Die juristische Presseschau vom 26. bis 28. November 2022: Erstes G-7-Jus­tiz­mi­nis­ter­treffen / Anhörung zur Sui­zid­bei­hilfe / Weiter Debatte um "Letzte Gene­ra­tion"

28.11.2022

G-7-Justizminister besprechen Verfolgung von Kriegsverbrechen in der Ukraine. An diesem Montag diskutieren Experten die Gesetzentwürfe zur Suizidhilfe. Die Letzte Generation setzt nach Flughafen-Blockade weitere Aktionen für eine Woche aus.

Thema des Tages

Kriegsverbrechen in der Ukraine/G-7-Justizminister:innen: Ab diesen Montag treffen sich in Berlin auf Einladung von Bundesjustizminister Marco Buschmann erstmals die Justizminister:innen der G-7-Staaten. Die Mo-SZ (Karoline Meta Beisel/Constanze von Bullion) berichtet über die geplante Zusammenkunft. Wichtigstes Thema sei die Verfolgung von Kriegsverbrechen in der Ukraine. Eingeladen sind daher auch der Chefankläger des Internationalen Strafgerichtshofes, Karim A. A. Khan, und der ukrainische Justizminister Denys Maljuska sowie der ukrainische Generalstaatsanwalt Andriy Kostin. Deutschland sei bereit, so Buschmann, eine führende Rolle zu übernehmen.

Justizminister Buschmann im Interview: Justizminister Marco Buschmann (FDP) erläutert in einem separaten Interview mit der Mo-SZ (Karoline Meta Beisel/Constanze von Bullion) seine Vorstellungen einer Professionalisierung der Verfolgung von Kriegsverbrechen in der Ukraine. Es müsse erreicht werden, dass zwischen den unterschiedlichen Rechtssystemen – dem Internationalen Strafgerichtshof, der Ukraine und anderen ermittelnden Staaten – Beweismittel einfacher digitalisiert ausgetauscht werden könnten. NGOs sollten sich bei Ermittlungen zurückhalten. Auch ukrainische Kriegsverbrechen sollten untersucht werden. Innenpolitisch geht es im Interview um den Konflikt mit Innenministerin Nancy Faeser (SPD) bei der Ersatzfreiheitsstrafe und Buschmanns Pläne zum besseren strafrechtlichen Schutz von Kunstgegenständen vor Gefährdungen durch Klima-Aktivist:innen. 

Rechtspolitik

Suizidhilfe: Vor der Expertenanhörung am heutigen Montag im Rechtsausschuss des Bundestages zu den Gesetzentwürfen zur Suizidbeihilfe fordert Susanne Beyer (Spiegel) im Leitartikel, dass es bei der Diskussion nicht nur um ein würdevolles Sterben, sondern auch darum gehen müsse, was für Alte und Kranke getan werde, um endlich würdevolles Leben zu ermöglichen.

spiegel.de (Dietmar Hipp) berichtet über die Arbeit des von Roger Kusch geleiteten "Vereins Sterbehilfe", der in den vergangenen Monaten in einem Versuch bereits Suizidbeihilfe nach dem restriktiven Castelucci-Gesetzentwurf testete. Danach soll eine Suizidassistenz nicht rechtswidrig sein, wenn zwei psychiatrische Gutachten einen freiwilligen, ernsthaften und dauerhaften Sterbewunsch bescheinigen. Kuschs Fazit: Der Entwurf sei so kompliziert, dass er Sterbehilfevereine erst notwendig mache. 

Cannabis: SPD, Grüne und FDP im Bundestag fordern, dass Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) unverzüglich einen Gesetzentwurf zur Legalisierung von Cannabis vorlegen soll. LTO (Hasso Suliak) berichtet über eine entsprechende Erklärung der zuständigen Berichterstatter:innen der Regierungsfraktionen Dirk Heidenblut (SPD), Kirsten Kappert-Gonther (Grüne) und Kristine Lütke (FDP). Lauterbach hatte bisher erklärt, er wolle zunächst auf grünes Licht der EU warten. 

Lieferketten und Menschenrechte: Die Mo-SZ (Björn Finke) schreibt über die schwierigen Verhandlungen über eine europäische Lieferketten-Richtlinie. Das Parlament wolle den von der Kommission vorgelegten Vorschlag verschärfen, während der Rat ihn abschwächen möchte. Am Mittwoch wollen die Mitgliedstaaten sich auf eine entsprechende Verhandlungsposition einigen. Vorgesehen ist dabei auch, die Umstände enger zu fassen, unter denen EU-Konzerne verklagt werden können, wenn Zulieferer auf anderen Kontinenten Verstöße begehen.

