ARD-Serie "Kafka": Dr. Kafka und der Arbeits­schutz

Gastbeitrag von Dr. Sebastian Felz

13.04.2024

Franz Kafka schrieb nicht nur Weltliteratur, sondern auch über den "Umfang der Versicherungspflicht der Baugewerbe" oder der "Unfallverhütungsmaßregel bei Holzhobelmaschinen". Den Dichter als Arbeitsschützer zeigt die neue ARD-Serie "Kafka".

Franz Kafka musste lachen. Am 28. April 1910 wurde der "Anstaltspraktikant" Kafka zum "Concipisten" befördert. Seit zwei Jahren war Kafka bei der "Arbeiter-Unfall-Versicherungsanstalt für das Königreich Böhmen in Prag" (AUVA) beschäftigt. Sein Aufgabengebiet beschrieb sein Freund und Biograph Max Brod so: "Unfallverhütung und die Bearbeitung der Rekurse bezüglich Einreihung von Betrieben in die einzelnen Gefahrenklassen".  

Mit zwei Kollegen "in feierlich schwarzem Anzug" bedankten sich die frisch Beförderten an diesem Frühlingstag beim Präsidenten der Versicherungsanstalt, Hofrat Otto Přibram, für die Rangerhöhung. Während einer kurzen Dankesrede eines Kollegen beobachtete Kafka seinen Präsidenten, der eine "urkomische Haltung" eingenommen hatte: "Die Beine leicht gekreuzt, die linke Hand zur Faust geballt auf die äusserste Tischecke gelegt, den Kopf gesenkt, so dass sich der weisse Vollbart auf der Brust einbiegt und zu alledem den nicht allzu grossen aber immerhin vortretenden Bauch ein wenig schaukelnd". Kafka versuchte bei diesem Anblick sein Lachen noch als Husten zu tarnen, als der Präsident aber seine "ganz und gar sinnlose und unbegründete Rede" begann und schließlich ein anderer Kollege auf die Ausführungen "etwas (schon im Allgemeinen und hier insbesondere) Läppisches daherredete", konnte Kafka nicht mehr an sich halten und brach in schallendes Gelächter aus. Diese Aktion werde ihn "als Legende in der Anstalt" überleben, schrieb er an seine Verlobte Felice Bauer.  

Diese Episode, die im vierten Teil mit dem Titel "Bureau" der ARD-Serie "Kafka" gezeigt wird, war ihm deshalb besonders peinlich, da Präsident Přibram der Vater seines Mitschülers Erich war, dessen Fürsprache es ermöglicht hatte, dass Kafka Ende Juli 1908 als Aushilfsbeamter bei AUVA eingestellt wurde. Der – in der Serie auch gezeigte –schriftliche Antrag auf Gehaltserhöhung zeugen von seiner Enttäuschung über die finanziellen Folgen dieser Beförderung. 

Kafka lacht den Präsidenten aus 

Weitaus weniger zum Lachen fand Kafka seine stille Teilhaberschaft an der "Prager Asbestwerke Hermann & Co.". Sie war ihm Ende 1911 durch Vater Hermann und Schwager Karl Hermann aufgedrückt worden. Produziert wurden Isoliermaterialien an 14 Maschinen, die von einem einzigen 35 PS starken Dieselmotor angetrieben wurden. Der stark krebserregende Stoff ist in Deutschland seit 1993 verboten. 80 Jahre zuvor gab es keinen Mundschutz, nur Kopf- und Halstücher und abends eine Kleiderbürste. Diese Verwicklungen mit der Firma sind Gegenstand des dritten Teils der Serie mit dem Titel "Familie". Im Oktober 1912 schreibt Kafka an seinen Freund Max Brod, dass er nur die "Möglichkeit, [...] aus dem Fenster zu springen oder [...] täglich in die Fabrik [...] zu gehen [sah]".  

