Verbandsklage seit dieser Woche möglich: Diese Abhil­fe­klage hilft Ver­brau­chern nicht

Gastkommentar von Karl Hamacher

20.10.2023

Seit dieser Woche sind in Deutschland Sammelklagen direkt auf eine Leistung möglich. Eine Freudenbotschaft für Verbraucher und Verbraucheranwälte? Nein, meint Karl Hamacher. Die neue Klagemöglichkeit wird nahezu bedeutungslos bleiben.

Ob Dieselskandal, unrechtmäßige Kreditkartengebühren oder Abo-Fallen – lange musste jeder Verbraucher einzeln gegen Unternehmen vorgehen. Durch Gesetz geregelten kollektiven Rechtsschutz gab es in Deutschland nicht. 2018 wurde dann die Musterfeststellungsklage eingeführt, die aber eben nur ein Feststellungsurteil zur Folge hat. Die neue Verbandsklage auf Leistung (kurz: Abhilfeklage) ermöglicht hingegen, dass direkt im Wege der Sammelklage auf eine Geldzahlung geklagt werden kann. Die Idee: Verbraucher sollen eine einfache, kostengünstige und erfolgversprechende Klagemöglichkeit erhalten. Doch dieses Versprechen wird die Abhilfeklage in der Regel nicht halten. Ein Geschäftsmodell für Anwälte beinhaltet sie ebenso wenig. Die Gründe dafür: 

Enger Anwendungsbereich der Abhilfeklage

Ansprüche einer Vielzahl von Personen in nur einer Klage zu bündeln, ist kein leichtes Unterfangen. Denn Sachverhalte sind auch bei einem gemeinsamen Kernproblem oft verschieden, sei es wegen unterschiedlicher Anspruchshöhe, leicht unterschiedlichen Problemen mit einem Kaufgegenstand oder abweichenden Vertragsbedingungen. 

Um einen einheitlichen Tenor zu ermöglichen, sah der ursprüngliche Gesetzesentwurf vor, dass nur "gleichartige Ansprüche" Gegenstand einer  Abhilfeklage  sein können. Doch die Ampel wollte einen weiten Anwendungsbereich. Sie entschied sich für die Formulierung "im Wesentlichen gleichartig". Diese vollkommen unbestimmte Ergänzung wird in der Praxis allerdings nicht zu einer tatsächlichen Weiterung des Anwendungsbereiches von Abhilfeklagen führen, denn sie löst das oben aufgezeigte Dilemma im Falle einer Vielzahl von Sachverhalten und Klagen nicht. Das zusätzliche vollkommen unbestimmte Tatbestandsmerkmal ist nicht geeignet, einem Gericht eine einheitliche Tenorierung von unterschiedlichen Sachverhalten zu ermöglichen. 

Auch eine Einteilung in Gruppen von gleichartig Anspruchsberechtigten dürfte kaum weiterhelfen. Denn das widerspricht bereits dem angestrebten Wesen der Abhilfeklage, einen einheitlichen und einfachen Prozess führen zu können und würde auch dem Anliegen des Gesetzgebers, Gerichte von Einzelfallprüfungen zu entbinden, widersprechen. Auch in der gegenwärtigen Ausgestaltung des Gesetzes wird es daher bei wenigen klagegeeigneten Sachverhalten bleiben. Das sind z.B. Ansprüche bei Annullierung desselben Fluges oder bei Zinsnachzahlungsansprüchen aufgrund gleicher unwirksamer Vertragsbedingungen. 

Kaum Chancen auf eine Prozessfinanzierung

Nach dem Gesetz ist der Gebührenstreitwert der Abhilfeklage auf 300.000 Euro begrenzt. Für Anwaltskanzleien bedeutet dies Einnahmen in erster Instanz von rund 10.000,- Euro. Es wird sich wohl kaum ein seriöses Anwaltsbüro finden, dass für eine solche Summe ein derart komplexes Klageverfahren mit möglicherweise hunderten Anspruchstellern führen kann und wird. Von den allein klageberechtigten Verbänden ist jedenfalls nicht zu erwarten, dass sie die fehlenden Mittel für die Durchführung einer Abhilfeklage zur Verfügung stellen. Sie tragen nur wirtschaftliche Risiken. Geht die Klage verloren, tragen sie die Prozesskosten. Gewinnen die Verbände die Klage, geht kein einziger Cent des ausgeurteilten Klagebetrags an die Verbände selbst, sondern allein an die Verbraucher.