Digitale Grundrechte: netzpolitik.org (Julien Schat) veröffentlicht den Entwurf für eine europäische Erklärung der digitalen Grundrechte, auf den sich Kommission, Ratspräsidentschaft und Parlament geeinigt haben und der im Dezember unterzeichnet werden soll. Die Erklärung soll als symbolischer Leitfaden für zukünftige Verhandlungen und Gesetzgebungsprozesse dienen. Allerdings, so das Resümee, blieben die Forderungen der Zivilgesellschaft nach einem echten Grundrecht auf digitale Selbstbestimmung auch mit diesem Bekenntnis unbeantwortet. Ob die politische Erklärung digitaler Grundrechte ein reines Symbol bleibt oder tatsächlich Auswirkungen auf konkrete EU-Entscheidungen haben wird, werde sich zeigen.

Pakt für den Rechtsstaat: LTO berichtet über die Parlamentsdebatte zum Haushalt des Bundesjustizministeriums. Die CDU/CSU warf Justizminister Buschmann vor, in der Diskussion um die Verstetigung des Pakts für den Rechtsstaat die Interessen der Länder nicht ausreichend wahrzunehmen. Buschmann ging auf den Streit nicht direkt ein.

AfD-Richter: Die Hilflosigkeit des Staates im Umgang mit ehemaligen AfD-Abgeordneten, die zurück in die Justiz kommen, und mögliche Lösungen thematisiert der Spiegel (Sophie Garbe). So forderten die Justizministerinnen und -minister Änderungen am Richtergesetz, um Richterinnen und Richter leichter in den frühzeitigen Ruhestand versetzen und ihre Bezüge kürzen zu können. Die sächsische Justizministerin Katja Meier (Grüne) will im Abgeordnetengesetz festschreiben lassen, dass sich Staatsdiener:innen auch während ihrer Zeit im Parlament nicht gegen die freiheitlich-demokratische Grundordnung wenden dürfen.

Einbürgerung: Bundesinnenministerin Nancy Faeser will, dem Koalitionsvertrag folgend, Einbürgerungen erleichtern. Der Erwerb der deutschen Staatsbürgerschaft soll danach bereits nach fünf Jahren, bei besonderen Integrationsleistungen sogar bereits nach drei Jahren möglich sein. Auf die Aufgabe der bisherigen Staatsbürgerschaft soll verzichtet werden. Nancy Faeser erläutert in einem Gastbeitrag für tagesspiegel.de die Pläne. CDU/CSU kritisieren die geplanten Neuregelungen, über die auch Sa-FAZ (Helene Bubrowski), Sa-SZ und Mo-taz berichten.

Die Ampel missachte deutsche Interessen, wenn sie den deutschen Pass großzügig verteile, merkt Reinhard Müller (Sa-FAZ) kritisch an. Die Staatsangehörigkeit sei keine vergilbte Formalie, sondern eine weltweit anerkannte Zuordnung zu einem Gemeinwesen. Klaus Hillenbrand (Mo-taz) meint, dass Faesers Vorschlag in anderen EU-Staaten längst Standard sei. Die Industriestaaten wetteiferten um gut ausgebildete Zuzügler:innen und zu diesem Wettbewerb zählten auch mehr Rechte einschließlich doppelter Staatsangehörigkeit und eine schnellere Einbürgerung.

Asylgerichtsverfahren: Die derzeit im Bundestag diskutierten Änderungen am verwaltungsgerichtlichen Asylverfahren kommentiert Heribert Prantl (Sa-SZ) kritisch. Es werde auch weiterhin zweierlei Recht bei den Verwaltungsgerichten geben - ein Recht für "normale" Rechtsuchende, daneben ein Recht für Flüchtlinge. Besonders stößt ihm das zum Ausdruck kommende Misstrauen gegenüber den Anwält:innen auf, sie würden wie Störer behandelt.

Soziales Pflichtjahr: zdf.de (Charlotte Greipl) untersucht die rechtliche Zulässigkeit des Vorstoßes von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier für eine soziale Pflichtzeit. Dazu müsste die Verfassung geändert werden, bisher allerdings schlage dem Vorschlag aus fast allen politischen Lagern vor allem Ablehnung entgegen. Möglicherweise aber könnte die Debatte am Ende dazu führen, dass bestehende Angebote der Freiwilligenarbeit ausgebaut werden und diejenigen, die einen solchen Dienst leisten, mehr Geld erhalten als das derzeit übliche Taschengeld von 423 Euro.

