Zum Gedenken an Helmuth James Graf von Moltke: "Macht eine Legende aus uns"

Er gilt als einer der führenden Köpfe im Widerstand gegen den Nationalsozialismus. Helmuth James Graf von Moltke wurde nach dem gescheiterten Attentat auf Adolf Hitler am 20. Juli 1944 Opfer der NS-Justiz. André Niedostadek erinnert an den Juristen, der vor 105 Jahren geboren und nur 37 Jahre alt wurde.

Krzyzowa, vormals Kreisau, ist ein kleines Dorf in Niederschlesien. Ein ländliches Idyll im Südwesten Polens, gesäumt von Äckern, Wiesen und Hügeln. Eine Gegend, über die man eigentlich nicht viele Worte verlieren würde, wäre dieser Ort nicht untrennbar mit der deutschen Geschichte und einem Namen verbunden: Helmuth James Graf von Moltke.

Zu Beginn des 20. Jahrhunderts ist Kreisau Stammsitz der Familie von Moltke, einem alten mecklenburgischen Geschlecht. Hier auf dem elterlichen Landgut wird Helmuth James von Moltke am 11. März 1907 geboren, hier wächst er auf. Die Eltern stehen einer pazifistischen Glaubensgemeinschaft nahe. Später wird es heißen, von Moltke habe schon zu Hause gelernt, die Eigenart anderer Menschen gelten zu lassen und ihre Freiheit zu respektieren.

Der weltoffene Jurist

Die Mutter, eine Südafrikanerin mit schottischen Vorfahren, ist die Tochter eines Richters. Vielleicht auch ein Grund für den jungen von Moltke, ab 1927 Rechts- und Staatswissenschaften zu studieren. Das Studium führt ihn unter anderem nach Breslau, Berlin und Wien. Nach dem Examen kehrt er im Herbst 1929 zunächst wieder nach Kreisau zurück. Das elterliche Anwesen, ein Betrieb mit knapp 500 Hektar Land und vielen Beschäftigten, steckt in wirtschaftlichen Schwierigkeiten. Von Moltke beginnt den Betrieb zu sanieren.

Zwei Jahre später setzt er seine juristische Ausbildung mit dem Referendariat in Berlin fort. Im gleichen Jahr heiratet er die Jurastudentin Freya Deichmann, eine Kölner Bankierstochter. Aus der Ehe gehen zwei Söhne hervor. Nach dem Assessorexamen 1934 zieht es von Moltke für längere Zeit nach Südafrika zu seinen Großeltern.

Wieder zurück in Deutschland schlägt der Jurist eine anwaltliche Karriere ein. Eigentlich hatte er Richter werden wollen. Da er der nationalsozialistisch geprägten Justiz jedoch ablehnend gegenübersteht und nicht bereit ist, der NSDAP beizutreten, verwirft er dieses Ziel wieder. Seine Arbeitsschwerpunkte werden das Völkerrecht und das Internationale Privatrecht. Das ermöglicht ihm, Opfern des NS-Regimes zu helfen. Zudem ist er dem englischen Recht verbunden. Regelmäßige Aufenthalte in Großbritannien geben ihm Gelegenheit, den Entwicklungen im nationalsozialistischen Deutschland zumindest zeitweilig zu entfliehen. 1938 legt er dort weitere Prüfungen ab und wird englischer Barrister.

Persönliche Formen des Widerstands

Mit Ausbruch des Krieges wird von Moltke 1939 nach Berlin zum Oberkommando der Wehrmacht eingezogen, der höchsten und Hitler direkt unterstellten Kommando- und Verwaltungsbehörde. Als Sachverständiger für Kriegs-und Völkerrecht ist er dort in dem von Admiral Wilhelm Canaris geleiteten Amt Ausland/Abwehr tätig.

Die Ablehnung der NS-Herrschaft drückt von Moltke in persönlichen Formen des Widerstands aus. Bei Dienstreisen ins Ausland ist er bemüht, Kontakte zu einflussreichen Kreisen zu knüpfen. Teils lernen Mittelsmänner Briefe auswendig und schreiben deren Inhalte später nieder. Trotz "wilder Befehle" will er wenn möglich einzelne Menschen retten. Er hilft Verfolgten und versucht, Folter und Erschießungen zu vereiteln.

