Fußballrechtsgeschichten (3. Teil): "Es geht nicht um Recht, sondern um Sport"

von Martin Rath

24.06.2012

Seit 1972 darf der "Bundesligaskandal" der frühen 1970er-Jahre journalistisch als aufgedeckt gelten. Für wenige 1.000 Mark waren zuletzt 1970/71 Spielergebnisse massiv beeinflusst worden. Die "Fußballjustiz" der Vereine war der eigentliche Skandal, doch die staatlichen Gerichte setzten dem "Fußballfeudalismus 1.0" nun Grenzen. Eine Erinnerung aus Anlässen von Martin Rath.

Menschen folgen bei der Lösung von Konflikten mitunter Wertvorstellungen, die nicht der Rechtsordnung entsprechen. Das können "Ehrkonzeptionen" sein, die dem Rest der Gesellschaft fremd sind. Das geschehe, mit dieser Feststellung machte sich der Arbeitsrechtler Volker Rieble unlängst unbeliebt, nicht nur in der viel kritisierten islamistischen "Parallelgesellschaft", sondern auch in "Adelshäusern, Sportverbänden, Handwerkszünften etc.".

Der spätestens 1972 journalistisch aufgeklärte "Bundesligaskandal" der Spielsaison 1970/71 scheint der provokanten kulturrelativistischen Position des Münchener Professors Nahrung zu geben, zeigt sich doch ein Fall verquaster Gruppenmoral und Sonderjustiz, der einer religiösen "Parallelgesellschaft" kaum nachsteht.

Aufklärung durch Rechtsbruch: Tonbandaufnahmen

Ohne Verrat keine Einsicht in eine "Parallelgesellschaft". Der Verräter hieß Horst-Gregorio Canellas (1921-1999), Obsthändler aus Frankfurt am Main und Vereinspräsident von Kickers Offenbach. Seinem Club drohte in der Saison 1970/71 der Abstieg in die 2. Liga. In dieser Lage meldete sich der Torhüter des 1. FC Köln und "Nationaltorwart" Manfred Manglitz mit dem Angebot, die Kölner könnten alsbald ein Spiel gegen Rot-Weiß Essen verlieren, um die Offenbacher Tabellenposition zu verbessern.

Canellas' Nachfrage beim DFB, ob eine Prämierung des fremden Siegs nach den Statuten zulässig sei, blieb unbeantwortet. Unter klandestinen Umständen übergab ein Offenbacher Abgesandter der Braut des Kölner Torwarts 25.000 Mark für die Mannschaft – auf einem Parkplatz. Köln siegte verabredungswidrig über Essen.

Offenbach stieg ab und Canellas erwies sich als lautstarker Whistleblower. Bei seiner Geburtstagsfeier, in Anwesenheit des verehrten Bundestrainers Helmut Schön, beklagte er die Vielzahl der Spielmanipulationen. Da waren (DER SPIEGEL 18/1972, S. 123): Für eine Niederlage gegen Bielefeld erhielt Schalke 40.000 Mark, Köln verlor gegen Oberhausen für 25.000 Mark, Bielefeld wollte für ein Spiel Braunschweig gegen Oberhausen 170.000 Mark zahlen, beließ es aber bei 40.000. Spieler des VfB Stuttgart – einer kam bis zum Bundesgerichtshof (BGH) – erhielten für eine Niederlage ihres Vereins 45.000 Mark von Arminia Bielefeld.

DFB schuf das Recht einer Parallelgesellschaft

Vorschub leistete solchen Manipulationen das informelle Umfeld, das der DFB durch seine rechtlichen Rahmenbedingungen geschaffen hatte – ungeachtet der wirtschaftlichen Situation der Bundesliga.