Justiz

BVerfG zu Leistungen für Asylbewerber:innen: Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes zur Höhe der Leistungen, die Asylbewerber:innen in Gemeinschaftsunterkünften zustehen, wird jetzt auch auf zdf.de (Charlotte Greipl) zusammengefasst und von der wissenschaftlichen Mitarbeiterin Marje Müller im Verfassungsblog analysiert. Der Beschluss füge sich in die vom Gericht aufgestellten Maßstäbe ein, eröffne dem Gesetzgeber aber auch einen erheblichen Gestaltungsspielraum. Die Absenkung sei für verfassungswidrig erklärt worden, weil der Gesetzgeber keine Erkenntnisse über ein tatsächlich mögliches gemeinsames Wirtschaften hatte. Danach hätte es aber ausgereicht, wenn solche Erkenntnisse zwar nicht im Gesetzgebungsverfahren vorhanden gewesen, sondern erst nachträglich erhoben worden wären.

BVerfG zu aktienrechtlicher Sonderprüfung durch VW: Das Bundesverfassungsgericht hat zwei Verfassungsbeschwerden des Autoherstellers VW stattgegeben und festgestellt, dass die vom Oberlandesgericht Celle angeordnete aktienrechtliche Sonderprüfung den Anspruch des Unternehmens auf rechtliches Gehör verletzt habe. Die Sonderprüfung von Volkswagen war von der Deutschen Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz beantragt worden, die dadurch erfahren wollte, ob der VW-Vorstand sowie der Aufsichtsrat im Zusammenhang mit den Abgasmanipulationen an dem Dieselmotor EA 189 rechtliche Pflichten verletzt und wann sie von den Vorgängen erfahren haben. Sa-FAZ (Marcus Jung) und LTO berichten über die Entscheidung.

VerfGH Berlin zu Berlin-Wahl: Rechtsprofessor Martin Morlok blickt im Verfassungsblog noch einmal auf das Wahlprüfungsverfahren des Berliner Landesverfassungsgerichtshofes zurück, in dessen Ergebnis die Wahlen zum Berliner Abgeordnetenhaus und zu den Bezirksverordnetenversammlungen für ungültig erklärt wurden. Es sei richtig, dass es in Berlin zu Wahlwiederholungen komme, es sei allerdings höchst diskussionswürdig, in welchem Umfang dies angezeigt sei. Die Vorkommnisse und ihre Beurteilung durch den Berliner Verfassungsgerichtshof wiesen auf eine Reihe von ungeklärten Fragen hin, die weiteres Nachdenken verdienten, die Entscheidung des Verfassungsgerichtshofes sei daher ein wichtiger Anstoß.

BVerwG zu Coronamaßnahmen: Auch die Akademische Rätin Anna-Lena Hollo analysiert im Verfassungsblog nun die beiden Hauptsacheentscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts zu Coronamaßnahmen aus der Anfangszeit der Pandemie. Die Leipziger Richter hatten festgestellt, dass die Kontaktbeschränkungen in Sachsen nach der dortigen Corona-Verordnung rechtmäßig, die Ausgangsbeschränkungen nach der entsprechenden bayerischen Verordnung dagegen rechtswidrig waren. Die beiden Entscheidungen des BVerwG machten einmal mehr deutlich, so die Autorin, dass die Judikative auch in Zeiten von Pandemien funktioniere: Sie spiele sich einerseits nicht zur allwissenden Epidemiologin auf, scheue sich andererseits aber auch nicht, die staatlichen Verantwortlichen in gewisse – vernünftige und realistische – Schranken zu weisen.

BGH zu Cum-Ex: Der Bundesgerichtshof (BGH) hat das Cum-Ex-Strafurteil gegen den früheren Spitzenmanager der Warburg-Gruppe, Detlef M., bestätigt. Das berichten die Sa-FAZ (Marcus Jung) und LTO. Die Revision des Angeklagten sei unbegründet, damit ist die Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten rechtskräftig.