Viele hoffen inzwischen auf einen Staatsstreich und den Sturz des Diktators. Von Moltke lehnt das zunächst unter anderem aus ethischen und religiösen Gründen ab. Dennoch ist er überzeugt, dass das Regime über kurz oder lang nicht mehr bestehen wird. Doch was soll danach kommen? Diese Frage einer möglichen Nachkriegsordnung rückt mehr und mehr in den Mittelpunkt. Mit Peter Graf Yorck von Wartenburg wird von Moltke zum Initiator und Motor einer Gruppe von Gegnern des Naziregimes, die sich 1941 zu formieren beginnt.

Planungen für eine Nachkriegsordnung

Im Mittelpunkt steht dabei nicht der aktive Widerstand, sondern der Meinungsaustausch. Trotz unterschiedlicher politischer, sozialer und religiöser Ansichten der Teilnehmer entstehen programmatische Entwürfe für einen demokratischen Neubeginn in Deutschland. Meist trifft man sich in Berlin in kleinen Gruppen und bespricht vielfältige politsche Fragen. Drei geheime Treffen finden 1942/43 auf dem familiären Anwesen von Moltkes in Kreisau statt. Die Geheime Staatspolizei (Gestapo) wird der Gruppe deshalb später den Namen "Kreisauer Kreis" geben.

Nachdem bekannt wird, dass von Moltke seinen Freund, den Diplomaten Otto Carl Kiep, vor einem Gestapo-Spitzel gewarnt hatte, nimmt ihn die SS in Schutzhaft. Durch diese willkürliche Inhaftierung kommt er in das Konzentrationslager Ravensbrück, wo er zunächst jedoch vergleichsweise privilegiert behandelt wird.

Ein halbes Jahr nach der Verhaftung misslingt am 20. Juli 1944 das Attentat auf Adolf Hitler durch eine Gruppe von Offizieren Claus Schenk Graf von Stauffenberg. Nun nimmt die Gestapo auch Mitglieder des "Kreisauer Kreises" ins Visier, die teilweise in die Attentatspläne eingeweiht waren. Nach der Aufdeckung der oppositionellen Gruppe wird von Moltke in die Haftanstalt Tegel verlegt und im Januar 1945 mit weiteren Mitgliedern des Kreisauer Kreises vor dem Volksgerichtshof wegen Vorbereitung zum Hochverrat angeklagt.

Der Schauprozess vor dem Volksgerichtshof

Nachdem sich eine Beteiligung von Moltkes am Attentat vom 20. Juli nicht nachweisen lässt,  verlegt sich das Gericht auf einen anderen Vorwurf. So wiegt in den Augen des Gerichtspräsidenten Roland Freisler bereits die geistige und religiöse Haltung des Angeklagten schwer. Konfessionsübergreifend hatte man im Kreisauer Kreis auch praktisch-ethische Forderungen des Christentums besprochen. "Nichts weiter; dafür werden wir verurteilt" schreibt von Moltke daraufhin in einem seiner letzten Briefe.

Dass der Angeklagte auch während des Prozesses den Mut besessen haben soll, dem Gericht die Stirn zu bieten und seine Überzeugungen nicht aufzugeben, drückt ein überliefertes Zitat aus: "Macht eine Legende aus uns".  Am 11. Januar 1945 verkündet Freisler das schon vorab feststehende Todesurteil gegen den mittlerweile 37-jährigen Juristen. Zwölf Tage später, am 23. Januar 1945, wird es in Berlin-Plötzensee vollstreckt.

Kreisau gerät nach dem Krieg zunächst für viele Jahre nahezu in Vergessenheit. Erst mit der Annäherung von Ost und West Ende der 1980-er Jahre lebt die Erinnerung wieder auf. Heute ist das Gut der Familie von Moltke ein Ort des Gedenkens und der Versöhnung. Die dort ansässige Internationale Jugendbegegnungsstätte "Stiftung Kreisau für Europäische Verständigung" gibt vor allem jungen Menschen Gelegenheit, aktuelle und geschichtliche Fragen zu diskutieren.

Der Autor Prof. Dr. André Niedostadek, LL.M. lehrt Wirtschafts-, Arbeits- und Sozialrecht an der Hochschule Harz.

Literaturhinweis: Helmuth James Graf von Moltke, Letzte Briefe, Diogenes Verlag 1997

Zitiervorschlag

André Niedostadek, Zum Gedenken an Helmuth James Graf von Moltke: "Macht eine Legende aus uns" . In: Legal Tribune Online, 11.03.2012 , https://www.lto.de/persistent/a_id/5753/ (abgerufen am: 28.03.2024 )

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