Die Geschichte der Polizei: Der Freund und Helfer, der immer noch Rüs­tung trägt

von Martin Rath

15.03.2020

Problematische Gewaltausübung durch Polizeibeamte, unzureichende Prüfung des Polizeihandelns seitens der Justiz – Kritik wird immer wieder laut. Eine Zeitreise ab dem "Blutmai" anlässlich des Internationalen Tages gegen Polizeibrutalität.

Voller Stolz über die nach deutschen Maßstäben damals außerordentlich fortschrittliche Hauptstadt berichtete der Berliner Polizeipräsident Karl Zörgiebel (SPD, 1878–1961) im Jahr 1927 den Kollegen in Paris von der Ausstattung seiner Behörde: 14.000 uniformierte Schutzpolizisten bezahlte das erst zum 1. Oktober 1920 auf Kosten der Umlandgemeinden auf ein Vielfaches seiner bisherigen Größe ausgeweitete Groß-Berlin bei knapp vier Millionen Einwohnern.

Hinzu kamen 2.500 Beamte der Kriminalpolizei und 300 im Staatsschutz, 250 Kraftfahrzeuge sorgten für ein modernes Maß an Mobilität, die Telefonanlage des Polizeipräsidiums am Alexanderplatz war ebenfalls unerhört fortschrittlich. Jeder Beamte der Schutzpolizei verfügte über Gummiknüppel und Pistole, jeder dritte Mann hatte einen Karabiner, jede Einheit der Bereitschaftspolizei zudem fünf Maschinenpistolen.

Als Erinnerung an diese Epoche der Polizeigeschichte ist freilich vor allem der "Blutmai" erhalten geblieben: Zwischen dem 1. und 3. Mai 1929 wurden beim Versuch, ungenehmigte kommunistische Demonstrationen zu unterbinden, 33 Menschen getötet, zahlreiche verletzt. Nicht zuletzt die KPD- und spätere SED-Propaganda machten daraus ein Fanal für die eigentlich doch von Sozialdemokraten und aufgeschlossenen Liberalen verantwortete Polizeiführung der Weimarer Republik. Die nationalsozialistische Propaganda polemisierte zudem noch nostalgisch gegen den Gummiknüppel des Berliner Schutzpolizisten als Symbol der republikanischen "Systemzeit" – sie spielte mit der Idee, den von militärisch ausgebildeten Polizisten schmerzlich vermissten Säbel wieder zur Waffe der Wahl zu machen.

Im NS-Staat blieb der Säbel dann aber doch Requisite. Die Polizei war nun wesentlich am Staatsterror beteiligt – spät, aber doch bereits seit den Veröffentlichungen des amerikanischen Historikers Christopher Browning (1944–) aus den 1990er Jahren zum Hamburger Reserve-Polizei-Bataillon 101 ist die Beteiligung der deutschen Polizei an Holocaust und Kriegsverbrechen auch einer breiteren Öffentlichkeit bekannt.

Wenig zur Vertrauensbildung angetan sind immer wieder neue historische Fundstücke. An der Polizeischule Fürstenfeldbruck diente beispielsweise mit Hans Hösl (1896–1987) ein mutmaßlicher Kriegsverbrecher und zudem an der Verschleppung der jüdischen Bürger Athens nach Auschwitz beteiligter Beamter nach dem Krieg dem polizeilichen Nachwuchs als Dozent für Strafrecht.

1950er bis 1970er Jahre: das liberale Deutschland wünscht eine neue Polizei

Von einem gesellschaftshistorischen Standpunkt betrachtet gibt es gute Gründe, diesen Teil der Geschichte durch Generationswechsel für erledigt zu erklären. Doch würde dies die Sache unzulässig verkürzen – denn die Reaktion der liberalen Gesellschaft der jungen Bundesrepublik und der Reformwille, der in Deutschland einmal lebendig war, würden dann noch mehr in Vergessenheit geraten, als sie es ohnehin sind.

Zur Geschichte des für die Entwicklung des deutschen Rechts fundamentalen Lüth-Urteils vom 15. Januar 1958 zählte beispielsweise nicht nur die engere Rechtsfrage, ob und wie Erich Lüth (1902–1989) durch Grundrechte geschützt war, als er zum Boykott der Nachkriegswerke Veit Harlans (1899–1964) aufrief, der durch NS-Propagandafilme wie "Jud Süss" belastet war.

