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OLG Koblenz entscheidet zu Folter in Syrien: Das Welt­straf­recht am Limit

von Dr. Markus Sehl

12.01.2022

Prozess am OLG Koblenz gegen Anwar R.

Der Angeklagte und die anderen Prozessbeteiligten stehen im Gerichtssaal des Oberlandesgerichts. (c) picture alliance/dpa | Thomas Frey

Im weltweit ersten Strafprozess urteilt ein Gericht über Folterverbrechen des syrischen Geheimdienstapparats. Dass der Ex-Offizier R. in Deutschland vor Gericht steht, hat eine Vorgeschichte, die auch die Grenzen der Strafverfolgung deutlich macht. 

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Unabhängig davon, wie das Urteil am Donnerstagmorgen im Saal 120 im Koblenzer Oberlandesgericht (OLG) ausfallen wird - es hat eine historische Dimension, da sind sich Beobachterinnen und Beobachter einig. Schon zum Prozessauftakt im April 2020 wurde der Strafprozess (Az. 1 StE 9/19) mit Superlativen aufgeladen. Die Bundesanwaltschaft, die damalige Justizministerin und beteiligte NGOs betonten, dass es sich um das weltweit erste Strafverfahren gegen Mitglieder des Assad-Regimes wegen Verbrechens gegen die Menschlichkeit handelt. Aus den Statements sprach auch Stolz, das Verfahren in Deutschland vor Gericht gebracht zu haben.  

Dort ist der ehemalige Oberst des Allgemeinen Geheimdienstes Anwar R. angeklagt, der als Ermittlungsleiter der Abteilung 251 im Al-Khatib-Gefängnis in Damaskus in den Jahren 2011 und 2012 für die grausame Folter von mindestens 4.000 Menschen verantwortlich gewesen sein soll. Mindestens 30 Gefangene sind währenddessen laut Bundesanwaltschaft gestorben. Der 57-Jährige soll als Vorgesetzter die Befehlsgewalt über die folternden Vernehmungsbeamten gehabt haben.  

Angeklagt ist er völkerstrafrechtlich wegen Mittäterschaft bei einem systematischen Angriff auf die Zivilbevölkerung, worunter auch Mord und Vergewaltigung fallen. Dass der Prozess überhaupt in Koblenz stattfindet, ermöglicht das sogenannte Weltrechtsprinzip: Es erlaubt der Bundesanwaltschaft, auch Völkerstrafrechtstaten zu verfolgen, die im Ausland begangen wurden und gar keinen Bezug zu Deutschland aufweisen. Ein Verfahren vor dem Internationalen Strafgerichtshof scheiterte am Veto von China und Russland. 

Mehr als ein Strafprozess? 

In über 100 Verhandlungstagen hat der 1. Strafsenat des OLG über 80 Zeuginnen und Zeugen befragt, Sachverständige gehört, hat zum ersten Mal Fotografien der sogenannten Caesar-Dateien – Aufnahmen von Folter- und Todesopfern eines ehemaligen syrischen Militärfotografen - ausgewertet.  

Nach knapp zwei Jahren Gerichtsverhandlungen und jahrelanger Vorarbeit der Ermittlerinnen und Ermittler steht eine gewaltige Leistung des Rechtstaats. Entstanden ist, wie es sich beteiligte NGOs wie etwa der ECCHR von Anfang an erhofften, nicht nur eine Beweisaufnahme in einem Strafrechtsfall, sondern eine umfassende Bestandsaufnahme eines brutalen Unterdrückungssystems.  

Eine Leistung, die auch ohne mutige Zeuginnen und Zeugen, von denen viele selbst zu den Folteropfern gehörten, nicht möglich gewesen wäre. Viele entschieden sich trotz traumatischer Erfahrungen und Bedrohungen in dem Prozess auszusagen, weil sie auf ein faires und rechtstaatliches Verfahren vor einem deutschen Gericht setzten, wie sich in einem aktuellen SWR-Beitrag eindrucksvoll nachhören lässt. 

Dass das OLG nicht nur konkrete Taten, sondern auch Strukturen im Geheimdienstapparat des syrischen Machthabers Baschar Al-Assad aufzuklären hatte, wird auch durch die einschlägigen Straftatbestände des Völkerstrafgesetzbuchs (VStGB), insbesondere im § 7 vorgeprägt. Die Strafvorschriften sind darauf gerichtet, systematische Verstöße gegen menschrechtliche Kerngarantien zu ahnden.  

Im Plädoyer der Bundesanwaltschaft hat Oberstaatsanwalt Jasper Klinge betont, gerade in Deutschland sei es aufgrund historischer Verantwortung wichtig, Verbrechen gegen die Menschlichkeit nicht hinzunehmen. Das "sind wir den Opfern schuldig", sagte er. Klinge hat lebenslange Haft beantragt. Und die Feststellung der besonderen Schwere der Schuld,  was eine Haftentlassung nach 15 Jahren nahezu ausschließt. Sein Verteidiger hat für R. Freispruch gefordert. 

Der Prozess erhält seine besondere Dimension auch durch den Umstand, dass es um Strukturen eines Regimes geht, das noch gegenwärtig an der Macht ist. Das unterscheidet das Koblenzer Verfahren etwa von vergangenen Prozessen um Kriegsverbrechen in Ostkongo oder Taten auf dem "Staatsgebiet" des IS. Mehr als in Koblenz geht nach der Völkerstrafrechtsidee kaum.  

Warum der Fall des Juristen Anwar R. für die Strafverfolgung einzigartig sein dürfte 

Zur Besonderheit des Prozesses gehört wohl aber auch seine Einzigartigkeit. Und die hängt stark mit der Vorgeschichte des Verfahrens zusammen, mit der Frage, wie und warum R. überhaupt in Koblenz vor Gericht steht.  