Wenn für Prozesse ausreichende Mittel nicht zur Verfügung stehen, gibt es dafür heutzutage Prozessfinanzierer. Diese erhalten im Obsiegensfalle einen attraktiven prozentualen Anteil der eingeklagten Summe. Umgekehrt übernehmen sie dafür die Prozesskosten. Doch für Prozessfinanzierer ist es unattraktiv, Abhilfeklagen zu finanzieren. Erstens darf der Prozessfinanzierer nach dem Gesetz höchstens 10 Prozent der ausgeurteilten Leistung erhalten. Das ist wohl zu wenig, wenn man bedenkt, dass sich die Anteile ansonsten häufig zwischen 25 und 35 Prozent bewegen sollen. 

Hinzu kommt zweitens die späte Beitrittsmöglichkeit für die Verbraucher. Diese können sich noch bis zu 3 Wochen nach dem Schluss der mündlichen Verhandlung für eine Teilnahme an einer Abhilfeklage anmelden. Das macht es für einen Prozessfinanzierer so gut wie unmöglich, die Rentabilität solcher Klagen vorab zu kalkulieren, da unklar bleibt, wie viele Verbraucher einer Abhilfeklage letztlich beitreten werden. 

Die späte Beitrittsmöglichkeit schließt zudem drittens aus, dass Prozessfinanzierer mit spät teilnehmenden Verbrauchern noch Verträge abschließen können, in denen festgelegt wird, wieviel Prozent von der Klagesumme dem Prozessfinanzierer zustehen soll. Ohne eine solche Vereinbarung geht der Prozessfinanzierer allerdings leer aus. Nach dem Gesetz stehen die ausgeurteilten Beträge ohne eine entsprechende Vereinbarung alleine den Verbrauchern zu. Entsprechend wird die Motivation von Prozessfinanzierern, sich an solchen Klagen zu beteiligen, sehr überschaubar bleiben. 

Wer soll also die Verbandsklage einlegen? Verbraucher selbst dürfen nicht; Anwälte auch nicht. Die klageberechtigten Verbände tragen allein wirtschaftliche Risiken und für Prozessfinanzierer wird die Unterstützung regelmäßig unattraktiv bleiben. 

Abhilfeklageverfahren zu kompliziert und zeitaufwändig

Verbraucher werden sich einem Abhilfeklageverfahren auch nur dann anschließen, wenn das Verfahren schnell und effektiv ist. Doch bereits der vom Gesetzgeber vorgesehene typische Verfahrensverlauf steht einem schnellen und effektiven Verfahren entgegen: 

Lesen Sie selbst: Die Abhilfeklage mündet in einem ersten Abschnitt im Regelfall in ein Abhilfegrundurteil, gegen das zulassungsfrei das Rechtsmittel der Revision stattfindet. An das Abhilfegrundurteil schließt sich eine gerichtlich moderierte Vergleichsphase an. Erst wenn klar ist, dass ein Vergleich nicht zustande kommt und wenn zusätzlich das Abhilfegrundurteil rechtskräftig geworden ist, darf das Gericht das Abhilfeverfahren fortführen. Die anschließende Phase endet sodann in einem Abhilfeendurteil, gegen das ebenfalls eine zulassungsfreie Revision stattfindet. Erst im Anschluss daran findet das eigentliche Umsetzungsverfahren statt, in dem ein Sachwalter erstmalig die Einzelansprüche der Verbraucher prüft und die Einziehung und Verteilung der ausgeurteilten Beträge managt. 

Klingt nicht nur anstrengend und langwierig, sondern ist es auch. Das gesamte Verfahren kann ohne Weiteres geschätzte 10 Jahre oder sogar länger dauern.

Schlecht für Verbraucher, gut für Unternehmen

Die Abhilfeklage wird in der gegenwärtigen Verfassung in der Praxis weder eine große Bedeutung für effektiven Verbraucherschutz haben, wie die Sammelklage in den USA, noch wird sie im Regelfall zu einem interessanten Geschäftsmodell für Anwälte oder Prozessfinanzierer. 

Das ist eine schlechte Nachricht für Verbraucher und eine gute für die Unternehmen.

 

Der Autor Karl Hamacher ist Rechtsanwalt und geschäftsführender Gesellschafter bei JONAS Rechtsanwaltsgesellschaft. Er ist Fachanwalt für Gewerblichen Rechtsschutz sowie für Sportrecht.

 

Beteiligte Kanzleien

Zitiervorschlag

Verbandsklage seit dieser Woche möglich: Diese Abhilfeklage hilft Verbrauchern nicht . In: Legal Tribune Online, 20.10.2023 , https://www.lto.de/persistent/a_id/52964/ (abgerufen am: 27.04.2024 )

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