Der EGMR hat entschieden, dass die staatsanwaltliche Überprüfung des Kontos eines Strafverteidigers gegen die EMRK verstoßen hat. Der klagende Kölner Rechtsanwalt erhofft sich von dem Urteil eine erhebliche Signalwirkung, nicht zuletzt an die deutsche Justiz.
Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) hat festgestellt, dass die behördliche Anforderung und Speicherung von Informationen über das Geschäftskonto eines Strafverteidigers das Recht auf Achtung des Privatlebens gemäß Art. 8 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) verletzt (Urt. v. 27.04.2017, Az 73607/13).
Geklagt hatte der Kölner Strafverteidiger Ulrich Sommer. Die Staatsanwaltschaft hatte im Rahmen eines Ermittlungsverfahrens wegen gewerbsmäßigen Bandenbetrugs auch einen Mann ins Visier genommen, den Sommer im Jahr 2009 verteidigt hatte. Dabei wurde sie darauf aufmerksam, dass dessen Verlobte von ihrem Konto, auf auch dem mutmaßlich illegale Einnahmen des Mannes gelandet sein sollten, auch 1.500 Euro Verteidigerhonorar auf das Geschäftskonto des Kölner Strafverteidigers überwiesen hatte.
Im März 2011 ersuchte die Staatsanwaltschaft die Bank des Anwalts um Auskunft über die Umsätze, die in einem Zeitraum von rund zwei Jahren über das Geschäftskonto getätigt wurden. Einen richterlichen Beschluss gab es nicht. Die Bank erteilte der Staatsanwaltschaft dennoch die Auskunft, eine Aufstellung über 53 Transaktionen wurde zur Ermittlungsakte genommen. Sommer erfuhr davon erst im Januar 2012, als er, in diesem Verfahren erst später bestellt, für seinen Mandanten Einsicht in die Ermittlungsakte nahm. Er verlangte daraufhin, die sein Geschäftskonto betreffenden Informationen herauszugeben beziehungsweise zu vernichten. Dem kam die Staatsanwaltschaft nicht nach. Auch vor den deutschen Gerichten bis hin zum Bundesverfassungsgericht (BVerfG) blieb Sommer ohne Erfolg, es handele sich nicht um eine unzulässige Maßnahme bei einem zeugnisverweigerungsberechtigten Berufsgeheimnisträger.
EGMR: StPO schützt Verteidiger nicht genug
Der EGMR aber hat nun eine Verletzung von Art. EMRK festgestellt und dem Anwalt eine Entschädigung von 4.000 Euro zugesprochen. Die Straßburger Richter kritisierten, dass nach der Strafprozessordnung ein bloßer Tatverdacht genüge, um derartige Maßnahmen einzuleiten. Auch sei die Anfrage der Staatsanwaltschaft sehr umfassend gewesen und die Auskunft über das Verteidigerkonto inhaltlich unbegrenzt, habe also sämtliche Kontodaten und Transaktionen erfasst. Diese gelieferten Kontoinformationen gäben Staatsanwaltschaft und Polizei ein komplettes Bild des Strafverteidigers und sämtlicher seiner Mandanten.
Dagegen gebe es auch keine verfahrensrechtlichen Schutzmaßnahmen, kritisierte das Gericht. Die Schwelle für eine Auskunft nach § 161 StPO sei niedrig, der Schutz des Anwalt-Mandanten-Verhältnisses in §160a StPO könne sehr einfach, auch bei nur vagen Verdachtsmomenten ausgehebelt werden. Zudem sei die Maßnahme nur ex post angreifbar und auch nur dann, wenn der Anwalt überhaupt etwas von der Abfrage erfährt. Im Fall Sommer sei das nur dem Zufall zu verdanken.
Signal für mehr Respekt vor der Vertraulichkeit der Beziehung zum Verteidiger
"Das Gesetz gibt keine Grundlage für ein solches Eindringen in die anwaltliche Intimsphäre. Tausende von Mandantendaten waren ebenso betroffen wie private Finanztransaktionen, " erklärte Sommer am Donnerstag nach dem Urteil gegenüber LTO. "Jeder, der Akteneinsicht hatte, u.a. die Verteidigungen der zahlreichen Mitbeschuldigten, konnte die Ergebnisse besichtigen". Erst der Menschengerichtshof in Straßburg habe die deutsche Justiz "auf die rechtsstaatliche Ungeheuerlichkeit dieser Aktionen hinweisen" müssen.
Mit guten Gründen bezweifele der Gerichtshof, ob der gesetzliche Schutz von Verteidigern in der deutschen StPO ausreichend gesichert ist, so der Seniorpartner des renommierten Kölner Strafverteidigerbüros. Aber selbst die dort niedergelegten Voraussetzungen (§ 160a StPO) seien schlicht ignoriert worden. Er begrüßt besonders, dass der EGMR der Auffassung eine Absage erteilt habe, dass auch ohne strafrechtlichen Anfangsverdacht gemäß § 160a Abs.4 StPO bei Vorliegen "bestimmter Tatsachen" durchsucht werden könne - eine Ansicht, die unter anderem auch das Justizministerium vertreten habe.
Die Entscheidung vermittelt nach Ansicht von Sommer den deutschen Juristen rechtliche Präzisierungen und gesetzgeberischen Handlungsbedarf. Der Verteidiger hofft, dass das Signal der EGMR-Entscheidung für die deutsche Justiz "Respekt vor der Strafverteidigung und Respekt gegenüber dem Anspruch eines beschuldigten Bürgers auf die Vertraulichkeit seiner Beziehung zu seinem Verteidiger" ist. "Dann hätte die Entscheidung über die juristische Falllösung hinaus einen kleinen Schritt getan, rechtsstaatlichen Gesetzen zu rechtsstaatlichem Leben zu verhelfen.“
acr/pl LTO-Redaktion
Kölner Strafrechtler gewinnt vor EGMR: . In: Legal Tribune Online, 27.04.2017 , https://www.lto.de/persistent/a_id/22765 (abgerufen am: 11.10.2024 )
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