Die juristische Presseschau vom 13. Februar 2024: LG Lübeck vor Sex­somnia-Urteil / Rüs­tungs­ex­port nach Israel unter­sagt / Johan­ne­mann bekam Abfin­dung

13.02.2024

Hat Staatsanwalt seinen Sohn beim Schlafwandeln missbraucht? Niederländisches Gericht untersagte die Lieferung von Kampfjet-Ersatzteilen wegen Gaza-Krieg. Freshfields zahlte Cum-Ex-Anwalt Ulf Johannemann zwei Millionen Euro.

Thema des Tages

LG Lübeck – Missbrauch beim Schlafwandeln: Am morgigen Mittwoch will das Landgericht Lübeck sein Urteil im Sexsomnia-Prozess verkünden. Angeklagt ist ein ehemaliger Staatsanwalt, der seinen acht-jährigen Sohn schwer missbraucht haben soll. Der Mann glaubt, dass er die Tat, an die er sich nicht erinnere, beim Schlafwandeln verübt hat. Der psychiatrische Gutachter des Gerichts war von der Sexsomnia-Theorie allerdings nicht überzeugt. Der Angeklagte hatte den Begriff gegoogelt, bevor ihn eine Ex-Freundin darauf hinwies, dass er in seiner Studienzeit angeblich im Schlaf oft übergriffig wurde. Gegen ein derartiges Leiden spreche auch, dass seine Ex-Frau während 14-jähriger Ehe keine entsprechenden nächtlichen Übergriffe erlebt hat. Außerdem schilderte das acht-jährige Opfer, dass sein Vater bei der Tat planmäßig handelnd und ansprechbar gewirkt hatte, also nicht wie ein Schlafwandler. Verteidigung und Staatsanwaltschaft haben dennoch Freispruch beantragt. Über den Prozessverlauf berichten die SZ (Ulrike Nimz/Jana Stegemann) in einer Seite 3-Reportage sowie spiegel.de (Julia Jüttner)

Rechtspolitik

Schuldenbremse und Verteidigung: Nachdem US-Präsidentschaftskandidat Donald Trump den militärischen Schutz Europas in Frage gestellt hat, stellt die SZ (Georg Ismar) drei im Bundestag diskutierte Modelle vor, wie die Verteidigungsausgaben verfassungskonform gesteigert werden könnten. Erstens könnte die Schuldenbremse im Grundgesetz so modifiziert werden, dass sie neben der Konjunkturkomponente auch eine Sicherheitskomponente erhält und dann für entsprechende Militärausgaben nicht gilt. Zweitens könnte das 100-Mrd-Euro-Sondervermögen zur Ausrüstung der Bundeswehr im Grundgesetz über 2028 hinaus verlängert und in der Summe deutlich ausgeweitet werden. Drittens könnte die Lage in der Ukraine als Notsituation gem. Artikel 115 GG für das Jahr 2024 eingestuft werden und insofern eine zusätzliche Verschuldung erlauben.

Wahlprüfung: Der Habilitand Jakob Schemmel stellt auf beck-aktuell mehrere ein- und zweistufige Modelle für eine Reform der Wahlprüfung vor, die das Verfahren beschleunigen sollen und auf eine Beteiligung des Bundestags verzichten würden. Eine ideale Lösung zeichne sich bisher jedoch noch nicht ab.

Auch Dietmar Hipp (spiegel.de) plädiert für eine beschleunigte Wahlprüfung ohne Bundestag. Anders als zu monarchischen Zeiten seien die Gerichte heute eindeutig unabhängig. In England habe man schon 1868 die richtigen Konsequenzen gezogen und die Wahlprüfung allein den Gerichten überlassen. 

Sexuelle Belästigung: Die niedersächsische Justizministerin Kathrin Wahlmann (SPD) will, dass auch verbale sexuelle Belästigung, insbesondere das Hinterherrufen und Hinterherpfeifen (catcalling), künftig strafbar ist. Eine Expertenkommission solle die Strafrahmen von Vermögens-, Drogen- und Sexualdelikten überprüfen. LTO berichtet. 

"Rasse" im Grundgesetz: Jost Müller-Neuhof lobt im Tsp den Verzicht der Ampel-Koalition auf die Streichung des "Rasse"-Begriffs im Grundgesetz. "Der mit dem Benachteiligungsverbot wegen der 'Rasse' erreichte Schutz ist hoch, der Begriffsgebrauch international." Ein gleich wirksamer Begriff  wurde nicht gefunden. "Sachlichkeit schlägt Empfindlichkeit."

