Anleitung zum Anwaltscoaching: "Spa­zie­ren­gehen im Gehirn der Man­danten"

Kanzlei-Beraterin Johanna Busmann hat ein neues Buch veröffentlicht: "Chefsache Anwaltscoaching - 24 typische Coachingthemen in Anwaltskanzleien." Berufsrechtler Volker Römermann hat einen Blick hineingeworfen – und ist voll des Lobes.

Das Werk beginnt mit einem Zitat: "Wer mit dem Rücken zur Wand steht, hat den ganzen Raum im Blick." Dieses Zitat stammt von der Autorin selbst. Das ist ein starker Auftakt und die Leserinnen und Leser spüren – und sollen es auch spüren –, dass sie es auf den kommenden 695 Seiten mit einer Autorin zu tun bekommen werden, der jedenfalls eines nicht mangelt: Selbstbewusstsein.  

Johanna Busmann versteckt denn auch nicht ihre Vergangenheit, obwohl die ersten Jahre für das hier interessierende Zielpublikum nicht allgemein als Kompetenzindiz gelten werden. Sie "ist", so schreibt sie, "Lehrerin für Französisch und Deutsch und hat diesen Beruf drei Jahre lang … bis zum Herbst 1989 ausgeübt". Anschließend kam eine dreijährige Coaching-Ausbildung in Berlin und nun schon über 30 Jahre Coaching-Arbeit mit der Anwaltschaft.  

Das waren bestimmt nicht immer einfache Zeiten. Schließlich wissen Anwält:innen alles besser und sind schon ihrer Ausbildung nach jeder anderen Person, die mit Kanzleien zu tun hätte, haushoch überlegen. Johanna Busmann hat sich eine Technik angeeignet, damit umzugehen. "Meine Sprache ist manchmal frech", teilt sie gleich zu Beginn mit, "und auch dann nicht kränkend für Mensch, Tier und Pflanze gemeint", wenn eine ansonsten seriöse Information sprachlich gewürzt werde. Die Pflanzen werden damit umzugehen wissen. Wer das als Mensch genauso akzeptiert, wird die Lektüre als angenehm empfinden, langweilig zumindest nie. Und wird sich nicht wundern, dass Buchtitel von Johanna Busmann gerne mit "Chefsache" beginnen. Den Chefs (oder auch Chefinnen) etwas beizubringen, ist das Anliegen der Autorin. Auch: ihnen zu zeigen, welchen Bedarf an Coaching sie haben, wenn ihnen der Schleier vor den Augen weggerissen wird.

Handwerkszeug und Anschauungsmaterial

Auf den ersten Inhaltsseiten findet sich etwas "Handwerkszeug" für Coaches. Mit einem zumindest für mich überraschenden Hinweis: "Seit Ausweitung der COVID-19-Pandemie im März 2020 sind Präsenzcoachings ausgeschlossen." Das hätte ich ganz anders erwartet, Präsenzbesprechungen waren schließlich nie verboten und gerade bei einer sensiblen Gesprächsbeziehung bieten sie sich eigentlich an, vielleicht nicht alternativlos, aber fast.

Buchcover: Chefsache Anwaltscoaching

Im Hauptteil kommen dann die Fälle. Gewählt hat die Autorin einen parallelen Aufbau, das erleichtert die Orientierung: Schlüsselworte, dann die Schilderung eines zwar anonymen, aber doch anschaulichen Falls, der Hintergrund, Coach-Wissen (etwa: "Carl Gustav Jung und die Persönlichkeitstypen"), die Lösung, das Fazit.  

Manches in dem Buch ist bekannt, aber trotzdem sinnvoll, damit immer mal wieder Stoff zum Grübeln zu bekommen. Etwa: "Obwohl viele Vertreter dieser Freien Berufe selbst Unternehmer sind, verhalten sie sich nicht so: Sie wurden alle in ihren Ausbildungen nie gezielt darauf vorbereitet, dass es für erfolgreiche Unternehmer neben unbestritten grandiosen Fachkompetenzen auch noch unbestritten grandiose Managementkompetenzen geben muss."  

