Angeklagter wohl nicht mehr verhandlungsfähig: Ausch­witz-Pro­zess vor dem Aus

17.05.2017

Ein 96-jähriger früherer SS-Sanitäter steht vor dem LG Neubrandenburg unter Anklage. Doch der Prozess gegen ihn scheint nun am Ende angekommen. Gutachter halten den Mann für nicht mehr verhandlungsfähig.

Der wegen Beihilfe zum Mord in über 3.000 Fällen angeklagte ehemalige SS-Sanitäter Hubert Zafke ist nach Meinung zweier Gutachter nicht mehr verhandlungsfähig. Der Prozess gegen ihn vor dem Landgericht (LG) Neubrandenburg könnte dann nicht weitergeführt werden.

Zafke verrichtete als Sanitäter der nationalsozialistischen Schutzstaffel (SS) Dienst im Konzentrationslager Auschwitz-Birkenau, wo im Laufe der Nazi-Herrschaft unzählige Menschen den Tod fanden. Die verschiedenen Schätzungen der Opferzahlen gehen dabei in den Millionenbereich.

Aufgrund seiner Mitarbeit im Lager soll er die dortigen Verbrechen aktiv gefördert und sich somit daran beteiligt haben. Zafke war ab Mitte August 1944 für einen Monat in dem Konzentrationslager tätig. In dieser Zeit sollen dort 14 Deportationszüge angekommen sein, darunter die Familie des Mädchens Anne Frank aus den Niederlanden. Mindestens 3.681 Menschen aus den Zügen wurden nach heutigen Erkenntnissen unmittelbar in Gaskammern umgebracht.

Befangenheitsanträge gegen Strafkammer

Die Staatsanwaltschaft wirft Zafke vor, sich damals in die Lagerorganisation eingefügt und so die Vernichtung von Leben befördert zu haben. Dies stellt nach Auffassung der Ankläger eine strafbare Beihilfehandlung zum Mord dar. Diese rechtliche Konstruktion wurde bereits in der Vergangenheit eingesetzt, um Personal aus den Konzentrationslagern, dem keine direkte Beteiligung an Morden nachgewiesen werden konnte, anzuklagen - so geschehen im Fall von Oskar Gröning.

Der Prozess gegen Hubert Zafke sorgte aber nicht nur aufgrund der angeklagten Verbrechen für Diskussionsstoff. Vielmehr waren es die Richter der verhandelnden Strafkammer, welche von sich reden machten. So stellte zwischenzeitlich sogar die Staatsanwaltschaft Befangenheitsanträge gegen die drei Richter, welche zwischenzeitlich zurückgewiesen wurden.

Die Kammer hatte die Brüder Walter und William Plywaski, die zur Dienstzeit Zafkes gemeinsam mit ihren Eltern in das Lager Auschwitz-Birkenau deportiert worden waren, nicht als Nebenkläger zulassen wollen, da ihnen die Berechtigung fehle. Ihre Entscheidungen in diesem Zusammenhang wurden auf Beschwerde der Brüder Plywaski vom Oberlandesgericht (OLG) Rostock mehrfach revidiert. Im Raum steht zudem der Vorwurf der Rechtsbeugung, den die Staatsanwaltschaft Stralsund prüft.

Schon 2015 Zweifel an Verhandlungsfähigkeit

Nun sind zwei als Sachverständige bestellte Psychiater in ihrem Gutachten zu dem Ergebnis gekommen, dass der Angeklagte aufgrund eines "fortschreitenden mittelgradigen demenziellen Syndroms" nicht mehr verhandlungsfähig sei. Somit ist er nach Meinung der Experten nicht mehr in der Lage, seine Verteidigung angemessen zu führen, wie ein Sprecher des Gerichts mitteilte.

Schon 2015 hatte das LG das Verfahren mit Blick auf die Gesundheit des Rentners nicht eröffnen wollen, das OLG aber ein neues Gutachten anfertigen lassen, das dem Mann eine eingeschränkte Verhandlungsfähigkeit attestierte.

Das Gutachten der beiden Psychiater ist den Prozessbeteiligten nun zugeleitet worden, die Stellungnahmen dazu erwartet das Gericht noch in diesem Monat. Ein Fortgang des Prozesses scheint aber nach derzeitiger Lage unwahrscheinlich.

mam/LTO-Redaktion/dpa

Zitiervorschlag

Angeklagter wohl nicht mehr verhandlungsfähig: Auschwitz-Prozess vor dem Aus . In: Legal Tribune Online, 17.05.2017 , https://www.lto.de/persistent/a_id/22949/ (abgerufen am: 18.04.2024 )

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