Olaf Scholz als Zeuge zu "Cum-Ex": Was darf vom Auf­tritt im Unter­su­chungs­aus­schuss erwartet werden?

Gastbeitrag von Dr. Max Schwerdtfeger

18.08.2022

Zeugen müssen vor Untersuchungsausschüssen erscheinen und wahrheitsgemäß aussagen – eine politische Stresssituation. Wie Ausschüsse und Zeugen sich auf die Vernehmungstermine vorbereiten, stellt Dr. Max Schwerdtfeger dar.

Die politischen Erwartungen an den Auftritt von Bundeskanzler Olaf Scholz am Freitag im Hamburger Untersuchungsausschuss sind groß, wie die dpa heute vermeldet. "Ich erwarte von Herrn Scholz, dass er endlich auspackt und reinen Tisch macht", sagte der Obmann der CDU, Richard Seelmaecker. Der Ausschuss, in dem Scholz schon zum zweiten Mal erscheint, soll eine mögliche Einflussnahme führender Politiker auf die steuerliche Behandlung der in den Cum-Ex-Skandal verwickelten Warburg Bank untersuchen.

Die Erwartungen werden auch dadurch geschürt, dass der Auftritt in einem Untersuchungsausschuss für Zeugen eine Extremsituation darstellen kann. Die Vernehmungen durch die Ausschüsse sind für sie ungewohnte Stresssituationen. Zeugen sind gesetzlich zum Erscheinen verpflichtet und müssen – unter Strafandrohung – wahrheitsgemäß aussagen. Sie werden in einem Untersuchungsausschuss regelmäßig mit ihnen unbekannten Unterlagen oder nicht präsenten Informationen konfrontiert, zu denen sie sich unvermittelt im Rahmen ihrer Aussage verhalten müssen. Die Befragung führen Politiker durch, die häufig strafprozessual eigentlich unzulässige Suggestivfragen stellen. Der Druck ist hoch, jeder Fehler wird politisch und medial verwertet.

Es überrascht nicht, dass in der Vergangenheit Politiker, Spitzenbeamte sowie Vertreter der Wirtschaft aufgrund der Erkenntnisse von parlamentarischen Untersuchungsausschüssen sowie ihrer politischen Deutung, der medialen Berichterstattung bzw. der rechtlichen Bewertung der Erkenntnisse ihre Posten räumen mussten.

Eine Vorbereitung der Vernehmung ist deshalb unumgänglich; dafür können Zeugen auch einen Beistand engagieren, der sie später sogar in die Vernehmung begleiten darf.

Mit den scharfen Instrumenten der Strafprozessordnung

Sämtliche 16 Landesparlamente sowie der Deutsche Bundestag können parlamentarische Untersuchungsausschüsse (abgekürzt: "PUA") einsetzen (auf Bundesebene: Art. 44 Grundgesetz); Zweck der Ausschüsse ist die Aufklärung von fast beliebigen Sachverhalten mit politischer Relevanz. Auf Bundesebene waren dies zuletzt die Themen "PKW-Maut" und "Wirecard" nach der Sommerpause des Bundestags wird ein PUA zum Thema "Afghanistan" starten.

Zur Aufklärung der Sachverhalte findet eine Beweisaufnahme statt. Dafür stehen dem PUA – zum Teil in abgewandelter Form – die scharfen Instrumente der Strafprozessordnung zur Verfügung (vgl. auf Bundesebene: Art. 44 Abs. 3 S. 1 GG). Abgeordnete können deshalb mit Mitteln des Strafprozessrechts, die sonst ausschließlich Staatsanwälten und Strafgerichten zur Strafverfolgung vorbehalten sind, Sachverhalte zu politischen Zwecken aufklären. Der PUA gilt deshalb – zurecht – als schärftes Schwert in der politischen Auseinandersetzung.

Der Zeuge als Beweismittel

Zentrales Beweismittel ist der Zeuge; Zeuge vor einem PUA kann jede natürliche Person sein, die der Ausschuss zur Aufklärung des Sachverhalts lädt – auch Behördenspitzen oder Minister. Vereinzelt sehen die Gesetze der Landesparlamente neben dem "Zeugen-" auch einen "Betroffenenstatus" vor, mit einem z.T. anderen Rechte- und Pflichtenkanon, der Betroffene hat etwa ein Anwesenheitsrecht während der Beweisaufnahme (so z.B. in Hamburg).

