Freimaurer und Rechtsphilosoph Karl Krause: Von der "gött­li­chen Pflege des Rechts"

von Martin Rath

12.03.2023

In Deutschland ist der gründlich gescheiterte Gelehrte Karl Christian Friedrich Krause auch Fachleuten kaum bekannt. Vor allem in Spanien und Lateinamerika zählte er kurioserweise zu den rechtsphilosophisch einflussreichsten Denkern.

Das Urteil mancher Nachgeborener über diesen (Rechts-) Philosophen ist selbst für das an Bissigkeiten reiche akademische Geistesleben mitunter sehr garstig.

In Deutschland ist der Name Karl Christian Friedrich Krause (1781–1832) bestenfalls noch Fachleuten bekannt. Gelesen wird sein Werk hierzulande kaum, studiert noch weniger. Nach seinem Tod machte es aber in Portugal, Spanien und Lateinamerika eine derart beachtliche Karriere, dass man dort von einem regelrechten "Krausismo" sprach.

Das bissige Urteil zur Popularität in der vor allem spanischsprachigen Welt: Krause sei dort nur bekannt geworden, weil einer seiner wichtigsten Anhänger, der Jurist und Sozialwissenschaftler Julián Sanz del Rio (1814–1869), unter "mentaler Faulheit" gelitten, es bei ihm also intellektuell nicht für die scharfsinnigeren deutschen Exportartikel – Kant, Hegel oder Marx – gereicht habe.

Fast ein Wunderkind (jedenfalls nach heutigen Maßstäben)

Für Krause selbst kann der Vorwurf kaum gelten. Noch nicht mit der zweifelhaften Effizienz des heutigen Schulsystems konfrontiert, war er nach den Maßstäben seiner Zeit zwar kein Wunderkind, aber doch früh reif für höchste Weihen: 1781 als Sohn eines Pfarrers in Thüringen geboren kam er schon 1797 zum Studium der Philosophie und Mathematik an die Universität Jena.

Als 20-Jähriger war er bereits zum Doktor der Philosophie promoviert, im Jahr darauf folgte die erste der insgesamt drei Habilitationen seines nicht allzu langen Lebens. Zwischen 1802 und 1804 hielt der junge Mann als Privatdozent in Jena Vorlesungen unter anderem zum Naturrecht, der Mathematik und Logik.

In der thüringischen Residenzstadt Altenburg wurde Krause 1805 in die Freimaurerloge "Archimedes zu den drei Reißblättern" aufgenommen – allerdings nicht, wie das "Internationale Freimaurer-Lexikon" von Lennhoff und Posner (1932) anmerkt, nach dem "alten Maurereid", sondern mit dem eigenwilligen Gelöbnis, "er wolle ein sittlicher und guter Mensch, ein gewissenhafter und treuer Maurer sein, die allgemeinen Gesetze der Maurerschaft befolgen … und hinsichtlich der Maurerei verschwiegen sein, sofern dies mit seinem Gewissen und seinen sonstigen moralischen Verpflichtungen, insonderheit auch seinen Verpflichtungen gegen den Staat in Einklang stehe".

Neben der seinerzeit noch klar als geistige Genossenschaft organisierten Universität – heute verstehen sich in der so genannten Einrichtung viele doch eher als Dienstleister und Kundschaft – bot die Freimaurerloge in Dresden Krause ein weiteres Forum, seine Lehre zu verbreiten. Zudem war ein beachtlicher Teil der Professorenschaft gesellschaftlich mit der Freimaurerei verbunden, die ja überhaupt bis ins Jahr 1933 ein wichtiger Teil der intellektuellen Sozialstruktur Deutschlands blieb.

Akademische Karriere braucht mehr Geschmeidigkeit

Sein offenherzig-schwärmerischer Stil – ein Beispiel soll später folgen – führte jedoch bald zum sozialen Bruch mit den Freimaurern. Weil einige Logen in Schriften Krauses einen Verrat von Geheimnissen der Freimaurerei sahen, wurde erfolgreich sein Ausschluss aus der Loge betrieben. Das größte Geheimnis der Freimaurerei war zwar schon damals bekannt: dass sie überhaupt keines hat. Der Verdacht, dies verraten zu haben, wird aber – wie bei Hans Christian Andersens nacktem Kaiser – stets heftig übelgenommen. Kein Grund also für heutige Aluhut-Träger, sich stellvertretend für Krause in der eigenen Paranoia bestätigt zu fühlen.

Es kamen Wanderjahre, Reisen nach Italien und Frankreich, die Heirat – Krause-Biografen nennen zwölf bis 14 Kinder. Derweil folgte der Versuch, eine Professur an der neuen Universität zu Berlin zu bekommen. Doch es blieb beim kargen Status eines Privatdozenten. 1824 habilitierte sich Krause in Göttingen, der wohl modernsten deutschen Hochschule, wo er rund sechs Jahre lehrte, allerdings wiederum nur als Privatdozent. Im Königreich Hannover fiel der Gelehrte jedoch 1830/31 in Ungnade, weil man ihn liberaler, also revolutionärer Umtriebe und unliebsamer Verbindungen nach Frankreich verdächtigte.

