Lothar Schmid: Unter kalten Krie­gern und roten Män­nern

Der Verleger Lothar Schmid gehört zu den wenigen Juristen, die sich in zwei völlig verschiedenen Lebensbereichen einen klangvollen Namen erwerben konnten. Bei Schmid sind es sein berufliches Wirken für Karl May und seine sportlichen Erfolge in der Schachwelt. Am 10. Mai wird er 83 Jahre alt.

Der ältere Herr mit dem weißen Haar beeindruckt seine Gäste durch eine freundliche Gesprächsführung und einen unerschöpflichen Fundus von ernsten wie humorvollen Einblicken in sein Leben. Dabei überrascht er immer wieder mit kuriosen Anekdoten und Zeugnissen – etwa dem Original-Manuskript des vierten Winnetou-Romans von Karl May oder einer wertvollen Schachsammlung, bestehend unter anderem aus Muschel-Spielfiguren.

Ein Leben mit Karl May

Mit seinen drei Brüdern wuchs der am 10. Mai 1928 geborene Lothar Schmid in Radebeul bei Dresden auf. Sein Vater Dr. Euchar Albrecht Schmid lenkte als Geschäftsführer und Mitinhaber den Karl-May-Verlag seit seiner Gründung 1913 über die wirtschaftlich wie politisch schwierigen Anfangsjahrzehnte hinweg.

Nach dem Zweiten Weltkrieg, als die Buchbestände nahezu vernichtet waren und Karl May bei der DDR-Führung zur unerwünschten Person geworden war, kam es zur schrittweisen Übersiedelung des Verlags und der Verlegerfamilie Schmid nach Bamberg.

Hier studierte Lothar Schmid erfolgreich Jura. Mit dieser Studienfachwahl folgte er seinem Vater, der 1951 verstarb und damit seinen drei Söhnen (ein vierter war im Krieg gefallen) die Weiterführung des Karl-May-Verlages sozusagen vererbte.

Schmid übernahm in den nächsten Jahrzehnten die juristischen Angelegenheiten des Verlags. Zu den Höhepunkten seiner Tätigkeit gehören die Treffen mit dem Filmproduzenten Horst Wendlandt, mit dem er 1962 im Hotel Königshof in München zusammensaß und über die Filmrechte zu "Der Schatz im Silbersee" verhandelte.

So berichtet Schmid gerne von der Szene, als Wendlandt einen jungen Kellner fragte, ob er denn Karl May kenne. Dieser habe geantwortet: "Na klar!" Wendlandt habe sich dann wieder dem Verhandlungsführer des Karl-May-Verlages zugewandt und gesagt: "Herr Schmid, wir machen den Film!" Das war der Startschuss für die erfolgreiche Kinoreihe der 60er-Jahre mit Pierre Brice und Co.

Seit 1993 leitete Lothar Schmid den Verlag alleine; im selben Jahr trat sein Sohn Bernhard in das Unternehmen ein, das sie bis 2007 gemeinsam führten. Seither fungiert Lothar Schmid als Berater und Gesellschafter.

Auf die Frage in einem Stern-Interview, was ihm persönlich die Bücher von Karl May bedeuten würden, antwortete er: "Am meisten bewundere ich heute Karl Mays gesamtes Lebenswerk, mehr als ein bestimmtes Buch. [...] Bei der Sicht des Werkes erscheint mir am wichtigsten, dass May mit der Buntheit und Vielfalt seiner Beschreibungen und seiner Ideen die Fantasie anregt; das gehört zum größten Schatz des menschlichen Daseins: die eigene Fantasie."

Ein Leben mit dem Schach

Schon als Schüler entdeckte Schmid seine Liebe zum Schach. Noch heute schwärmt er von seinen Begegnungen mit den großen Schachlegenden der 40er-Jahre ebenso wie von seiner Freundschaft mit dem späteren Weltmeister Bobby Fischer.

Als Spieler errang der Verleger höchste Meriten. Zu seinen Erfolgen zählen der Gewinn der Meisterschaft der Sowjetischen Besatzungszone 1947 und die erste deutsche Meisterschaft 1950 – beides im Fernschach. Bei der von 1956 bis 1959 ausgetragenen zweiten Weltmeisterschaft belegte Schmid den geteilten 2. Platz beim Fernschach. Jahrzehntelang vertrat er Deutschland auf Schacholympiaden am 2. Brett. Schmid ist einer der wenigen deutschen Schachgroßmeister überhaupt.

Sehr erfolgreich verlief zudem Schmids Laufbahn als Schiedsrichter. 1972 wurde er gebeten, dass Weltmeisterschaftsduell in Reykjavík zwischen dem Amerikaner Bobby Fischer und dem damals amtierenden russischen Weltmeister Boris Spasski als Hauptschiedsrichter zu leiten. Es war die Zeit des kalten Krieges, als die Supermächte in nahezu jedem Bereich des öffentlichen Lebens miteinander wetteiferten – auch im "Spiel der Könige".

Unbeeindruckt vom medialen Rummel leitete Schmid die Partien mit einem vielgelobten Fingerspitzengefühl. 20 Jahre später gab es erneut ein Duell der beiden Kontrahenten. Und wiederum war Schmid gebeten worden, als Schiedsrichter zu agieren. Auf dem Flug nach Jugoslawien waren laut Schmid selbst im Flugzeug die Kampfaktivitäten des Bosnienkrieges zu vernehmen – für den Verleger kein Grund, die Nerven zu verlieren.

Auch bei weiteren WM-Kämpfen (Karpow gegen Kortschnoi, 1978, und Kasparow gegen Karpow, 1986) und vielen anderen Top-Ereignissen zeichnete sich Schmid durch seine umsichtige Leitung aus, weshalb ihn der Weltschachverband 2005 mit dem Titel "Schachschiedsrichter des Jahrhunderts" auszeichnete.

Berühmt ist auch Lothar Schmids Sammlung von über 50.000 Schachpublikationen, die vermutlich die größte in Deutschland und weltweit die bedeutendste Privatsammlung dieser Art ist.

Als anlässlich der Schacholympiade 2008 in Dresden Karl Mays Bühnenstück "Babel und Bibel" aufgeführt werden sollte, in dessen Mittelpunkt ein Schachspiel – nicht gespielt mit kleinen Figuren, sondern mit lebendigen Menschen steht –, hätte sich auch für den eingeladenen Lothar Schmid ein Lebenskreis um seine beiden Leidenschaften schließen können. Zu seinem Bedauern musste die einmalige Veranstaltung aus finanziellen Gründen ausfallen.

Lothar Schmid wird dennoch auch weiterhin in beiden Welten – der von Karl May und der des Schachs –  teilnehmend und fördernd unterwegs sein.

Der Autor Jürgen Seul lebt als freier Publizist und Redakteur in Bad Neuenahr-Ahrweiler. Er verfasste zahlreiche Publikationen u. a. zum Architektenrecht, Arbeitsrecht sowie zu rechtshistorischen Themen.

 

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Zitiervorschlag

Jürgen Seul, Lothar Schmid: Unter kalten Kriegern und roten Männern . In: Legal Tribune Online, 09.05.2011 , https://www.lto.de/persistent/a_id/3225/ (abgerufen am: 23.04.2024 )

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