Um mediale Aufmerksamkeit für die Arbeit des PUA herzustellen, werden regelmäßig Politiker, Spitzenbeamte sowie Spitzenkräfte der Wirtschaft geladen. Die Zeugenvernehmungen sind grundsätzlich öffentlich und werden sehr häufig medial begleitet. Nicht selten wird sogar live, parallel zu der Aussage des Zeugen, aus der Vernehmung getwittert (teilweise sogar von den Ausschussmitgliedern, die die Befragung selbst durchführen). Die Aussage des Zeugen wird damit sofort bewertet und (social-)medial gefärbt. Im Anschluss an wichtige Zeugenaussagen geben die Ausschussmitglieder Pressestatements zu der Aussage ab und deuten diese oftmals gelenkt durch ihre politischen Ziele. Die mediale Berichterstattung greift dann häufig nicht nur die Aussage des Zeugen, sondern auch die politische Deutung der Aussage auf.

Es liegt auf der Hand, dass die Aussage für den Zeugen – etwa, wenn er etwas Unüberlegtes oder Überraschendes sagt – deshalb eine große Tragweite haben kann; dies gilt im Besonderen, wenn parallel zu dem PUA über denselben Sachverhalt ein Straf-, Schieds- oder Zivilverfahren geführt wird, für das die Zeugenaussage ebenfalls Relevanz hat.

Pflicht des Zeugen, auf Ladung zu erscheinen und wahrheitsgemäß auszusagen

Dabei hat der geladene Zeuge keine Möglichkeit, einer Aussage zu entgehen. Er ist gesetzlich verpflichtet, zu erscheinen (auf Bundesebene: § 20 Abs. 1 S. 1 PUAG). Zeugenpflicht ist – nach dem Bundesverfassungsgericht – Staatsbürgerpflicht. Erscheint der Zeuge trotz Ladung nicht, kann gegen ihn ein Ordnungsgeld in Höhe von bis zu 10.000 Euro festgesetzt oder die zwangsweise polizeiliche Vorführung angeordnet werden (auf Bundesebene: § 21 Abs. 1 PUAG). Es liegt auf der Hand, dass insbesondere Personen des öffentlichen Lebens keine Möglichkeit haben, sich der Erscheinenspflicht zu entziehen, da andernfalls eine negative mediale Berichterstattung droht.

Der erschienene Zeuge ist darüber hinaus gesetzlich verpflichtet, auszusagen. Verweigert er die Aussage rechtsgrundlos, kann ihm ein Ordnungsgeld in Höhe von bis zu 10.000 Euro auferlegt werden (auf Bundesebene: § 27 Abs. 1 PUAG). Gesetzlich möglich ist sogar Beugehaft gegen den Zeugen, um eine Aussage zu erzwingen (auf Bundesebene: § 27 Abs. 2 PUAG).

Dabei muss die Aussage des Zeugen wahrheitsgemäß erfolgen; sagt er vorsätzlich falsch aus, macht er sich gem. § 153 StGB i.V.m. § 162 Abs. 2 StGB wegen falscher uneidlicher Aussage strafbar.

Es ist zu beobachten, dass Zeugen die Wahrheitspflicht vor parlamentarischen Untersuchungsausschüssen offenbar wiederkehrend unterschätzen; anders ist nicht zu erklären, weshalb es immer wieder Ermittlungsverfahren wegen Falschaussagen im Kontext von PUA-Aussagen geführt werden, aktuell etwa gegen Bundesminister a.D. Andreas Scheuer.

Vorbereitung der Vernehmung durch den Ausschuss

Dabei sieht sich der Zeuge einem Ausschuss gegenüber, der über eine gewaltige Menge an Informationen verfügt, auf die er für die Vernehmung des Zeugen zurückgreifen kann. 

Sämtliche Bundes- und Landesbehörden sind grundsätzlich verpflichtet, dem PUA auf Anforderung sachverhaltsrelevante Unterlagen zur Verfügung zu stellen (vgl. auf Bundesebene § 18 PUAG). Dies umfasst auch Ermittlungsakten der Staatsanwaltschaft. Private – insbesondere Unternehmen – sind ebenfalls verpflichtet, auf Anforderung sachverhaltsrelevante Unterlagen (sogar unternehmensinterne E-Mails und Messengernachrichten sämtlicher Unternehmensebenen) herauszugeben (vgl. auf Bundesebene: § 29 PUAG). Diese Herausgabepflicht kann sogar mittels einer Durchsuchung der Geschäftsräume des Unternehmens durchgesetzt werden (vgl. auf Bundesebene: § 29 Abs. 3 PUAG).

