Hitzewelle: Nackte Waden vor Gericht

von Uwe Wolf

22.07.2010

Tropische Temperaturen treiben zurzeit viele Männer in die kurzen Hosen. Das Phänomen macht auch vor den Gerichten nicht halt: Hitzeempfindliche Zeugen erscheinen in Shorts vor dem Richtertisch. Wie einschlägige Urteile belegen, reagiert die Justiz cooler als erwartet.

An einem heißen Augusttag in Rheinland-Pfalz musste ein Mitarbeiter der Post als Zeuge in einem Strafprozess aussagen.

Angesichts der hochsommerlichen Schwüle zeigte der Postler Knie: Er trug "City Shorts", wie die Werbung die kurze Jogging-Hose mit Gummiband nannte. Auch oben rum zeigte sich der Zeuge luftig: Ein kurzärmeliges T-Shirt mit dem Aufdruck "Levi Strauss, USA" war das Kleidungsstück seiner Wahl.

Dem Kammervorsitzenden war dies zu viel nackte Haut. Wegen "Ungebühr" verhängte das Gericht ein Ordnungsgeld – ersatzweise Ordnungshaft. Der Zeuge stand zu seinem Sommer-Look und legte Beschwerde ein.

City Shorts, der Zeitgeist und seine textilen Modeerscheinungen

Die Richter am Oberlandesgericht (OLG) Koblenz gaben dem Postmitarbeiter Recht. Ein Erscheinen in "unangemessener Kleidung", so die OLG-Juristen, könne zwar einen Angriff auf das Ansehen der Justiz und somit Ungebühr darstellen; hierzu müsse der Zeuge jedoch durch sein Auftreten bewusst aus dem Rahmen fallen oder provozieren wollen.

Diese Voraussetzung sahen die Richter weder durch die "City Shorts" noch durch das T-Shirt als gegeben an. Die Robenträger bewiesen Sinn für das Legere: Saloppe Freizeitkleidung habe heutzutage "in die verschiedensten Bereiche des gesellschaftlichen Lebens Einzug gehalten". Dem Zeitgeist und seinen "textilen Modeerscheinungen" dürfe sich eine um Bürgernähe bemühte Justiz nicht verschließen.

Der Zeuge sei an einem besonders heißen Tag zur Mittagsstunde vernommen worden.  Seine Aufmachung entspreche somit der Wetterlage. Nachdem sich die Shorts "im übrigen in ordentlichem Zustand" befunden hätten, könne dem Outfit kein provozierendes Element entnommen werden (OLG Koblenz, Beschl. v. 12.10.1994, Az. 1 Ws 672/94).

Kleckerbuxen gehen zu weit

Auf weniger textile Toleranz stieß ein knapp bekleideter Zeuge in der Modemetropole Düsseldorf. Laut Gerichtsakte erschien der junge Mann zur Hauptverhandlung vor dem Amtsrichter in "kurzer, schmutziger Hose". Der Richter erkannte auf Ungebühr und verhängte ein Ordnungsgeld - ersatzweise vier Tage Ordnungshaft. Gegen das Zuchtmittel half auch eine Beschwerde beim OLG nicht.

Die Richter am zuständigen OLG-Senat erkannten zwar an, dass nach den "heutigen, liberalen Maßstäben" keine "übersteigerten, an den Menschen früherer Zeitepochen ausgerichteten Anforderungen an die Kleidung" mehr gestellt werden dürften. Selbst eine "ungewöhnliche Aufmachung", die dem überwiegenden Geschmack der Bevölkerung nicht entspräche, sei nicht zwangsläufig ein Angriff auf die Würde des Gerichts.

Bei bekleckerten Shorts war das Verständnis der Düsseldorfer Juristen jedoch eindeutig am Ende. Da half es dem Zeugen auch nichts, dass er vorgab, mit den umstrittenen Beinkleidern soeben von der Arbeit gekommen zu sein. Der Gerichtstermin, so die Richter, habe Wochen im Voraus festgestanden. Insofern habe der Shorts-Träger Zeit genug gehabt, seinen  "Tages- und Arbeitsablauf" so einzurichten, zum Termin wenigstens in einer sauberen Hose erscheinen zu können (OLG Düsseldorf, Beschl. v. 07.08.1985, Az. 1 Ws (OWi) 619/85).

Stilmöbel, Jeans und Turnschuhe vertragen sich nicht

Vor voreiligen Käufen von – sauberen - Bermuda-Shorts, Radfahrerhosen oder Knickerbockern sollte dennoch gewarnt werden. So großzügig wie bei Zeugen zeigt sich die Rechtsprechung nicht immer.

Ein Mitarbeiter eines Möbelhauses aus Westfalen etwa musste sich vom dortigen Landesarbeitsgericht (LArbG) belehren lassen, dass saloppe Freizeitkleidung im Dienst den Job kosten kann. So entschieden die Richter, dass ein Verkäufer von Artikeln gehobenen Genres in einer Garderobe erscheinen müsse, die dem "Charakter der Produkte" entspreche (LAG Hamm, Beschl. v. 22.10.1991, Az. 13 Ta BV 36/91).

In Anwesenheit von Stilmöbeln sind Jeans und Turnschuhe also tabu – von kurzen Hosen ganz zu schweigenl.

Der Autor Dr. Uwe Wolf ist Jurist und freier Autor in Düsseldorf.

Zitiervorschlag

Uwe Wolf, Hitzewelle: Nackte Waden vor Gericht . In: Legal Tribune Online, 22.07.2010 , https://www.lto.de/persistent/a_id/1034/ (abgerufen am: 27.03.2024 )

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