Die Winkelzüge des informellen Fußballgeschäfts zeigt etwa das Urteil des Oberlandesgerichts Hamm (OLG) vom 10. Oktober 1975 (Az. 11 U 110/75): Ein Amateurfußballer erhielt 3.000 Mark, um sich bei Club A zu verpflichten. Weil die Statuten des DFB das verboten, wurde das Geld nominell von einem Geschäftsmann, der "Freund" des Fußballclubs A war, als "Darlehen" gezahlt. Dem Spieler wurde eine Quittung über die Tilgung versprochen, sobald er beim Club spielte. Er verpflichtete sich aber anderswo, der "Freund" wollte sein Geld zurück.

Landgericht und OLG gaben dem Fußballfreund Recht. Die verwinkelte Darlehensabrede sei "nicht wegen eines Verstoßes gegen Gesetze oder die guten Sitten" nichtig. Dass die DFB-Statuten hier ein solches "Handgeld" verböten, begründe keinen Sittenverstoß: "Einem durchschnittlich interessierten Betrachter der Fußballszenerie kann es sogar wundersam erscheinen, daß gerade die (mutmaßlich) besten Fußballer einen Profit aus ihren Fähigkeiten erzielen dürfen, während es demgegenüber Spielern unterer Ligen verwehrt sein soll, auch nur verhältnismäßig geringe Beträge für ihre Leistungen, meist auch für die Unbequemlichkeiten, die mit einem Vereinswechsel für einen in der Regel jungen Mann verbunden sind, in Empfang zu nehmen."

Die vom OLG kritisierten "Tarife" des DFB wurden in allen Ligen massiv verletzt. Das Lizenzspielerstatut für die Bundeliga sah 1971 etwa eine Höchstsumme von 100.000 Mark vor, gezahlt wurden tatsächlich aber laut "Spiegel" zwischen 100.000 und 500.000 Mark. Spieler der Regionalliga sollten für den Vertragsabschluss überhaupt kein "Handgeld" erhalten, Bundesligaspieler bezogen statt erlaubter 20.000 bis zu 100.000 Mark.

Dank solcher wirtschaftswidrigen Obergrenzen hatten sich Vermittler etablieren können, die 1970/71 neben den verdunkelten Spielervergütungen gleich auch noch Absprachen über Spielergebnisse verkaufen konnten.

DFB-Justiz ist hart, aber ungerecht

Soweit der DFB die skandalösen Spielmanipulationen der Saison 1970/71 nicht ganz unter der Decke halten wollte, griff seine verbandsinterne "Justiz" selektiv durch. Canellas etwa wurde nur einen Monat nach seiner Enthüllung im Juni 1971 auf Lebenszeit vom DFB "gesperrt", wenn auch 1976 "begnadigt".

Eine Prüfung seiner Verbandsjustiz durch die staatlichen Gerichte schloss der DFB in seinen Statuten weitgehend aus. Nicht nur die Fußballfunktionäre, auch weite Teile der juristischen Lehre gingen, so hielt Harm Peter Westermann fest, von einer "uneingeschränkten Unterwerfung der Berufsspieler unter die Strafgewalt des Verbands" aus.

Durchbrochen wurde diese Mauer vom OLG Frankfurt mit Urteil vom 26. April 1973 (Az. 19 U 46/73), mit dem sich ein Berufsspieler gegen den übereilten Vollzug einer DFB-Sperre zur Wehr setzte. Bis dahin gingen Gerichte und Literatur in der Tendenz davon aus, dass hier eine "Vereinsstrafgewalt" durchgreife, die seit den Zeiten des Reichsgerichts nur bei groben Verstößen gegen die Rechtsordnung von staatlichen Gerichten kassiert wurde. Das OLG erkannte, dass die "Vereinsstrafgewalt" letztlich nur durch Vertrag, nicht durch Mitgliedschaft über den Spieler gekommen war. Darum ließ es die Inhaltskontrolle nach AGB-Spielregeln zu und versenkte die vorzeitige Sperre als Einschränkung der Berufsfreiheit.