Die so gesammelten Unterlagen werden durch den Mitarbeiterstab der Ausschussmitglieder vor der Zeugenvernehmung auf Relevanz ausgewertet. Die Unterlagen und ihre Inhalte kann der PUA dem Zeugen im Rahmen der Vernehmung dann vorhalten; der Zeuge muss schließlich – entsprechend seiner Aussage- und Wahrheitspflicht – sofort Stellung nehmen. Abgesehen von der Möglichkeit, eine Pause zu erbitten – was ggf. nicht souverän wirkt –, hat der Zeuge keine andere Möglichkeit, als sich der Situation zu stellen.

Warum Spitzenpolitiker ohne Zeugenbeistand kommen

Dabei hat der Zeuge das Recht auf einen Zeugenbeistand (vgl. auf Bundesebene: § 20 Abs. 2 PUAG). Der Zeugenbeistand darf auch während der Vernehmung – neben dem Zeugen sitzend – anwesend sein und hat das Recht, zu prozessualen Fragen Stellung zu nehmen (insbesondere unzulässige Fragen der Ausschussmitglieder zu rügen). Er darf den Zeugen auch während der Vernehmung beraten und dafür die Vernehmung unterbrechen lassen. Die Anwesenheit des Zeugenbeistands kann dem Zeugen helfen, während der Vernehmung Ruhe und Sicherheit zu finden. Es ist jedoch zu beobachten, dass (Spitzen-)politiker regelmäßig darauf verzichten, zu der Vernehmung mit einem Beistand zu erscheinen; es besteht wohl die Sorge, dass die Anwesenheit des Beistands medial als Schwäche gedeutet wird. Ob diese Sorge berechtigt ist und die Vorteile der Anwesenheit des Beistands während der Vernehmung überwiegt, sollte im Einzelfall beurteilt werden.

Vor allem aber ist der Zeugenbeistand – so oder so – für den Zeugen im Vorfeld der Vernehmung tätig; er klärt ihn über seine Rechte und Pflichten auf und bereitet ihn auf die Vernehmungssituation vor. Hierzu gehört auch die Vorbereitung eines "Eingangsstatements", das der Zeuge üblicherweise zu Beginn der Vernehmung verliest, bevor er – ohne zeitliche Obergrenze – durch die Ausschussmitglieder befragt wird. Anders als im Strafprozess ist – wegen des politischen bzw. medialen Einschlags des PUA – die Vorbereitung des Zeugen auf Vernehmungen durch Ausschüsse anerkannt und wird mitunter von den Ausschussmitgliedern auch eingefordert.

Ein Vorteil der Vorbereitung der Aussage mit einem Zeugenbeistand ist, dass diese – anders als die Vorbereitung ausschließlich mit politischen und medialen Beratern – geschützt ist; der Zeuge muss dem Ausschuss nicht beantworten, worüber er und sein Zeugenbeistand gesprochen haben und wie er sich mit diesem vorbereitet hat.

Bundeskanzler Scholz sieht sich also einer herausfordernden Aufgabe gegenüber, auf die er sich gewiss intensiv vorbereitet hat, unabhängig davon, ob er von einem Zeugenbeistand in die Vernehmung begleitet wird oder nicht.

Dr. Max Schwerdtfeger (Salary-Partner) ist als Rechtsanwalt und Strafverteidiger in der auf Wirtschafts- und Steuerstrafrecht spezialisierten Kanzlei Meyer-Lohkamp & Pragal in Hamburg tätig. Er vertritt regelmäßig Zeugen als Beistand in parlamentarischen Untersuchungsausschüssen und ist Lehrbeauftragter der Universität Hamburg für das Recht der parlamentarischen Untersuchungsausschüsse.

Zitiervorschlag

Olaf Scholz als Zeuge zu "Cum-Ex": Was darf vom Auftritt im Untersuchungsausschuss erwartet werden? . In: Legal Tribune Online, 18.08.2022 , https://www.lto.de/persistent/a_id/49358/ (abgerufen am: 18.04.2024 )

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