Aus Sicht der Strafverfolger dürfte es sich um einen ungewöhnlich aussichtsreichen Fall handeln – haben sie es doch für Auslandssachverhalte regelmäßig mit einer äußerst schwierigen Beweislage zu tun: Tausende Kilometer entfernt liegende Tatorte und dort lebende Zeuginnen und Zeugen, wenig oder gar nicht kooperative Behörden, fremde Sprachen und nicht zuletzt Verdächtige, die für Festnahmen schlicht nicht erreichbar sind. So war im Juni 2018 bekannt geworden, dass die Bundesanwaltschaft einen internationalen Haftbefehl gegen den ehemaligen Leiter des syrischen Luftwaffengeheimdienstes erwirkt hat. Weltweit gesucht wird Jamil Hassan wegen Verbrechens gegen die Menschlichkeit. Er hielt sich immer mal wieder im Libanon auf, verhaftet wurde er dort nicht. 

Der Prozess wegen Kriegsverbrechen im Ostkongo zog sich am OLG Stuttgart über viereinhalb Jahre und kostete rund fünf Millionen Euro. Und dennoch: Der Bundesgerichtshof (BGH) entschied 2018, dass der Fall teilweise neu verhandelt werden muss. Insbesondere der Nachweis des Vorsatzes war ein Knackpunkt. 2019 starb einer der beiden Angeklagten - nach neun Jahren Untersuchungshaft. Ein Fall, der zeigt, wie schwierig bei völkerstrafrechtlichen Prozessen die Aufklärung geraten kann. 

Was macht den Fall von R. also so besonders? Im Jahr 2011 werden dem Juristen Anwar R. seine Kompetenzen für das Gefängnis entzogen, so hat es sein Anwalt Yorck Fratzky im Schlussplädoyer vorgetragen. Ende 2012 desertierte er und floh nach Jordanien, wo er sich der syrischen Opposition anschloss. Der desertierte Geheimdienstoffizier des Assad-Regimes wurde von der Opposition zunächst gefeiert. Der hochrangige Überläufer bestärkte Hoffnungen, dass die Macht des Regimes bröckelt.  2014 flog R. sogar als Mitglied einer Oppositionsdelegation zu Friedensgesprächen mit dem UNO-Sonderbotschafter für Syrien nach Genf. Im gleichen Jahr verließ er Jordanien und reiste mit einem Visum legal nach Deutschland ein. Er begab sich damit freiwillig in die Reichweite der deutschen Strafverfolgung. Vieles deutet daraufhin, dass er fest glaubte, nichts befürchten zu müssen.   

Weil er sich selbst vom langen Arm des syrischen Geheimdiensts in Deutschland bedroht fühlte, ging er zur Polizei. Erst einmal passierte danach nichts. Als R. aber später in einem Verfahren gegen einen anderen syrischen Militärangehörigen als Zeuge beim Landeskriminalamt Baden-Württemberg Aussagen machte, leiteten die Beamten 2017 den Fall an das Bundeskriminalamt (BKA) weiter. Es dauerte noch weitere zwei Jahre, in denen R. weiter in Deutschland lebte, bis er festgenommen wurde. Entdeckung, Beweislage und Festnahme dürften für die Strafverfolgung eine seltene Konstellation darstellen, von der es zwar ein paar, aber immer weniger geben wird: Nach Deutschland geflohene Deserteure, die lange Zeit bereitwillig bei der Aufklärung von Verbrechen in Syrien geholfen haben, dürften durch das Verfahren gegen R. aufgeschreckt worden sein.  

Der Prozess in Koblenz hatte ursprünglich mit zwei Angeklagten begonnen. Im Februar 2021 wurde der jüngere, der Syrer Eyad A., zu viereinhalb Jahren Haft wegen Beihilfe zu einem Verbrechen gegen die Menschlichkeit verurteilt (Az. 1 StE 3/21). Der 45-Jährige hatte nach Überzeugung der Richter in Syrien 2011 dazu beigetragen, 30 Demonstranten des Arabischen Frühlings ins Foltergefängnis Al-Khatib zu bringen. Über die Revision von A. gegen sein Urteil ist noch nicht entschieden. 

Syrischer Arzt arbeitete seit 2015 in Deutschland, 2020 festgenommen 

Aus Ermittlerkreisen erfuhr LTO, dass derzeit rund 100 offene Ermittlungsverfahren zu Taten nach dem Völkerstrafgesetzbuch bei der Bundesanwaltschaft geführt werden. Nicht alle zu Syriens Regime, aber doch ein beträchtlicher Anteil. Im Auftrag der Bundesanwaltschaft ermittelte das BKA schon seit rund zehn Jahren in einem Strukturverfahren zu Syrien und sammelte Erkenntnisse. In den Folgejahren konnte sich die Bundesanwaltschaft dann auf Personen konzentrieren, die nach Deutschland gekommen waren. 

Schon in der kommenden Woche beginnt beim OLG Frankfurt am Main der Prozess gegen Alaa M. Ihm wird vorgeworfen, in den Jahren 2011 und 2012 unter anderem in einem syrischen Militärkrankenhaus Gefangene gefoltert zu haben. Einmal soll er einen Gefangenen mittels einer Injektion vorsätzlich getötet haben. Seit 2015 war er als Arzt in Deutschland wieder tätig, erst 2020 wurde er festgenommen. 
 
 

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OLG Koblenz entscheidet zu Folter in Syrien: . In: Legal Tribune Online, 12.01.2022 , https://www.lto.de/persistent/a_id/47189 (abgerufen am: 08.11.2025 )

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