In der Serie gibt es eine Szene, in der Brod, Kafka und sein Schwager Karl Hermann auf die Inspektoren der Unfallversicherung treffen. Die Szene beschreibt – allerdings für Kafka in verkehrter Rolle als "Betriebsunternehmer" – einen Streit über die Einreihung in die richtige Gefahrenklasse nach § 14 des Gesetzes vom 28. December 1887, betreffend die Unfallversicherung der Arbeiter (UVG). 

§ 14 UVG sah vor, dass alle versicherungspflichtigen Betriebe in Gefahrenklassen einzuteilen waren. Versicherungspflichtig waren nach § 1 UVB Betriebe mit hohem Risiko wie Hütten- und Bergwerke, Werften und Steinbrüche, aber auch alle gewerblichen und land- sowie forstwirtschaftlichen Betriebe mit Dampfkesseln und Triebwerke, die mit elementaren Kräften oder Tieren angetrieben werden. Das Durchschnittsmaß für den gefährlichsten Betrieb wurde gleich 100 gesetzt. Alle anderen Betriebe wurden in Relation zu diesem Durchschnittsmaß eingeteilt. Das heißt, die jeweiligen Prozentsätze wurden in der entsprechenden Gefahrenklasse durch die Versicherungsanstalt nach Unfallgefahr und Maßnahmen der Unfallverhütung festgelegt. Grundlage der Beitragsberechnung war nach § 18 UVG die Lohnsumme der im Betrieb beschäftigten Arbeiterinnen und Arbeiter.  

Die Einteilung in die Prozentsätze der jeweiligen Gefahrenklasse war eine heikle Angelegenheit. Sie fußte – wie in der Serie gezeigt – auf dem Betriebskataster der Versicherungsanstalt, der Ortserfahrung und den Berichten der Gewerbeinspektoren. Kafka war Anfang 1910 bei der gesetzlich angeordneten Überprüfung der Einreihungsbescheide, die alle fünf Jahre zu erfolgen hatte, involviert. Es wurden über 35.600 Neueinreihungsbescheide versendet. 

Kafka verteidigt die Einreihungsbescheide der AUVA 

Diese Post aus Prag sorgte für Aufregung bei den Unternehmern. Auch in den vier Kafka zugeteilten Bezirken im deutschsprachigen Nordböhmen, der bedeutendsten Industrieregion der Doppelmonarchie Österreich-Ungarn. Kafka musste – auch dies zeigt die Serie – ins nordböhmische Goblenz. Die Glasindustrie beschäftigte hier bis zu 50.000 Arbeiterinnen und Arbeiter. An einem Abend im September 1910 musste Kafka die Gefahrklasseneinreihung verteidigen, was ebenfalls szenisch in der Serie umgesetzt ist. Im Vorfeld schrieb Kafka an Max Brod, dass er "zwischen Schurken und Lumpenhunden" schon in der Zeitung angekündigt werde.  

Als Vertreter der AUVA erklärte er die Unfallversicherungspflicht im Allgemeinen, das Ausfüllen des Fragebogens sowie die Kriterien für die Einstufung und bedauerte die ausbaufähige Kommunikation zwischen Unfallversicherungsanstalt und ihren Mitgliedern. Die Unternehmer antworteten ungehalten über die (angeblich) gewerbefeindlichen Gesetze im Allgemeinen, die Laienhaftigkeit der Gewerbeinspektoren im Besonderen und vertraten als bestes Mittel der Prävention folgenden Sinnspruch: "Gedanken und Augen bei der Arbeit, das sei der beste Schutz gegen jeden Unfall."  

Aber Kafka vertrat nicht nur auf Versammlungen mit Unternehmern die Interessen der Unfallversicherung, sondern war – ebenfalls filmisch umgesetzt – auch vor den Bezirksgerichten erfolgreich und erstritt beachtliche Summen.  

"Gedanken und Augen bei der Arbeit, das sei der beste Schutz gegen jeden Unfall." 