Auch in der Polizeigeschichte spielt der Fall Harlan eine Rolle. In Freiburg/Br. hatten im Jahr 1952 Studenten gegen die Premiere des neuen Harlan-Films "Hanna Amon" protestiert. Eine Straßenblockade wurde am 16. Januar 1952 von der Polizei gewaltsam aufgelöst. Dass die protestierenden Studenten von den Kinobesuchern unter anderem als "Judensöldlinge" beschimpft wurden, war der Polizei hingegen kein Eingreifen wert.

Der baden-württembergische Landtag nahm sich der Vorgänge an. Der verantwortliche Polizeidirektor Bieser verlor schon im März 1952 seine Position, nachdem bekannt geworden war, dass er sich am Tag des Kino-Ereignisses gesellig mit Harlan getroffen und die Kinobesucher dazu eingeladen hatte, über sein Vorgehen gegen die Demonstranten abzustimmen.

Ein wenig beklemmend ist, dass die Bemühungen meist junger und offener Führungskräfte der Polizei, gegenüber derartigen Zumutungen einer autoritären und noch vordemokratischen Polizei ein neues Selbstverständnis und neue Verhaltensweisen zu etablieren, kaum in die öffentliche Wahrnehmung der Polizei eingeflossen sind.

Unter dem Titel "Die gesellschaftlichen Veränderungen und die Polizeiausbildung" tagten beispielsweise vom 24. bis 26. März 1971 insoweit zuständige Führungskräfte der Polizei in den Räumen des Polizei-Instituts Hiltrup, der heutigen Deutschen Hochschule der Polizei, zur Frage, wie ihre Behörden sich auf die moderne Gesellschaft einzurichten hätten.

Selbstbewusste Polizei im demokratischen Rechtsstaat?

Der Nürnberger Polizeipräsident referierte beispielsweise, dass die deutsche Polizei auf die unvermeidlichen – weltweit zu beobachtenden – Konflikte mit Strategien reagieren müsse, die ihren "gewaltlosen Ablauf" garantierten – auch um jenen Hass auf die Polizei zu vermeiden, der den Kollegen in den USA oder Frankreich entgegenschlug. Es war die Zeit des Algerien- und Vietnamkriegs.

Statt ihre exponierte Position in gesellschaftlichen Konflikten lautstark zu beklagen, müssten die Polizisten sich selbstbewusst wahrnehmen: "Da die Polizei die gesellschaftlichen Veränderungen aus der Nähe erlebt, hat sie fast ein Erkenntnisprivileg."

Eine Kriminaldirektorin aus Düsseldorf erklärte das bisherige Jugendschutzkonzept, das darauf abgezielt habe, Kindern und Jugendlichen einen "Schutz vor Reizen und Genußquellen" zu bieten und "alte, lediglich gestörte" patriarchale Ordnungen wiederherzustellen, für obsolet.

Der Polizeipräsident von Hannover begrüßte den "unmilitärischen" Umgangston der deutschen Polizei und empfahl gegenüber den Massenmedien, in denen nach wie vor "Empfindlichkeit und unterschwellige Antipathie" zu beobachten seien, "ein ruhiges Selbstbewusstsein und eine gelassene Distanz. Normenverstöße dürfen vom Polizeibeamten nicht als Angriff gegen die eigene Person empfunden werden."

Um angemessen zu arbeiten, solle man sich vorsichtig auch der Futurologie bedienen, die beispielsweise wichtige Zahlen zum umbrechenden und damit konfliktträchtigen Arbeitsmarkt liefere: "In einer Zeit raschen Wandels muß jedes Bild von der Gesellschaft falsch sein, das statisch ist bzw. ein Idyll ohne laufende Reformbedürftigkeit darstellt. Die Tatsache der spannungs- und konfliktgeladenen, auf demokratisch-rechtsstaatlichen Wegen weiterzubauenden Gesellschaft hat Basis der politischen Bildung zu sein" – der politischen Bildung von Polizistinnen und Polizisten, wohlgemerkt.

Weg von der eher militärischen Polizeiausbildung

Den Teilnehmern dieser Tagung wird bewusst gewesen sein, wie progressiv ihre Vorstellungen waren – nicht nur, weil man soeben die Generation der Kriegsverbrecher und Völkermörder in den Ruhestand verabschiedet hatte.