BGH zu BMW-Kombi statt Porsche-Cabrio: Der Bundesgerichtshof hat festgestellt, dass es einer Porsche-Fahrerin zumutbar ist, statt ihres Porsche-Cabrios ihren Zweitwagen, einen BMW-Kombi, zu nutzen, wenn ersterer in der gemieteten Garage durch ein anderes Fahrzeug blockiert wurde. Deshalb stehe ihr auch nicht der geforderte Schadensersatz in Höhe von 175 Euro pro Tag zu. Zwar habe der Blockierer rechtswidrig und schuldhaft das Eigentum der Frau an dem Auto verletzt, so der VI. Zivilsenat laut spiegel.de und LTO. Für einen Anspruch auf Schadensersatz müsse allerdings "die Entbehrung der Nutzung auch deshalb 'fühlbar' geworden sein, weil der Geschädigte das Fahrzeug mangels eines weiteren geeigneten Kraftfahrzeugs für seine alltägliche Lebensführung wirklich gebraucht hätte".

BGH zu Syndikuseigenschaft: Dass die Weisungsunabhängigkeit eines Vereinsgeschäftsführers, der sich als Syndikusanwalt zulassen lassen will, in der Satzung und nicht nur im Arbeitsvertrag festgelegt sein muss, hat der Bundesgerichtshof Ende Oktober entschieden, wie Rechtsanwalt Martin Huff auf LTO erläutert. Damit lege der BGH die Vorschrift des § 46 Abs. 4 BRAO äußerst restriktiv aus. Offengelassen habe der BGH indes, so Huff, ob bei Anstellungsverträgen, die keine Arbeitsverträge sind, überhaupt eine Syndikuszulassung möglich sei, hier sei deshalb der Gesetzgeber gefordert.

OLG Frankfurt/M. zur Eintragung als Elternteil: Die anfängliche Weigerung eines Standesamtes, eine nicht-binäre Person als Elternteil ins Geburtsregister einzutragen, kann nach späterer Adoption und daraufhin erfolgter Eintragung nicht isoliert auf ihre Rechtmäßigkeit hin überprüft werden. Dies hat das Oberlandesgericht Frankfurt/M. bestätigt, so LTO. Ein Ehepaar wollte die Eintragungspflicht – nicht zuletzt im Hinblick auf weitere gemeinsame Kinder – gerichtlich feststellen lassen, ist damit aber gescheitert. Ein isoliertes Feststellungsverfahren existiere nicht, so das Gericht. § 62 FamFG sei auch nicht unter dem Gesichtspunkt des grundrechtlich gewährleisteten Anspruchs auf effektiven Rechtsschutz erweiternd auszulegen, auch lägen keine Umstände vor, die ein rechtliches Interesse der Eheleute an der begehrten Feststellung losgelöst vom bestehenden Rechtsschutzsystem stützen könnten.

LG Köln zu Mord an Ex-Freundin und Sohn: Rechtsreferendarin Sabrina Prem kommentiert auf LTO eine Entscheidung des Landgerichtes Köln vom September. Ein Mann, der seine Ex-Freundin und den gemeinsamen Sohn tötete, wurde wegen Mordes aus niedrigen Beweggründen verurteilt. Die Autorin meint, hier reiche die Qualifizierung als "Mord" nicht aus; man sollte die Tat auch als "Femizid", also als Mord an einer Frau aus einem frauenfeindlichen und geschlechtsspezifischen Motiv heraus, bezeichnen.

LG Mönchengladbach – Mord durch 71-Jährige: Über den Prozess gegen eine 71 Jahre alte Frau, die ihre Lebenspartnerin, mit der sie seit 25 Jahren zusammengelebt hatte, aus Eifersucht getötet haben soll, berichtet jetzt auch der Spiegel (Julia Jüttner). Die Geschichte sei außergewöhnlich, sie sei einer dieser schwer zu verstehenden Fälle, in denen sich die Tat so leise ankündige, dass sie nicht zu verhindern sei, weil niemand etwas ahne – wohl nicht einmal die, die zur Täterin werde, schreibt die Autorin. Am heutigen Montag soll das Urteil verkündet werden.

LG München I zu Impfnachweisfälschung: Wegen des Fälschens von Anti-Corona-Impfnachweisen in mehr als 1.000 Fällen hat laut LTO das Landgericht München I eine Mitarbeiterin einer Münchner Apotheke zu drei Jahren Haft verurteilt. Für einen ebenfalls angeklagten Bekannten der Frau, der die Impfzertifikate verkauft haben soll, verhängte das Gericht eine Haftstrafe von vier Jahren unter anderem wegen Verstößen gegen das Infektionsschutzgesetz.