Manches wird je nach Funktion der Leserin oder des Lesers in einer Kanzlei vehemente Zustimmung oder Ablehnung erfahren, etwa: "A-Aufgaben eines Anwalts sind wichtig (Qualität) und dringlich (Zeit); sie sind weder delegierbar noch verschiebbar: Akquise, Mitarbeiterführung und alle Fristsachen gehören dazu." Auch Akquise also. Wer nur fristenorientiert arbeitet, wird dazu nie kommen und wundert sich am Ende, wenn seine Klientel stagniert und schrumpft.

"Empathie ist lernbar"

Manches, nein Vieles dreht sich um konkrete Tipps. So etwa im Kapitel "Empathie – Der Anwalt als Coach": "Nur wer locker in Mandanten-Gehirnen spazieren geht, kann Mandanten begeistern. Oft fehlen Zugang, Türöffner und das Wichtigste aller Werkzeuge: der Wille." Empathie sei lernbar, schreibt Johanna Busmann. Ob das hundertprozentig zutrifft, mag dahinstehen. Ein wenig Empathie-Training wird jedenfalls nicht schaden, sondern kann eine Basis darstellen für anwaltliches Tun, das von Mandanten als positiv wahrgenommen wird. Ein erfolgreicher Anwalt sei – wie ein geübter Coach – immer auch ein präziser Beobachter seiner Mandanten und schon aus beruflichen Gründen an deren Gedanken- und Gefühlswelten interessiert.  

Im Rahmen der Empathie beschäftigt sich Busmann mit der "Idiolektik". Dieser Begriff bezeichnet den methodischen und strategischen Umgang eines Menschen mit der Eigensprache seiner Gesprächspartner:in. Eigensprache umfasse dabei alle Merkmale einer Mitteilung, d. h. alle verbalen (Schlüsselworte in der Sprache) und non-verbalen (Gestik, Mimik, Intonation, Sprachmelodie und Atmung) Muster dieses Individuums. Wer sich der "Eigensprache" seines Gesprächspartners hinreichend annähere, werde als herausragend empathisch wahrgenommen.  

Offenbar hat die tiefere Durchdringung von Sprache bei der Autorin jedoch nicht nur angenehme Erinnerungen hinterlassen. "Wer sprachliche Oberflächenstrukturen im privaten Bereich ungebremst durchbricht, sortiert automatisch seinen Freundeskreis neu“, schreibt sie und ergänzt in einer Fußnote: "Die Autorin verlor Anfang der 90er Jahre durch hemmungsloses Anwenden frisch gelernter Sprach-Strategien weit über die Hälfte der bis dahin sie umgebenden 'Freunde'." Gebremst hat sie diese Erfahrung offenbar nicht.

Lob als Manipulation

Ein Schlüsselthema in Anwaltskanzleien ist das Personal. Große Strukturen drehen an der Gehaltsspirale und erhoffen sich dadurch den Zulauf der Besten, deren Einsatz für die Mandantschaft schier grenzenlos zu sein verspricht. Wer darauf setzt, für den hat Busmann durchaus ernüchternde Erkenntnisse parat: "Bei eintönigen Arbeiten, die man nicht als sinnvoll empfindet oder ungern erledigt, lässt sich die Motivation mit einer externen Belohnung verstärken.  

Bei selbstmotivierten Arbeiten, die man als sinnvoll empfindet und gern erledigt, steigt die Motivation durch Belohnungen ab einer gewissen Grenze nicht mehr weiter an und kann sogar die innere Motivation verdrängen." Das wollen die Kanzleien, die bis dahin ungekannte Gehaltshöhen erreicht haben, aber doch wohl nicht damit sagen, dass sie eher eintönige Fließbandjobs zu bieten hätten?  

