BGH zur Vergütung bei Kanzleiabwicklung: Mehr Geld für Auflö­sung einer Chaos-Kanzlei

von Martin W. Huff

13.02.2023

Wenn ein Anwalt als Kanzleiabwickler tätig wird, orientiert sich seine Vergütung am durchschnittlichen Einkommen eines angestellten Anwalts - es sei denn, die Abwicklung erweist sich als besonders schwierig. Martin W. Huff erläutert.

In einem am Mittwoch veröffentlichten Beschluss hat der Bundesgerichtshof (BGH) die Grundsätze der Kanzleiabwicklervergütung weiter präzisiert (Beschl. v. 21.12.2022, AnwZ [Brfg] 16/22). Grundsätzlich ist hierfür das durchschnittliche Brutto-Einkommen eines Rechtsanwalts maßgeblich. Aber es gibt auch Ausnahmen: Gestaltet sich die Abwicklung als besonders schwierig und aufwendig, kann eine Erhöhung der Vergütung verlangt werden. Dies gilt auch, wenn der bisherige Kanzleiinhaber selbst tätig wird.

Verstirbt ein Rechtsanwalt und ist niemand vorhanden, der die Mandate, etwa in einer Sozietät, fortführt, kann die örtlich zuständige Rechtsanwaltskammer (RAK) zum Abwickler der Kanzlei nach § 55 Bundesrechtsanwaltsordnung (BRAO) "einen Rechtsanwalt oder eine andere Person, welche die Befähigung zum Richteramt erlangt hat", bestellen. Können sich die Erben und der Abwickler dann später nicht über eine Vergütung einigen, so setzt die RAK eine solche fest. Gegen diese Festsetzung kann der Abwickler (Rechtsanwalt) dann zum Anwaltsgerichtshof (AGH) Klage erheben, etwa mit dem Argument, dass die Vergütung zu niedrig veranschlagt worden sei. Für die Vergütung des Abwicklers haftet dann die RAK wie ein Bürge, sie muss also mit der Vergütung in Vorleistung treten und kann sich dann bei den Erben schadlos halten, wenn bei diesen etwas zu holen ist.

Für die Kammern ist es häufig nicht leicht, einen geeigneten Abwickler zu finden. Streitigkeiten über die Höhe der Vergütung sind dann leider an der Tagesordnung. Einen insoweit sehr anschaulichen Fall hat jetzt der BGH durch einen Nichtannahmebeschluss beendet.

Schlecht organisierte Kanzlei macht Abwickler zu schaffen

Der Sachverhalt:  Im März 2019 verstarb im Bezirk der RAK Bamberg ein Rechtsanwalt. Die Kammer bestellte den Kläger, einen Fachanwalt für Steuerrecht mit langjähriger Berufserfahrung und Mitinhaber seiner Kanzlei, zum Abwickler. Seine Tätigkeit dauerte vom April 2019 bis zum April 2020. Die Kanzlei des verstorbenen Kollegen war wohl, wie sich aus dem Sachverhalt ergibt, durchaus chaotisch organisiert. So waren die Akten vielfach unvollständig und unübersichtlich, Vorschüsse wurden sehr hoch angesetzt, zum Teil aber auch auf Honorare verzichtet. Der die Kanzlei abwickelnde Rechtsanwalt und eine in der Kanzlei angestellte Rechtsanwältin hatten rund 1.000 Akten abzuarbeiten und wandten dafür nach einer detaillierten Aufstellung 1.731 Arbeitsstunden in dem Jahr der Abwicklung auf. Eine Einigung mit den Erben des verstorbenen Rechtsanwalts über die Höhe der Vergütung kam nicht zustande, sodass die RAK Bamberg diese festsetzen musste. Heraus kam dabei 30.000 Euro brutto.

Doch damit war der Abwickler ganz und gar nicht einverstanden. Mit seiner Klage vor dem AGH München verlangte er die Festsetzung der Vergütung auf 205.995 Euro brutto. Überwiegend mit Erfolg: Der AGH setzte die Vergütung auf 151.475,10 Euro fest. Dabei ging das Gericht davon aus, dass als Grundlage für die Vergütung das Bruttoeinkommen eines angestellten Vollzeitanwalts anzusetzen sei. Nach dem statistischen Berichtssystem für Rechtsanwälte (STAR) betrug das Bruttoeinkommen eines solchen Anwalts im Wirtschaftsjahr 2018 in Westdeutschland 78.000 Euro. Dieser Betrag müsse allerdings im konkreten Fall um 50 Prozent erhöht werden, da die Abwicklung besonders umfangreich und besonders schwierig gewesen sei. Hinzu käme außerdem noch eine Vergütung für die Tätigkeit des Kanzleiinhabers selbst. Dieser war rund 300 Stunden an den Abwicklungsarbeiten beteiligt gewesen.

Gegen diese Entscheidung protestierte daraufhin die RAK Bamberg. Sie beantragte beim BGH die Zulassung der Berufung, die der AGH zuvor nicht zugelassen hatte. Doch mit diesem Ansinnen scheiterte die Kammer vor dem BGH.  In einem ausführlichen Beschluss verwies die höchste Instanz der anwaltlichen Gerichtsbarkeit die Argumente der Kammer mehr als deutlich zurückweist.