FG Köln zu Rückstellungen von Altersfreizeit: Das Finanzgericht Köln hatte sich, wie LTO berichtet, mit der Frage zu beschäftigen, ob Betriebe steuermindernde Rückstellungen bilden können, wenn sie Mitarbeiter:innen Altersfreizeit gewähren. Das Gericht hat das bejaht – die Klägerin habe eine Rückstellung für ungewisse Verbindlichkeiten bilden können. Die Beschäftigten würden mit ihrer Arbeitskraft in Vorleistung treten, die entsprechende Gegenleistung werde von der Klägerin demgegenüber erst in der Zukunft erbracht. Das Finanzamt hat gegen die Entscheidung Rechtsmittel eingelegt, so dass sich der Bundesfinanzhof mit der Frage befassen wird.

Personalmangel in der Justiz: Im Interview mit dem Spiegel (Matthias Bartsch/Dietmar Hipp) spricht der hessische Justizminister Roman Poseck (CDU) über seine Pläne zur Behebung des Personalmangels in der Justiz. So sehe der Haushaltsentwurf in den nächsten zwei Jahren 477 weitere Stellen für die hessische Justiz vor, davon 100 Stellen für Richter:innen und Staatsanwält:innen. Die Einstiegsgehälter sollen deutlich angehoben werden. Außerdem spricht sich Poseck für eine Vereinfachung von Verfahren insbesondere zur Bewältigung von Massenverfahren und eine Entkriminalisierung der Beförderungserschleichung aus.

Pressearbeit der Staatsanwaltschaften: Dem Anspruch, "objektivste Behörde" zu sein, würden die Staatsanwaltschaften nicht immer gerecht, schreibt Ex-Bundesrichter Thomas Fischer auf LTO. Das gelte auch für die Pressearbeit, wenn die Ankläger Dokumente durchstechen oder sich von aggressiven Verteidigern treiben ließen. Fischer zeigt konkrete Maßstäbe auf, an denen sich Staatsanwaltschaften bei ihrer Pressearbeit orientieren müssen. Dazu gehört auch, dass die Veröffentlichungen nicht in einem Wettbewerb um Aufmerksamkeit und Definitionsmacht mit privaten Interessenten oder Beschuldigten stehen dürften.

Recht in der Welt

Ungarn – Justizministerin Varga: Die Mo-FAZ (Stephan Löwenstein) stellt die ungarische Justizministerin Judit Varga vor, die "zuständig sowohl für die juristische Form der Gesetzgebung als auch für den rechtsstaatlichen Apparat Ungarns" ist und deshalb in der Auseinandersetzung mit der EU-Kommission um das laufende Rechtsstaatsverfahren "Hochkonjunktur" hat. Die 42 Jahre alte Juristin gehöre zur "Generation Erasmus", die zum Studium nach Europa ausgezogen sei, spreche Englisch und beantworte auch Fragen auf Deutsch und Französisch in der jeweiligen Sprache.

Großbritannien – Deepfake-Porno-Verbot: Das Verbreiten pornografischer Fake-Inhalte, in denen Menschen mittels Bildmanipulation vermeintlich in intimer Weise gezeigt werden, soll in Großbritannien künftig strafbar werden, teilen Mo-FAZ (Jochen Buchsteiner) und spiegel.de mit. Dabei handele es sich um pornografische Videos, in die computergeneriert das Gesicht der Opfer montiert wird und auch im Bewegtbild teils täuschend echt dargestellt werde.

USA – Prozess gegen Eltern von Schulschützen: Im US-Bundesstaat Michigan müssen sich die Eltern des 16-jährigen Ethan Crumbley, der im vergangenen Herbst an der Oxford High School das Feuer eröffnet und vier Mitschüler tödlich verletzt hatte, wegen fahrlässiger Tötung vor Gericht verantworten. "Ihre grobe Fahrlässigkeit ermöglichte ihrem Sohn den Zugang zur Mordwaffe", zitiert die Sa-FAZ (Christiane Heil) aus der Anklage. Bei einem Schuldspruch drohe Crumbleys Eltern eine langjährige Freiheitsstrafe.