Ein letzter Versuch, an einer Universität Fuß zu fassen – im damals relativ liberalen München – traf auf Opposition dort schon etablierter Gelehrter, schließlich auf den Tod. Mit 51 Jahren starb Krause dort.

Nachleben im Ausland durch glücklich-unglückliche Umstände

Wenngleich Krause durch seine Lehrtätigkeit und Schriften auch zu Lebzeiten durchaus einige Bekanntheit genoss, fehlte mit der Professur der entscheidende Schritt, im akademischen Universum durch eine verstetigte Schülerschaft unsterblich zu werden – der Wert dieser Ehre ist heute, angesichts von über 50.000 Professorinnen und Professoren, in Deutschland vermutlich etwas verblasst. 

Einen seiner aber eben doch vorhandenen Schüler, den Rechtsphilosophen Heinrich Ahrens (1808–1874), trieb es – als "Aufrührer" im Deutschen Bund steckbrieflich gesucht – 1831 über Brüssel ins Exil nach Paris. 

Unter anderem durch Ahrens vermittelt, gelangten die Lehren von Krause in die französischsprachige Publizistik – und weil sich in Paris seinerzeit jeder einmal aufhielt, der in den konservativ bis reaktionär verwalteten Monarchien Europas nicht weiterkam, gerieten die Ideen Krauses über Spanien und Portugal auch in die Köpfe von fortschrittlichen jungen Gelehrten aus Lateinamerika, die Wurzel für den bis ins 21. Jahrhundert nachwirkenden "Krausismo" war gelegt. 

Krause schwärmt von göttlichen Harmonien, die Recht bedingen

Für fortschrittliche Geister der spanischen und portugiesischen Welt war Krause – oder das, was nach der Übersetzung ins Französische von seinen Gedanken übrigblieb – interessant, weil seine Naturrechtslehre einen Ausgangspunkt wählte, der im 19. Jahrhundert stark aus der Mode gekommen war: Das Recht komme aus einer Harmonie, die von Gott herrühre. 

In seinem Werk "Das Urbild der Menschheit" (1811/1851) führte Krause diesen Ausgangspunkt seines philosophischen Denken so ein:

"Gott zu denken und zu empfinden ist das theuerste Kleinod des Menschen. In harmonischem Zusammenstimmen des Geistes und des Gemüthes wird Gott ihm gegenwärtig, dass er in Gottes Licht und Liebe lebe. In Gottes Kraft erblühet jeder Verein; der Familien innige Bande kettet Gott, auf ihn stützt sich der Staaten Kraft und Macht. Im Anschaun Gottes bildet sich die Wissenschaft, in ihm entspringt sie, bleibt in ihm, und kehrt zu ihm zurück."

Diesen schwärmerischen Tonfall hält Krause über viele Druckseiten durch – bis hin zur "göttlichen Idee des Rechts":

"Das Recht wird von Gott schlechthin gefordert, und jedes Wesen ist daher ein Diener der göttlichen Gerechtigkeit, es nimmt auf seine Weise Theil an der göttlichen Rechtspflege." – Krause dachte hier wohl auch an Tiere, die nur in diesem weiteren Schritt wieder auf die Plätze verwiesen werden: "Je reicher und lebendiger ein Wesen, und je vielfältiger und inniger es mit andern verflochten ist, desto weiter und vielseitiger ist seine Rechtssphäre, desto verwickelter, organischer und zarter werden seine Rechtsverhältnisse, einen desto grösseren Antheil hat es an der göttlichen Pflege des Rechts." 

Diese für heutige Augen und Ohren ungewohnte Sprache mag zu der Vermutung führen, man habe es mit einem reaktionären Kopf zu tun. Denn wer so viel über göttliche Harmonien spricht, kann nach heutiger Semantik fast nur eine Monarchie von Gottes Gnaden im Sinn haben – und ausgerechnet das soll für revolutionäre, progressive Köpfe in Spanien oder Lateinamerika attraktiv gewesen sein?

Schwärmerei führt zu fortschrittlichen normativen Ideen

Warum der "Krausismo" trotz dieser mittelalterlich oder romantisch anmutenden Schwärmerei attraktiv war – und teils bis heute ist – deutet sich im Folgenden an.

Weil jedes Wesen, je zartere soziale Bande es pflegt, an der göttlichen Pflege des Rechts beteiligt sei, ist für Krause "die Menschheit mit allen ihren innern Ganzen bis zum einzelnen Menschen herab die grösste und erste Rechtsperson auf Erden. "In des Menschen Brust redet unwillkührlich das ehrwürdige Gefühl des Rechts; er schaut diese göttliche Idee umfassend und klar, er empfindet es, dass sie durch Gott und Welt und durch seine eigne Natur heilig ist. Der Mensch ist gezwungen, das Recht zu ehren, auch ehe er es liebt, auch wenn sein leidenschaftliches Herz noch gegen die erhabne Strenge des Rechts ankämpft, selbst wenn er das Recht verletzt hat. Das Gefühl des Rechts erhebt den Menschen über sich selbst, es reinigt ihn mit göttlicher Gewalt von Eigennutz und Selbstsucht, es macht hierin Geist und Gemüth Gott ähnlich."