Klar war auch, dass die Polizistenausbildung im Fachhochschulbetrieb ein fundamentaler Bruch mit der Vergangenheit war. Als Zörgiebel 1927 den stolzen Bericht über seine Berliner Behörde abgegeben hatte, waren Selbstverständnis und Ausbildung der Polizisten noch tiefgehend militärisch gewesen – Ergebnis auch einer jahrzehntelangen Praxis, ausgeschiedene – oftmals nur mäßig alphabetisierte und ausschließlich militärisch gedrillte – Soldaten mit "Zivilversorgungsschein" in den Polizeidienst zu übernehmen.

Vom Standpunkt des Jahres 1971 sollte an die Stelle des paramilitärisch der paraakademisch gebildete Polizist treten, der nicht nur die futurologischen Erkenntnisse zu den Gefahrenpotenzialen künftiger Arbeitsmarktentwicklungen zu deuten wissen würde, sondern beispielsweise auch gefragter Ratgeber im kommunalen Bauplanungsrecht sein könne – wie in allen anderen damals etablierten – sozialen Planungsprozessen.

Erkenntnisse, wie sie Tobias Singelnstein2019 in einem Zwischenbericht – zur Wahrnehmung von Polizeigewalt vorgelegt hat, wären in diesem Klima selbstkritischer Polizeiarbeit womöglich Gegenstand eigener empirischer Bemühungen geworden, was ihnen vielleicht nicht geschadet hätte.

Warum stattdessen heute schwer bewaffnete, durch Uniform und nicht selten durch Maskierung unkenntlich gemachte Polizeibeamte, martialisch in Kevlar-Textilien verpackt wie die Michelin-Männchen, im Straßenbild als normal gelten, lässt sich nicht schwer erschließen.

Ein halbes Jahr nach der Hiltruper Tagung sollte der oben zitierte, quicksilbrig moderne Polizeipräsident von Nürnberg, der promovierte Jurist Horst Herold (1923–2018), zum Präsidenten des Bundeskriminalamts ernannt werden – einer Behörde, die nun die Federführung im "Kampf" gegen den Terrorismus der "Roten Armee Fraktion" übernahm, die sich – zeitlich parallel zum hoffnungsfrohen Hiltruper Tagungstermin – offen zum Konzept einer sogenannten "Stadtguerilla" bekannte.

Auswirkungen hatte das nicht nur auf die nun wieder paramilitärische Ausrüstung von Polizeiabteilungen oder das unaufhörliche Bedürfnis, materielles Strafrecht und Strafprozessordnung an sogenannte polizeiliche Bedürfnisse anzupassen. Angehörige eines durchaus breiten akademischen Milieus wollten im polizeilichen Interesse an moderner Sozialwissenschaft nunmehr auch nichts anderes mehr erkennen als den Versuch, die Bundesrepublik in eine Polizeidiktatur zu verwandeln – ein Beispiel geben Elaborate wie: "Psychologen der 'Inneren Sicherheit' oder 'Hilf der Polizei – schlag dich selbst zusammen!'"

Wenn Juristen auf Polizisten treffen

In Erstsemester-StGB-Vorlesungen begegnet heutigen Juristen vielleicht immer noch die Frage, ob es klug sei, beispielsweise bei einer Verkehrskontrolle mit Polizeibeamten über die dabei einschlägigen Rechtsfragen zu diskutieren. Viel mehr als die hochmütige Selbstverständigung, dass angehende Spitzen-Chirurgen sich doch auch nicht mit Fleischereifachverkäuferinnen darüber unterhielten, wie diese das Fleisch zurechtschnitten, kommt dabei nicht heraus – die sonst so berufstypische "obligation to dissent" verstummt vielfach vor Kevlar-Kostümierten.

Man kann das als lebensklugen professoralen Rat an potenziell rhetorisch halbstarke Studenten der Rechtswissenschaft sehen. 50 Jahre nach dem lichten, selbstkritischen Moment der deutschen Polizei ist er aber doch auch erstaunlich unwürdig und unbürgerlich.

Zitiervorschlag

Die Geschichte der Polizei: Der Freund und Helfer, der immer noch Rüstung trägt . In: Legal Tribune Online, 15.03.2020 , https://www.lto.de/persistent/a_id/40827/ (abgerufen am: 27.03.2024 )

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