Sonstiges

Klimaproteste – Flughafen BER : Durch eine Aktion der Gruppe "Letzte Generation" in der vergangenen Woche, in deren Folge der Flughafen BER zeitweise für den Flugverkehr gesperrt wurde, ist die Diskussion um eine angemessene Reaktion des Rechtsstaates auf die Klimaaktivist:innen wieder aufgeflammt. Laut Sa-FAZ (Helene Bubrowski) drohten Verurteilungen wegen eines gefährlichen Eingriffes in den Bahn-, Schiffs- und Luftverkehr, Hausfriedensbruches und Sachbeschädigung. Constantin van Lijnden (Mo-Welt) weist darauf hin, dass sehr viel kostspieliger etwaige Regressforderungen des Flughafens werden könnten. Durch die 90-minütige Sperrung hätten 15 Flüge umgeleitet und weitere fünf storniert werden müssen; insgesamt seien nach Angaben des Flughafens etwa 3000 bis 4000 Passagiere betroffen gewesen.

Laut Morten Freidel (FAS) wäre Härte in vielen Fällen durchaus angebracht. Wer andere im Straßenverkehr nötige, könne dafür ins Gefängnis kommen, wer auf gefährliche Weise in den Verkehr eingreife, erst recht. Den Spielraum hätten die Richter. Auch Corinna Budras (Sa-FAZ) fordert, dass die Strafverfolger jetzt dafür sorgen müssten, dass sich die Klimaaktivist:innen in ihrem Protest an Recht und Gesetz hielten. Statt Strafen zu erhöhen, wie es in der Politik diskutiert werde, solle die Politik lieber einen ernsthaften Diskurs führen, der auch die Aktivist:innen einbinde, meint die Rechtsprofessorin Katrin Höffler im Interview mit der Mo-taz (Timm Kühn). Das Strafrecht sei keine Lösung für soziale und ökologische Krisen.

Klimaproteste – Präventivhaft in Bayern: Nachdem die Letzte Generation ihre Proteste in Berlin und München für eine Woche aussetzte, wurden 13 Aktivist:innen in München aus dem präventiven Gewahrsam entlassen, berichtete u.a. die SZ (Martin Bernstein/Ulrike Heidenreich). 

Reinhard Müller (Mo-FAZ) sieht in der Verhängung von Präventivhaft gegen Klimaaktivist:innen eine insgesamt maßvolle Reaktion. Sie sei kein "willkürliches Einsperren". Ein Wegschauen des Rechtsstaates sei hier keine Option. Christian Rath (Mo-taz) bewertet die bayerische Praxis dagegen als unverhältnismäßig, weil mit Freiheitsentziehung Delikte verhindert werden sollen, die im konkreten Fall voraussichtlich nur mit Geldstrafen bestraft werden. Die übermäßige Praxis erleichtere mittelfristig aber eine Korrektur durch den Bayerischen Verfassungsgerichtshof oder durch den nächsten Koalitionsvertrag nach den Landtagswahlen im Herbst 2023. Maximilian Steinbeis (Verfassungsblog) wundert sich in seinem Editorial, dass es die Menschen nicht zorniger mache, dass man mitten in Deutschland, wenn man nur genügend Autofahrer genügend zornig gemacht habe, über viele Wochen ins Gefängnis gesperrt werden könne.

Beunruhigt hat Markus Sehl (LTO) die auf Twitter geäußerte Forderung des früheren Verkehrsministers Andreas Scheuer (CSU) "Klima-Kriminelle" einfach wegzusperren. Der Tweet reihe sich ein in eine immer wieder aufgewärmte Umdeutung des Rechtsstaats in sein Gegenteil, beklagt Sehl. Dabei werde unterschlagen, was eigentlich mit Rechtstaat gemeint ist, nämlich die Bindung staatlicher Gewalt an Gesetze und Recht.

JVA-Leiterin Anke Stein: In ihrer Kolumne "Vor Gericht" porträtiert Verena Mayer (Sa-SZ) die Leiterin der Justizvollzugsanstalt Moabit, Anke Stein. Sie erlebt tagtäglich, wie Menschen auf das Gefängnis reagieren. Besonders schlimm seien dabei die ersten Tage in der Untersuchungshaft, so Stein.

 

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LTO/pf

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Zitiervorschlag

Die juristische Presseschau vom 26. bis 28. November 2022: Erstes G-7-Justizministertreffen / Anhörung zur Suizidbeihilfe / Weiter Debatte um "Letzte Generation" . In: Legal Tribune Online, 28.11.2022 , https://www.lto.de/persistent/a_id/50296/ (abgerufen am: 14.04.2024 )

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