Damit kann man, so lässt sich sagen, doch immerhin arbeiten.

Denn Krause schloss aus diesen hochherzigen Axiomen auf eine Reihe von seinerzeit, teils heute noch aufrührerischen Postulaten. Nicht nur Männer, sondern auch Frauen und Kinder genössen die Freiheit, die unmittelbar aus dem Gefühl des Rechts rührt. Tiere als Wesen, die an der göttlichen Gerechtigkeit teilhaben, dürften nur verletzt werden, sofern Menschen anderenfalls Schaden nähmen.

Unterschiede der sogenannten Rassen seien unerheblich, der Staat kein Apparat der Unterwerfung, sondern der Koordination und Kooperation. Die Staaten sollten sich zu Staatenbünden vereinen – je ein europäischer, afrikanischer, ein nordamerikanischer, karibischer, südamerikanischer und austronesischer Völkerbund –, in denen die Staaten "ohne Rückhalt des Notrechtes, der Selbsthilfe, der Notwehr und der Notrache" die verfassungsmäßigen Urteile des Bundes durch ein internationales Gericht anerkennten.

Der von Krause erdachte Staat und ein jeder dieser Völkerbünde verabscheue die Idee, dass das Recht nur so weit gelte, wie die Gewalt, es durchzusetzen.

In Lateinamerika ist der "Krausismo" immer noch so etwas wie die Hausphilosophie von Politikern, die sich einerseits vom liberalen Egoismus absetzen wollen, vor der Rezeption der marxistischen Lehren aber zurückschrecken – insbesondere in Uruguay und Argentinien hat Krause bis heute eine gelehrte Leserschaft, wenn auch meist wohl aus zweiter oder dritter Hand. Im deutschsprachigen Raum ist der in Tübingen lehrende Philosoph Claus Dierksmeier (1971–) der bekannteste Fürsprecher eines neuen "Global Krausismo".

Krause bleibt wohl (Rechts-) Philosoph für (Rechts-) Philosophen

Kenner von Krauses Werk merken an, dass es nicht fair sei, ihn als semantischen Sonderling, als Erfinder einer Kunstsprache abzutun. Im Vergleich zu vielen Philosophen seiner Epoche trifft das zu. Abgesehen davon verlangt ohnehin jede (rechts-) philosophische Arbeit, sich die Gedanken aus einer Sondersprache zu erschließen. 

Allerdings ging Krauses vom Philosophen-Gott abgeleitete Liebe zur Menschheit derart weit, dass er sich auch dazu Gedanken machte, wie das Deutsche so zu verbessern sei, dass diese Sprache einen besseren Beitrag zu Wissenschaft und Kunst – neben dem Recht weitere Ausflüsse Gottes – leisten könne. 

Heraus kam dabei eine eigenwillige Linguistik, die nicht nur zur Eindeutschung von Fremdwörtern riet – es wird sogar vermutet, dass Krause die Vokabel "Fremdwort" im Deutschen etablierte –, sondern es auch mit urdeutschen Wörtern auf seltsame Weise ganz genau nahm. Ein Beispiel: "Das Wort Künstler ist fehlgebildet nach andern Wörtern, wo das l einen Sinn gewährt, z.B. Sattler von Sattel, Gürtler von Gürtel; und da wir das Wort künsteln haben, so ist Künstler nur auslegbar als Einer, der da künstelt." – Deshalb erklärte Krause, dass er einen Menschen, dessen Beruf die Kunst ist, stattdessen als "Kunster" bezeichne. 

Aber wer weiß. So wie die Zufälle der deutschen Staatsschutzgeschichte dafür gesorgt haben, dass Krause in Lateinamerika zu einer bekannten Adresse der Sozial- und Rechtsphilosophie wurde, kommen seine etwas verschrobenen linguistischen Überlegungen vielleicht auch noch ganz groß heraus. Das Niveau, auf dem bei Twitter & Co. über richtiges Deutsch nachgedacht wird, ist oft ja kein anderes.

Nachtrag 02.04.2023. Im Jahr 2022 wissenschaftlich ediert wurde Karl Christian Friedrich Krause: Das Urbild der Menschheit. Ein Versuch, herausgegeben von Benedikt Paul Göcke und Johannes Seidel SJ, Hamburg (Meiner). Im Sommer 2023 erscheint Krauses Das System der Rechtsphilosophie, herausgegeben von Benedikt Paul Göcke und Elena Maria Catania und Claus Dierksmeier im gleichen Verlag. Das European Journal for Philosophy of Religion widmete dem Werk Krauses Heft 2/2022 (€). (MaR)

Zitiervorschlag

Freimaurer und Rechtsphilosoph Karl Krause: Von der "göttlichen Pflege des Rechts" . In: Legal Tribune Online, 12.03.2023 , https://www.lto.de/persistent/a_id/51282/ (abgerufen am: 17.04.2024 )

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