Todesstrafe: Rechtsprofessorin Charlotte Schmitt-Leonardy erinnert an die Argumente, die für das Verbot der Todesstrafe sprechen. Die Abschreckungswirkung sei nicht bewiesen, eher führe die Todesstrafe zu einem Abbau des Tötungs-Tabus. Die Todesstrafe sei in der Praxis nicht billiger als Freiheitsstrafen, und Justizirrtümer seien nach dem Vollzug nicht mehr reparrabel. Anlass des Artikels ist der Tod von Robert Badinter, der in den 1980er-Jahren als Justizminister in Frankreich die Abschaffung der Todesstrafe durchsetzte.

Lieferketten und Menschenrechte: Der Anwalt Paul Meder macht auf dem Verfassungsblog einen Kompromiss-Vorschlag zur Rettung der EU-Lieferketten-Richtlinie. Muttergesellschaften sollen deliktsrechtlich nur noch dann für das Verschulden von Konzerntöchtern haften, wenn es um die praktisch relevanten Rechtsgüter Leben, Gesundheit, Freiheit, Eigentum und Persönlichkeitsrecht geht. Bisher beziehe sich die Richtlinie jedoch auf Dutzende von Menschenrechten mit unklarem Inhalt, u.a. auf das Recht auf soziale Sicherheit und das Recht auf einen angemessenen Lebensstandard. Der Autor weist darauf hin, dass der Richtlinienentwurf bereits jetzt keine Haftung mehr für das Verschulden von Zulieferern mehr vorsieht.

Justiz

EuG zu TikTok und DMA: Der TikTok-Betreiber ByteDance ist mit einem Eilantrag beim Europäischen Gericht gescheitert. ByteDance hatte Eilrechtsschutz gegen einen Beschluss der EU-Kommission aus dem September 2023 beantragt, mit dem TikTok als "Torwächter" mit besonderen Pflichten nach dem Digital Markets Act eingestuft wurde. Diesen Antrag lehnte das EuG nun ab, weil Bytedance keine dringliche Gefahr einer Rechtsverletzung darlegen konnte. beck-aktuell berichtet. 

OVG Berlin-BB – Gerhard Schröders Büro: Das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg will am 6. Juni über die Frage verhandeln, ob Altkanzler Anspruch auf eine Büro-Ausstattung haben. Gerhard Schröder hat gegen eine ablehnende Entscheidung des VG Berlin Rechtsmittel eingelegt. LTO berichtet. 

OLG Düsseldorf zu Fototapeten: Wenn ein Hotel mit Bildern eines Raumes wirbt, in dem eine Fototapete zu sehen ist, werden dabei nicht die Urheberrechte des Fotografen der Fototapete verletzt. Dies entschied laut beck-aktuell das Oberlandesgericht Düsseldorf. Beim Kauf einer Fototapete werde stillschweigend auch ein Nutzungsrecht erworben, das das Fotografieren von Räumen und die Verbreitung der entsprechenden Fotos im Internet erlaubt. Ohne ein solches Nutzungsrecht wären Fototapeten unverkäuflich, so das OLG.

LG Göttingen – Quarantäne-Abriegelung: Das Landgericht Göttingen hat die PKH-Anträge von vierzig Bewohnern eines Hochhauses abgelehnt, das 2020 während der Corona-Pandemie abgeriegelt worden war. Dass diese Abriegelung rechtswidrig war, hatte das VG Göttingen bereits im November 2023 festgestellt. Die Bewohner wollten nun Schadensersatz einklagen. Das LG sah jedoch keine ausreichenden Erfolgsschancen, da Schadensersatz keine Strafe für rechtswidriges Verwaltungshandeln sei. Die taz (Reimar Paul) berichtet. 

LG Karlsruhe zum Lüften von Bettwäsche: Wenn eine Hausordnung das Aufhängen von Wäsche im Fenster verbietet, ist damit das Auslüften von Bettwäsche nicht erfasst. Das Auslüften sei sozialadäquat und führe nicht zu Nässeflecken an der Hauswand. Es sei "auch nicht gerichtsbekannt, dass durch das bloße Auslegen von Bettwäsche am Fenstersims Schmutzpartikel in nennenswertem Umfang herabrieseln und diese bei offenem Fenster in darunter gelegene Wohnungen hineinfallen". beck-aktuell (Michael Dollmann) berichtet. 