In der Diskussion Kafkas mit den Gewerbeinspektoren (Episode 4) als auch in einem Gespräch mit seinem Vorgesetzten Robert Marschner (Episode 5) werden zwei bekannte juristische Artikel Kafkas erwähnt. Zum einen der Text über "Unfallverhütungsmaßregeln bei Holzhobelmaschinen", der im Bericht der AUVA für das Jahr 1909 erschien. Ein weiterer Bericht Kafkas zum Thema erschien im Folgejahr im Jahresbericht für 1910. Der mit drastischen Bebilderungen amputierter Finger illustrierte Artikel schildert die Gefährlichkeit von Holzhobelmaschinen mit Vierkantwellen.  

Diese Art von "Schockwerbung" für mehr Sicherheit war neu. Die Messer der Vierkantwellen drehten sich mit ihrer nackten Schneide bei 3.800 bis 4.000 Umdrehungen pro Minute. Wesentlich sicherer seien runde Sicherheitswellen, deren Messer geschützt liegen. Neben diesem Sicherheitsaspekt hebe Kafka auch hervor, dass die Art der Holzhobel günstiger in Anschaffung und Wartung seien und die besseren Produkte herstelle.

Der zweite Aufsatz beschäftigt sich mit der "Einbeziehung der privaten Automobilbetriebe in die Versicherungspflicht". Kafka kritisierte, dass in dem "Gesetz über die Haftung für Schäden aus dem Betriebe von Kraftfahrzeugen" vom 9. August 1908, das in erster Linie privatrechtliche Haftpflichtbestimmungen enthält, nun Personen der staatlichen Unfallversicherung unterliegen, "die im Betriebe von Kraftfahrzeugen in Ausübung ihres vertragsmäßigen Dienstes verwendet werden".  

Vielfältige Fragen über die Schwierigkeiten, einen Überblick über alle einschlägigen Automobile zu gewinnen, die Einreihung der Gefahrenklassen nach PS oder Fragen nach der Übernahme von Privathaftpflichtversicherungen, diskutiert Kafka in diesem Artikel.  

Mit Beginn des Ersten Weltkrieges war die AUVA auch für die Versorgung von Kriegsversehrten zuständig. Bis zu 80 Invaliden begegneten Kafka nun täglich, für die es um Renten, Rehabilitationen und neue Verwendungen im Arbeitsleben trotz schwerer körperlicher Behinderungen ging. Im März 1916 schrieb Kafka an Felice Bauer, dass er sich wie eine "eingesperrte Ratte" fühle und "Freiheit vom Bureau" suche. Kafka erkrankt 1916 an der Lunge; er verlässt die AUVA faktisch im September 1917 und verstirbt am 3. Juli 1924. Im letzten Dokument der AUVA über ihren Obersekretär i. R. JUDr Franz Kafka heißt es, dass den Eltern nach § 15 der Pensionsbestimmungen ein Sterbegeld von aufgerundet 4.365 Kronen zustehe: "Andere Versorgungsansprüche sind durch seinen Tod nicht entstanden". 

Der Autor Dr. Sebastian Felz ist im Vorstand des Forums Justizgeschichte

 

Die Serie in der ARD-Mediathek: 

https://www.ardmediathek.de/serie/kafka/staffel-1/Y3JpZDovL25kci5kZS80OTg3/1 

 

Über Kafka als Arbeitsschützer informieren folgende Publikationen: 

Hans Gerd Koch u. a.: "Kafkas Fabriken". Deutsche Schillergesellschaft 2002, Marbacher Magazin 100/2002, 160 Seiten, antiquarisch. 

Klaus Hermsdorf (Hrsg.): Franz Kafka. "Hochlöblicher Verwaltungsausschuss!". Amtliche Schriften, Frankfurt am Main 1991, 453 Seiten, antiquarisch. 

Zitiervorschlag

ARD-Serie "Kafka": Dr. Kafka und der Arbeitsschutz . In: Legal Tribune Online, 13.04.2024 , https://www.lto.de/persistent/a_id/54326/ (abgerufen am: 29.04.2024 )

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