EuGH zu Absprachen bei Arzneimitteln: Irre­füh­rung ist keine Neben­ab­rede

23.01.2018

Zwei Arzneimittel mit dem gleichen Wirkstoff, doch für die Umsatzmaximierung sollte das eine bei Augenerkrankungen eingesetzt werden, das andere bei Tumoren: Diese Absprache zwischen Roche und Novartis war nicht zulässig, befand der EuGH.

Roche und Novartis sind Wettbewerber – trotzdem oder gerade deshalb haben sich die beiden Pharmakonzerne für den Vertreib von zwei Medikamenten abgesprochen. So sollte der Absatz des einen Medikaments verringert und der des anderen gesteigert werden. Der Europäische Gerichtshof (EuGH) vermutet eine bezweckte Wettbewerbsbeschränkung (Urt. v. 23.01.2018, Az. C-179/16), die Details müssen die nationalen Gerichte überprüfen.

Das zum Schweizer Roche-Konzern gehörende Biotech-Unternehmen Genentech stellt die Arzneimittel Avastin und Lucentis her. Mit einer Lizenzvereinbarung überlies Genentech die gewerbliche Verwertung von Lucentis dem Pharmakonzern Novartis. Avastin wird von Roche vertrieben. Lucentis ist für die Behandlung von Augenkrankheiten zugelassen, Avastin für Tumorerkrankungen. Gleichwohl wird auch das preisgünstigere Avastin bei diesem Krankheitsbild eingesetzt.

Roche und Novartis bekamen schon im Jahr 2014 von der italienischen Wettbewerbsbehörde wegen der Absprache eine Geldbuße in Höhe von rund 90 Millionen Euro auferlegt. Die Behörde meint, die beiden Mittel seien für die Behandlung von Augenkrankheiten in jeder Hinsicht gleichwertig. Die Unternehmen hätten dennoch versucht, in der Öffentlichkeit Bedenken hinsichtlich der Sicherheit dieser Anwendung von Avastin zu erzeugen, um die Nachfrage zu Lucentis hin zu verlagern. Das habe für das italienische Gesundheitssystem allein im Jahr 2012 Mehrkosten in Höhe von etwa 45 Millionen Euro bedeutet. Beide Unternehmen klagten gegen die Geldbuße, ein italienisches Gericht legte dem EuGH wettbewerbsrechtliche Fragen zur Vorabentscheidung vor.

Der EuGH musste also klären, ob eine nationale Wettbewerbsbehörde - hier die italienische AGCM - davon ausgehen darf, dass Avastin, obgleich es für die Behandlung von Augenkrankheiten nicht zugelassen ist, zum selben Markt gehört wie das für Augenkrankheiten zugelassene Arzneimittel Lucentis, und - wenn ja - ob die Behörde dabei die etwaige Unzulässigkeit einer augenheilkundlichen Anwendung von Avastin nach dem Arzneimittelrecht der Union berücksichtigen muss.

Derselbe Markt bedeutet Wettbewerb

Die Richter in Luxemburg stellten zunächst fest, dass die beiden Mittel zum selben Markt gehören und daher miteinander im Wettbewerb stehen. Dieser Grundsatz gelte bei rechtmäßig hergestellten und verkauften Arzneimitteln immer dann, wenn sie bei denselben therapeutischen Indikationen eingesetzt werden können – und zwar selbst dann, wenn diese nicht von der Zulassung erfasst sind. Die Einhaltung der genauen Bedingungen sei von den zuständigen nationalen Gerichten und Behörden zu prüfen. Sollten sie das getan haben, so ist auch die für nationale Wettbewerbsbehörde an die Erkenntnisse gebunden. Wurde hingegen nicht geprüft, darf die Wettbewerbsbehörde davon ausgehen, dass beide Erzeugnisse demselben Markt angehören und sie deshalb als miteinander im Wettbewerb stehende Arzneimittel anzusehen sind, die Luxemburger Richter.

Doch auch, wenn sie zum selben Markt gehören, dürfen die Pharmakonzerne Verträge schließen – allerdings nicht so weitgehend, wie sie es getan haben, befand der EuGH weiter. Die von der italienischen Wettbewerbsbehörde geahndete Absprache falle jedenfalls nicht mehr darunter, denn es sei dabei nicht mehr um eine Konkretisierung der Lizenzvereinbarung gegangen. Vielmehr sollte das Verhalten Dritter, insbesondere von Ärzten, gesteuert werden.

Darin könne vielmehr eine "bezweckte" Wettbewerbsbeschränkung liegen. Das sei der Fall, wenn konkurrierende Pharmaunternehmen eine Absprache treffen, um irreführende Informationen über die Nebenwirkungen eines Medikaments zu verbreiten, um den Wettbewerbsdruck auf ein anderes Arzneimittel zu senken. Ob die Informationen tatsächlich irreführend sind, hätten die nationalen Gerichte zu überprüfen, so die Luxemburger Richter.

Auf die Regelung des Art. 101 Abs. 3 Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV), wonach Absprachen unter Unternehmen ausnahmsweise erlaubt sind, können sich die Pharmakonzerne jedenfalls nicht berufen, so der Gerichtshof. Eine solche Freistellung würde voraussetzen, dass die Verbreitung irreführender Informationen über ein Arzneimittel als "unerlässlich" angesehen würde. Das könne für derartige Absprache aber nicht gelten.

tap/LTO-Redaktion

Zitiervorschlag

EuGH zu Absprachen bei Arzneimitteln: Irreführung ist keine Nebenabrede . In: Legal Tribune Online, 23.01.2018 , https://www.lto.de/persistent/a_id/26635/ (abgerufen am: 29.03.2024 )

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