LG Halle – Geräusche beim Sex: Das Landgericht Halle hat die außerordentliche Kündigung einer Mieterin "wegen nachhaltiger Störung des Hausfriedens" gebilligt. Nachbarinnnen hatten sich beschwert, die Frau sei beim Sex mit wechselnden Männern zu laut. Die gekündigte Mieterin will Rechtsmittel einlegen. Sie sei taubstumm und höre nicht, wie laut sie sei. bild.de (Thilo Scholtyseck) berichtet. 

Recht in der Welt

Niederlande – Rüstungsexport nach Israel: Ein Berufungsgericht in Den Haag hat der niederländischen Regierung untersagt, Ersatzteile für Kampfflugzeuge nach Israel zu exportieren. Es drohe der Einsatz der Flugzeuge bei Kampfhandlungen in Gaza, die das humanitäre Völkerrecht verletzen. Das Gericht bezog sich auf die IGH-Eilentschiedung von Januar. Geklagt hatten drei Menschenrechts-NGOs. LTO (Max Kolter) berichtet. Für den weiteren Fortgang des Verfahrens (und auch für möglich ähnliche Verfahren in Deutschland) komme es nun wohl auf den vom IGH verlangten Bericht Israels zum verbesserten Schutz der Zivilbevölkerung an. 

USA – Trump/Immunität: Ex-US-Präsident Donald Trump hat beim US-Supreme-Court eine Entscheidung über seine Immunität als US-Präsident beantragt. Trump will erreichen, dass die Urteile der Vorinstanzen, die eine Immunität ablehnten, ausgesetzt werden. Erst wenn die Immunitätsfrage geklärt ist, kann der Washingtoner Prozess um eine Verschwörung zum Wahlbetrug bei der letzten Präsidentenwahl beginnen. spiegel.de berichtet. 

Ungarn/Italien – militante Antifa: spiegel.de (Frank Hornig) schreibt über die paradoxe Situation, dass sich mit Italiens Ministerpräsidentin Georgia Meloni ausgerechnet eine Postfaschistin für die antifaschistische Italienierin Ilaria Salis diplomatisch einsetzen muss, die in Ungarn wegen gewalttägiger Angriffe gegen Rechtsextremisten vor Gericht steht. 

Sonstiges

Anwalt Ulf Johannemann: Der ehemalige Freshfields-Partner Ulf Johannemann, der Ende Januar wegen Beteiligung an Cum-Ex-Steuerhinterziehungen zu einer dreieinhalbjährigen Freiheitsstrafe verurteilt wurde, hatte von Freshfields bei seinem Ausscheiden eine Abfindung von zwei Millionen Euro erhalten, berichtet das HBl (Volker Votsmeier). Die Law Firm will auch nach der Verurteilung Johannemanns die Zahlung nicht zurückfordern.

Anwältin Lucy Chebout: Die SZ (Ronen Steinke) portraitiert die Anwältin Lucy Chebout, die sich für das Recht von lesbischen Ehefrauen auf automatische Mitmutterschaft einsetzt. Sie hatte erreicht, dass das Oberlandesgericht Celle die derzeitige Rechtslage dem Bundesverfassungsgericht vorlegte, weil die Ehefrauen von Müttern gegenüber den Ehemännern von Müttern benachteiligt, werden. Inzwischen hat Justizminister Marco Buschmann (FDP) ein Eckpunktepapier vorgelegt, das die Einführung der automatischen Mitmutterschaft vorsieht. 

Karneval: Für Verletzungen durch geworfene Süßigkeiten besteht im Umfeld von Karnevalsumzügen kein Anspruch auf Schadenersatz. Das Abschneiden von Männer-Krawatten ist auch an Weiberfastnacht eine Straftat. beck-aktuell (Martin W.Huff) und LTO beantworten die üblichen Rechtsfragen zum Karneval.

Das Letzte zum Schluss

Ein Zauberstab ist keine Waffe: Die Polizei wurde zu einem Hotel in der Nähe von Leicester gerufen, weil in der Lobby ein Mann mit einem großen Messer gesehen worden war. Wie die Polizei-Unersuchung schnell ergab, handelte es sich um einen Harry Potter-Fan und das angebliche Messer war ein Zauberstab. spiegel.de berichtet. 


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Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.

LTO/chr

(Hinweis für Journalist:innen)  

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Zitiervorschlag

Die juristische Presseschau vom 13. Februar 2024: LG Lübeck vor Sexsomnia-Urteil / Rüstungsexport nach Israel untersagt / Johannemann bekam Abfindung . In: Legal Tribune Online, 13.02.2024 , https://www.lto.de/persistent/a_id/53859/ (abgerufen am: 27.04.2024 )

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