Entwurf des BMJV zur Reform des Strafverfahrens: Eine vertane Chance

von Prof. Dr. Björn Gercke

18.01.2017

2/2: Viele Änderungen zugunsten von Beschuldigten nicht durchgekommen

Weggefallen ist hingegen das im Referentenentwurf noch vorgesehene eigenständige Antragsrecht des Beschuldigten im Ermittlungsverfahren auf Bestellung eines Pflichtverteidigers. Ebenso weggefallen ist die  ursprüngliche vorgesehene Verpflichtung, dem Beschuldigten vor der Auswahl eines Sachverständigen Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben, mithin seinem Anspruch auf rechtliches Gehör gerecht zu werden, sowie schließlich ein gesetzliches Verbot der Überwachung von Anbahnungsgesprächen zwischen Beschuldigtem und Verteidiger.

All diese Beschränkungen zum Nachteil des Beschuldigten und seiner Verteidigung entsprechen den Forderungen des Deutschen Richterbundes (DRB) vom Juli 2016 in seiner Stellungnahme zum Referentenentwurf. Insbesondere die darin enthaltenen Ausführungen zum Überwachungsverbot von Anbahnungsgesprächen zeugen von einem befremdlichen (Fehl-)Verständnis des anwaltlichen Berufsethos, wenn auf die mit dem ursprünglich vorgesehenen Überwachungsverbot angebliche einhergehenden "erhebliche(n) Missbrauchsgefahren", ja sogar mögliche "Absprachen/Einschüchterungen" hingewiesen wird.

Zu wenig Vertrauen in die Anwaltschaft

Eine Rechtsprechung, die den Verteidiger seit jeher als "Organ der Rechtspflege" begreift und ihm deshalb auch hiermit vermeintlich einhergehende Pflichten auferlegt (man denke nur an die "Widerspruchslösung", nach der der Verteidiger mit Blick auf seine Organstellung verpflichtet wird, das Gericht auf bestimmte Verfahrensfehler hinzuweisen, will er sich in der Revision hierauf berufen ), bringt in Gestalt des DRB als ihres maßgeblichen Sprachrohrs der Anwaltschaft offensichtlich nicht das erforderliche Vertrauen entgegen – und hat damit beim Gesetzgeber auch noch Erfolg. Und dies, obwohl die Mandatsanbahnung berufs- wie strafrechtlich bereits (völlig zu Recht!) unter das anwaltliche Schweigegebot fällt.

Der Deutsche Anwaltverein (DAV) hat insoweit zutreffend darauf hingewiesen, dass der Rechtsanwalt bereits durch das Schwert des § 203 Strafgesetzbuch (StGB) "auf dem Pfad der Tugend gehalten wird", dies freilich nicht ohne den Seitenhieb, dass dies ebenso für den Staatsanwalt durch die §§ 258a, 344 StGB gelte.

Auch eine im Referentenentwurf noch vorgesehene Ausweitung der audiovisuellen Aufzeichnung von Zeugenvernehmungen ist nicht mehr vorgesehen. Geblieben ist allerdings noch die Aufzeichnungspflicht von Beschuldigtenvernehmungen (§ 136 Abs. 4 StPO-E), wenn auch nur in bestimmten Fällen, insbesondere bei Tötungsdelikten.

Geblieben sind ferner die bereits im Referentenentwurf vorgesehene Ausweitung der Hinweispflichten des Gerichts nach § 265 StPO sowie die Möglichkeit der Verfahrenseinstellung nach § 153a StPO in der Revisionsinstanz.

Die vorgesehene Ausweitung von Erklärungsrechten der Verteidigung, insbesondere ein sog. Opening Statement, wurde ggü. dem Referentenentwurf auf solche Verfahren mit einer Verhandlungsdauer von voraussichtlich mehr als zehn Tagen beschränkt.

Es bleib allenfalls ein Reförmchen

Gemessen an den Vorschlägen der Expertenkommission hat dieses "Reförmchen" nur noch fragmentarischen Charakter; es spiegelt überdies ein einseitiges Verständnis von Effektivität und Praxistauglichkeit wider. Dass sich Bundesjustizminister Maas in seiner begleitenden Presseerklärung zum Regierungsentwurf explizit auf die Expertenkommission beruft, haben deren Teilnehmer nicht verdient.

Die Chance, wesentliche offene Fragen des aktuellen Strafverfahrensrechts zu klären, wurde mit diesem Entwurf vertan. Mit Blick auf das Ende der Legislaturperiode ist auch in absehbarer Zeit nicht mit einer umfassenden Reform des Strafverfahrens zu rechnen. Es ist zu befürchten, dass die geplanten Änderungen quasi als Feigenblatt dazu dienen, eine umfassende Reform, die diesen Namen auch verdienen würde, auf lange Sicht nicht anzugehen.

Der Autor Prof. Dr. Björn Gercke ist Fachanwalt für Strafrecht, Honorarprofessor der Universität zu Köln und Partner der Kanzlei Gercke | Wollschläger in Köln.

Zitiervorschlag

Prof. Dr. Björn Gercke, Entwurf des BMJV zur Reform des Strafverfahrens: Eine vertane Chance . In: Legal Tribune Online, 18.01.2017 , https://www.lto.de/persistent/a_id/21798/ (abgerufen am: 29.03.2024 )

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