Berechtigte Unlust an der DFB "Justiz"

Wie nötig der Eingriff der staatlichen Gerichte in die DFB-interne "Rechtsfindung" Anfang der 1970er-Jahre geworden war – wie jener der OLG Hamm und Frankfurt am Main –, illustriert eine Unmutsäußerung Westermanns in seiner rechtswissenschaftlichen Monographie über "Die Verbandsstrafgewalt und das allgemeine Recht" von 1972.

Der in den Bundesligaskandal tief verstrickte Verein Arminia Bielefeld hatte den jungen Professor der soeben ins westfälische Niemandsland gestampften Universität Bielefeld beauftragt, für die Auseinandersetzung vor der DFB-Justiz ein Rechtsgutachten zu erstellen. Westermann zählt rund zwei bis drei Dutzend relevanter Dokumente auf, die ihm zugänglich gemacht wurden – neben den Urteilen staatlicher Gerichte auch geheimgehaltene Unterlagen wie die Protokolle vor der meist als "DFB-Anklagebehörde" apostrophierten Schiedskommission.

Am Ende warf der Verein – bildlich gesprochen – alle Überlegungen des Rechtsgelehrten in die Tonne. Seine gutachterlichen Äußerungen etwa zur "mangelnden satzungsmäßigen Legitimität" der vom DFB bereits verhängten Strafen wurden dem DFB-Bundesgericht gar nicht erst vorgelegt, weil es – nach den Worten des DFB-"Anklägers" –  im Sportgerichtsverfahren "nicht um Recht, sondern um Sport gehe".

Diese Haltung lässt sich, da Internes kaum publiziert ist, an den Urteilen der DFB-"Justiz" im Bundesligaskandal ablesen: Früh und hart bestraft wurde der Verräter Canellas. Milde bestraft und früher "begnadigt" wurden im Durchschnitt die zutiefst verstrickten Spieler und Funktionäre.

Dank marktgerechter Bezahlung von Spitzenfußballern dürfte sich die informelle Kommunikation zwischen den Vereinen heute wohl kaum ein weiteres Mal auf die Manipulation von Spielergebnissen der höheren Ligen ausweiten lassen – tölpelhaften Eingriffen wie in der Saison 1970/71 dürfte heute auch die sportswissenschaftliche Spielanalyse vorbauen.

Der Verdacht, dass es auch heute aber gelegentlich "nicht um Recht, sondern um Sport" geht, bleibt allerdings erhalten. Ein "nur durchschnittlich interessierter Betrachter der Fußballszenerie" darf sich beispielsweise fragen, ob die derzeit viel gepriesene "Nachwuchsförderung" in Gestalt von Fußballinternaten unter jugendschutz- und schulrechtlichen Gesichtspunkten und der allgemeinen Erwartung "der" Gesellschaft an eine gelungene Kindheit und Jugend stets ganz koscher ist.

Die Beobachtung von "Parallelgesellschaften", man sollte sie jedenfalls nicht immer nur an obskuren Religionsgesellschaften üben: "Nicht ums Recht" – und das mit normativer Gewalt – geht es auch anderswo.

Literaturhinweis:
Die vierteilige Serie "Boss, wir müssen Spiele kaufen" findet sich im Online-Archiv des SPIEGEL, in den Heften 18 bis 21/1972. Die Studie von Westermann erschien im gleichen Jahr in Bielefeld. Strafrechtliche Überlegungen zum Bundesligaskandal nebst Vereinssatzungen und -protokollen bietet die Dissertation von Klaus-Peter Weise aus dem Jahr 1982.

Der Autor Martin Rath arbeitet als freier Lektor und Journalist in Köln.

Zitiervorschlag

Martin Rath, Fußballrechtsgeschichten (3. Teil): "Es geht nicht um Recht, sondern um Sport" . In: Legal Tribune Online, 24.06.2012 , https://www.lto.de/persistent/a_id/6453/ (abgerufen am: 29.03.2024 )

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