RAK: "Zehn Minuten Arbeitsaufwand pro Akte angemessen"

Zunächst einmal kassiert die RAK einen deutlichen Rüffel in Bezug auf ihren Angriff gegen das Urteil des AGH, wonach dieser angeblich den verwaltungsprozessualen Untersuchungsgrundsatz verletzt habe. Es wären hier, so die Kammer, ganz konkrete Ermittlungen zu jeder einzelnen Akte und der Tätigkeit des Abwicklers erforderlich gewesen, diese Überprüfung habe der AGH unterlassen. Der BGH wertet dies als "Angriff ins Blaue hinein". Konkrete Einwände gegen die betreffenden Aufstellungen des Abwicklers, welche Tätigkeiten er in welcher Akte durchgeführt habe, seien seitens der Kammer unterblieben. Bei rund 1.000 Akten sei jedenfalls auch eine durchschnittliche Bearbeitungsdauer pro Akte von 1,75 Stunden wie vom AGH veranschlagt nichts Ungewöhnliches. Die RAK Bamberg hatte maximal zehn Minuten pro Akte für angemessen erachtet. Viel zu wenig, so der BGH. Schließlich müsse sich der Abwickler bei seiner Tätigkeit auch an einen von der Bundesrechtsanwaltskammer (BRAK) aufgestellten, weit gefächerten Pflichtenkatalog haltern.

Sodann stellt der BGH klar, dass Grundlage für die Vergütung des Abwicklers grundsätzlich eine Pauschalvergütung ist, die sich an dem Durchschnittsgehalt eines in Vollzeit in den westdeutschen Bundesländern angestellten Rechtsanwalts orientiert. Nach den statistischen Angaben seien dies für das Jahr 2018 rund 78.000 Euro brutto gewesen. Eine weitere Regionalisierung der Vergütung sei nicht erforderlich, da die Datenlage nichts Konkreteres hergebe und auch die RAK hierzu nur Schätzungen und keine konkreten Angaben gemacht habe. Der AGH sei insoweit nicht verpflichtet gewesen, die Kammer auf diese Mängel ihrer Argumentation hinzuweisen.

Weiter, so der BGH, habe der AGH auch der Aufstellung des Abwicklers Glauben schenken dürfen. Dieser habe eine konkrete Aufstellung vorgelegt. Es bleibe das Geheimnis der Beklagten (Rechtsanwaltskammer), weshalb sie diesen Aufwand für unangemessen hochhalte und – wiederum ins Blaue hinein – darüber spekuliere, dass der Kläger Zeiten für den 'Aufbau eines Verkehrsrechtsreferats' als Abwicklungstätigkeiten betrachte.

Pauschale Monatsvergütung statt Stundensatz

Anschließend stellt der BGH noch einmal klar, dass auch die vom AGH angenommenen Vergütungsgrundsätze für die Pauschalvergütung eines Abwicklers ordnungsgemäß sind. Zum einen sei berücksichtigt worden, dass der Kläger selbst tätig geworden sei, zum anderen seinen Arbeiten von einer angestellten Fachanwältin ausgeführt worden. Die Anhebung der Monatspauschale von   6.500 Euro um 50 Prozent sei angemessen gewesen und auch die Zuschläge für die Tätigkeit des Klägers als Abwickler seien nicht zu beanstanden.

Mit seiner Entscheidung bleibt der BGH seinem seit einigen Jahren beschrittenen Weg zur Festsetzung der Abwicklervergütung treu: Danach ist für die Tätigkeit des Abwicklers nicht von einem Stundensatz, sondern von einer pauschalen Monatsvergütung auszugehen. Für diese dürfen die Daten der sogenannten STAR-Statistik der BRAK herangezogen werden.

Im Rahmen der sich daraus ergebenden Pauschalvergütung muss dann das Arbeitsaufkommen gewürdigt werden; für die konkrete Tätigkeit des Abwicklers kann es Zu- oder Abschläge geben. Und auch die Tätigkeiten des Kanzleiinhabers können entsprechend seines Einkommens u.U. durch Zuschläge berücksichtigt werden.

An die Grundsätze des BHGH müssen sich künftig die 27 regionalen Rechtsanwaltskammern sehr deutlich halten, wenn sie nicht, wie die hier verklagte RAK Bamberg, mit deutlichen Worten ihre viel zu gering festgesetzte Vergütung vom Gericht deutlich höher festgesetzt bekommen wollen.

Klar muss jedenfalls auch den Kammern sein: Die Abwicklertätigkeit ist reine durchaus komplexe Angelegenheit ist. Erst recht dann, wenn dieser im wahrsten Sinne chaotische Verhältnisse vorfindet. In den Worten des BGH: "Eine ungeordnete Kanzleistruktur mit einer mängelbehafteten und undurchsichtigen Organisation."  

Zitiervorschlag

BGH zur Vergütung bei Kanzleiabwicklung: Mehr Geld für Auflösung einer Chaos-Kanzlei . In: Legal Tribune Online, 13.02.2023 , https://www.lto.de/persistent/a_id/51043/ (abgerufen am: 28.03.2024 )

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