Electoral College und die Macht der Bundesstaaten: So wird in den USA gewählt

Gastbeitrag von Prof. Dr. James Fowkes

03.11.2020

Am Dienstag wird in den USA der Präsident gewählt. Entscheidend ist das Ergebnis im Wahlkollegium. Doch was ist das und warum muss ein Präsidentschaftskandidat national nicht auf die Mehrheit kommen? James Fowkes erklärt das US-Wahlsystem.

Das amerikanische Wahlsystem stellt einen bundesstaatlichen Kompromiss dar. Wie bei mehreren anderen Regelungen in der US-Verfassung ist es einer zwischen den großen und kleinen Bundesstaaten. Denn würde die Person mit den insgesamt meisten Stimmen zum Präsidenten gewählt, würden Staaten mit einem größeren Bevölkerungsanteil die kleineren Staaten dominieren. Hätte andererseits jeder Staat das gleiche Gewicht und jeweils eine Stimme, dann hätten Wyomings 580.000 Stimmberechtigte auf den Wahlausgang den gleichen Einfluss wie Kaliforniens 39,51 Millionen. 

Das Wahlkollegium (Electoral College) stellt also einen Kompromiss zwischen diesen zwei Extremen dar. Es nähert sich so auch an einen anderen Kompromiss der US-Verfassung an, nämlich den Aufbau der Legislative. Im Senat hat jeder Staat zwei Senatoren, im Repräsentantenhaus sind die Staaten aber entsprechend ihres Bevölkerungsanteils vertreten. So erhalten das winzige Delaware oder das dünn besiedelte North Dakota jeweils einen Sitz, Texas hingegen erhält 36 und Kalifornien 53.

Addition der Sitze

Das Wahlkollegium leiht sich dieses System. Die Senatssitze des jeweiligen Staates werden zu seinen Sitzen im Repräsentantenhaus hinzugefügt und daraus ergibt sich dann die Anzahl seiner Sitze im Wahlkollegium. So erhalten Delaware oder North Dakota je drei Sitze - zwei für ihre zwei Senatoren plus einen Sitz im Repräsentantenhaus, während Texas 38 Sitze hat und Kalifornien 55. Die Bevölkerungszahl spiel also eine wesentliche Rolle für die Anzahl der Sitze im Wahlkollegium, aber sie ist nicht der einzige relevante Faktor. Es geht auch um die Repräsentation der kleineren Bundesstaaten. 

Aus dieser Formel ergibt sich die Gesamtzahl von 535 Sitzen im Wahlkollegium (100 Senatoren plus 435 Parlamentsabgeordnete (Congresswomen und Congressmen). Dazu kommen drei weitere Sitze für den District of Columbia, der selbst kein Staat ist, aber im Wahlkollegium trotzdem wie einer vertreten ist, was auf einen Kompromiss aus dem Jahr 1964 zurückgeht. Zusammen ergibt dies 538 Sitze - und damit 270 Stimmen für einen Sieg im Wahlkollegium.

Hinter dem Wahlkollegium stehen echte Menschen

Wie verhält sich die magische Zahl 270 nun zur Zahl der tatsächlichen Wähler? Das Wahlkollegium besteht aus Wahlmännern und -frauen, die üblicherweise loyale Parteimitglieder sind. In seltenen Fällen kann es dazu kommen, dass diese Menschen das Wahlergebnis in ihrem jeweiligen Staat ignorieren und eine eigene Entscheidung treffen. Dann gelten sie also so genannte "ungläubige Wähler" (faithless electors). 

Damit verbindet sich ein gewisses Risiko - allerdings gab es faithless electors bisher nur aus symbolischen Gründen und ihre Stimmen beeinflussten nur einmal tatsächlich den Ausgang einer Wahl, nämlich in den Vizepräsidentschaftswahlen von 1836. In der Praxis stimmen die Wahlmänner und -frauen entsprechend ihrer jeweiligen staatlichen Regelungen ab, wobei diese unterschiedlich sein können, da die US-Verfassung dies in das Ermessen der Staaten stellt. In fast allen Staaten gilt dabei, dass derjenige mit den meisten Stimmen auch alle Stimmen des jeweiligen Staates im Wahlkollegium erhält. 

Es spielt deshalb meist keine Rolle, mit welcher genauen Stimmenzahl Kandidaten einen Staat gewinnen, sondern nur, dass sie insgesamt eine Stimmmehrheit erhalten. 

Als Donald Trump bei den Präsidentschaftswahlen 2016 nur 5352 Stimmen mehr in Michigan erhielt als Hillary Clinton - sein knappster Sieg in Prozent - erhielt er deshalb alle Stimmen dieses Staates im Wahlkollegium. Als er einen Erdrutschsieg über sie in West Virginia errang, erhielt er ebenfalls alle Stimme von West Virginia - der Unterschied in Prozent spielte also keine Rolle. 