Andere setzen stattdessen auf Betriebsklima und positives Feedback. "Ist Lob eine Manipulation?", fragt Busmann und antwortet prompt: "Selbstverständlich. Jedes Lob, jede Kritik, jede Frage, jedes Schweigen, jedes Abbrechen eines Satzes vor dem ersten Akkusativobjekt, jedes Wort und jede Geste ist Manipulation." Denn, und nun zitiert die Autorin keinen Geringeren als Paul Watzlawick: "Man kann nicht nicht kommunizieren."  

Partner.Schafft.Panik und Redefurcht

Ein weiteres Kapitel, bei dem schon die Überschrift Vorfreude weckt: "Partner.Schafft.Panik. Alle Partner tragen – theoretisch – die unternehmerische Verantwortung für die Kanzlei und alle Arbeitsplätze darin. Schön wär’s, sagt die Realität."  

In der Tat: Zahllose Sozietäten entstehen, indem angestellte Rechtsanwält:innen zu Partner:innen "befördert" werden, verbunden mit der impliziten Erwartung, nun würde der Rainmaker in ihnen entfesselt. Wenn das nicht eintritt, die Altpartner:innen also weiterarbeiten müssen wie bislang, nur zu geringerem Gewinn, setzt allseits Frustration ein. Manche Anwält:innen sind zu Unternehmer:innen geboren, andere müssen es trainieren und wieder andere werden diese innere Haltung nie ausfüllen.

"Redefurcht" ist ein Kapitel im Buch, das sich wieder stärker der einzelnen Anwältin und dem einzelnen Anwalt zuwendet. "Gibt es Anwälte mit Redefurcht? Das können sich Mandanten und Kollegen nicht vorstellen. Doch Vorstellung verhindert nicht, was im Kopf so mancher Redner vor sich geht." Die Lösung für die Person, die Busmann dem Leser vor Augen führt: die Mikro-Organisation ihres Gehirns wird verändert. Das liest sich gut, wird in der Umsetzung aber vermutlich nicht jedermann gelingen.

Arbeitsbuch mit wertvollen Anregungen

"Steuern Sie sich selbst, bevor das ein anderer tut", ruft der Umschlag des Buches die potenzielle Leser:in auf. Dabei zählt Busmann einige typische Problemfelder in Kanzleien auf, von "chronischer Zeitnot" über "nervigen Zickenkrieg" bis zu "schwierigen Mandanten". Am Ende lautet Ihre gute Botschaft: "Nur was Sie davon selbst verantworten, können Sie auch selbst ändern."  

Johanna Busmann lädt ein, Business-Coaching kennenzulernen und entdecken, "wann und wodurch Sie selbst Coach sein können". Eine interessante Perspektive. Ein Arbeitsbuch. Wer sich die Zeit nimmt, darin zu stöbern, wird zahlreiche wertvolle Anregungen erhalten, an entscheidenden Stellen einer Kanzlei fruchtbringend zu wirken.

Das Buch "Chefsache Anwaltscoaching" von Johanna Busmann ist im Berliner Wissenschafts-Verlag als E-Book und Hardcover erschienen (ISBN: 3830551282). Das rund 700 Seiten umfassende Werk kostet 89 Euro.

Rezensent Prof. Dr. Volker Römermann, CSP, ist Vorstand der Römermann Rechtsanwälte AG und berät seit mehr als 25 Jahren im anwaltlichen Berufsrecht und Rechtsdienstleistungsrecht. Er ist daneben u.a. Direktor des Forschungsinstituts für Anwaltsrecht der Humboldt-Universität zu Berlin.

Zitiervorschlag

Anleitung zum Anwaltscoaching: "Spazierengehen im Gehirn der Mandanten" . In: Legal Tribune Online, 12.02.2022 , https://www.lto.de/persistent/a_id/47515/ (abgerufen am: 24.04.2024 )

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