Masse an Stimmen hat keinen Einfluss auf Ergebnis

Aus diesem Grund ist es möglich, dass ein Kandidat auf nationaler Ebene eine Stimmenmehrheit erhält, also die sog. popular vote gewinnt, aber im Wahlkollegium verliert. Dies geschieht jedoch selten, nämlich nur, wenn ein Kandidat in einzelnen Staaten sehr viele Stimmen erhält, ohne in einer ausreichenden Anzahl von Staaten zu gewinnen. In der Geschichte der USA ereignete sich dies nur vier Mal, in 2016, 2000 und zweimal im späten 19. Jahrhundert. 

Hillary Clinton erhielt bei der Wahl im Jahr 2016 zum Beispiel insgesamt 2,8 Millionen Stimmen mehr als Trump, verlor aber dennoch die Wahl im Wahlkollegium. Allein in Kalifornien hatte sie zwar mehr als vier Millionen Stimmen mehr als nötig, für einen Sieg gebraucht hätte sie aber nur ein wenig mehr Stimmen in einigen der wichtigen Staaten. Genau gesagt hätte sie etwa 11.000 Stimmen mehr in Wisconsin benötigt, etwa 5.000 mehr in Michigan und ca. 22.000 in Pennsylvania. Mit diesen Stimmen hätte sie in diesen Staaten gesiegt und damit im Wahlkollegium die Marke von 270 Stimmen überschritten.

Zugleich ein Kompromiss zwischen den Parteien

Gegenwärtig würden die Demokraten in den USA deshalb von einem Wahlsystem profitieren, in dem es auf die Gesamtstimmenzahl ankäme. Denn es waren Demokraten, Gore und Clinton, die in den Jahren 2000 und 2016 jeweils eine höhere Gesamtstimmenzahl erhielten, aber im Wahlkollegium dennoch die Wahl verloren. Umgekehrt würden Republikaner von einem System profitieren, in dem jeder Staat ein möglichst gleiches Gewicht für die Präsidentschaftswahl hätte. In den vergangenen 25 Jahren hatten die Republikaner deshalb überwiegend im Senat die Mehrheit. 

Das Wahlkollegium stellt deshalb weder für die Demokraten noch die Republikaner eine ideale Reglung dar: für die Demokraten, weil es nicht auf die Mehrheit aller abgegebenen Stimmen ankommt, für die Republikaner, weil das System die Bevölkerungszahl im Vergleich zu den Einzelstaaten so hoch gewichtet. Das entspricht der Natur eines föderalen Kompromisses.

Eine Reform könnte einfach sein

Das bedeutet aber natürlich nicht, dass die US-Bevölkerung die Kompromisslösung des Wahlkollegium weiterhin unterstützt. Die USA sind als Nationalstaat über die vergangenen zwei Jahrhunderte hinweg stark zusammengewachsen und das Nationalbewusstsein ist ausgeprägter als vor 200 Jahren. 

Den erfolgversprechendsten Reformvorschlag enthält derzeit der sog. National Popular Vote Interstate Compact. Staaten, die dem Compact beitreten, erklären, nicht auf der Grundlage der jeweiligen Stimmenmehrheit in ihrem eigenen Staat im Wahlkollegium abzustimmen, sondern entsprechend dem Wahlausgang auf nationaler Ebene, d.h. sich am Ergebnis der popular vote zu orientieren. Tritt eine ausreichende Zahl von Staaten dem Compact bei, deren Anteil im Wahlkollegium insgesamt über 270 Stimmen liegt, würde dies sicherstellen, dass derjenige Kandidat, der die höchste Gesamtstimmenanzahl erhält, tatsächlich auch im Wahlkollegium gewinnt und Präsident wird. 

Der Compact tritt jedoch erst dann in Kraft, wenn auch genug Staaten beitreten. Aktuell ist dies nicht der Fall, der der Stimmenanteil der beigetretenen Staaten im Wahlkollegium liegt bei 187 und damit unter den nötigen 270. Colorados Mitgliedschaft, die dem Compact weitere neun Stimmen bringen würde, ist Gegenstand eines Referendums in diesem Staat, das am Dienstag – dem Wahltag - stattfindet. Ändern kann das für die aktuelle Wahl indes noch nichts.

Bei den Präsidentschaftswahlen kommt es deshalb wieder auf die magische Zahl von 270 Stimmen im Wahlkollegium an und damit primär darauf, welche Staaten die Kandidaten gewinnen, nicht darauf, welchen Anteil der Gesamtstimmenzahl sie erhalten. Es ist nicht das einfachste System, aber föderale Kompromisse sind selten einfach.

Der Autor Prof. Dr. James Fowkes, LL.M. (Yale) ist Professor an der Westfälischen-Wilhelms-Universität Münster und hat eine Professur für Ausländisches und Internationales Recht.

Zitiervorschlag

Electoral College und die Macht der Bundesstaaten: So wird in den USA gewählt . In: Legal Tribune Online, 03.11.2020 , https://www.lto.de/persistent/a_id/43295/ (abgerufen am: 25.04.2024 )

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