Lückenlos soll die Aufklärung zur NSA-Affäre sein, schreien viele Politiker. Doch sogar vor dem Parlamentarischen Kontrollgremium des Bundestages dürfen die Nachrichtendienstler ausnahmsweise schweigen. Welche Offenbarungspflichten wem gegenüber bestehen und wann ein Schweigen erlaubt ist, erklärt Sebastian Roßner.
Über Jahre hinweg soll der Bundesnachrichtendienst (BND) für den US-amerikanischen Nachrichtendienst NSA deutsche und europäische Unternehmen, befreundete Staaten sowie die EU ausgekundschaftet haben. Dafür habe die NSA dem BND Suchbegriffe, sogenannte Selektoren, vorgegeben, die dann vom BND im Rahmen der strategischen Überwachung der Telekommunikation nach § 5 Gesetz zur Beschränkung des Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnisses (G 10) eingesetzt wurden. Die ausgewerteten Ergebnisse soll der BND den Kollegen von der NSA übergeben haben. Unter den von der NSA übermittelten Selektoren waren laut Medienberichten auch Suchbegriffe, die auf europäische und deutsche Quellen verwiesen und die zur Ausspähung europäische Politiker, EU-Institutionen und Spitzenbeamten befreundeter europäischer Staaten führten.
Dabei ist es nach § 5 Abs. 2 S. 2 Nr. 1, S. 2 G 10 rechtswidrig, Suchbegriffe zu verwenden, die zur gezielten Erfassung deutscher oder von Deutschen im Ausland genutzter Telekommunikationsanschlüsse führen, wie dies etwa bei der Verwendung von Emailadressen, IP-Adressen oder Telefonnummern als Suchbegriff möglich ist. Irgendwann fielen auch dem BND diese Probleme auf. Unklar ist, was der Nachrichtendienst dann unternommen hat, insbesondere ob und inwieweit er das Bundeskanzleramt informierte.
Denn der BND, und das gibt der Affäre ihre besondere politische Würze, fällt in den Geschäftsbereich des Bundeskanzleramtes. Damit befindet sich, neben den zu verschiedenen Zeiten als Chefs des Kanzleramtes agierenden politischen Schwergewichten Frank-Walter Steinmeier, Thomas de Maizière und Peter Altmaier, auch Angela Merkel selbst im engeren Einzugsbereich der Affäre. Es geht politisch also um die brisante Frage, wer was wann erfahren hat von den zweifelhaften Aktionen des BND.
Die Aufklärung fällt der Bunderegierung sichtlich schwer: Insbesondere die Liste der Selektoren möchte sie einstweilen nicht herausgeben, sondern sich dazu zunächst mit den USA besprechen. Die Bundesregierung setzt sich damit unter erheblichen Begründungsdruck, da der Bundestag zur Kontrolle der Regierung berufen ist und deshalb grundsätzlich Informationen aus ihrem gesamten Tätigkeitsumfang verlangen darf. Gleiches gilt, im Rahmen ihrer jeweiligen Aufgabenbereiche, für die Ausschüsse und Untersuchungsausschüsse des Bundestages sowie das eigens zur Kontrolle der Nachrichtendienste des Bundes eingerichtete Parlamentarische Kontrollgremium nach Art.45d Grundgesetz (GG).
Grenzen des Informationsanspruchs
Zwar gibt es verfassungsrechtliche Grenzen für den Informationsanspruch des Bundestages. Auf diese Grenzen verweist etwa § 18 Abs. 1 Untersuchungsausschussgesetz (PUAG), das für die Tätigkeit des NSA-Untersuchungsausschusses einschlägig ist. Die Regierung muss aber für jeden Einzelfall begründen, weshalb eine solche verfassungsrechtliche Grenze tangiert ist, vgl. etwa § 18 Abs. 2 S. 2 PUAG für abgelehnte Auskunftsbegehren eines Untersuchungsausschusses.
Ähnlich ist auch § 6 Abs. 2 Kontrollgremiumgesetz (PKGrG) gefasst, das die Tätigkeit des Parlamentarischen Kontrollgremiums für die Nachrichtendienste des Bundes nach Art.45d GG regelt. Danach gilt, dass sich die Regierung auch selbst auf verfassungsrechtliche Gründe berufen darf, um Fragen des Parlaments nicht zu beantworten. Die Regierung ist dabei verpflichtet, dies in jedem Einzelfall zu begründen. Dieses Muster - die Regierung darf sich auf verfassungsrechtliche Gegengründe berufen, um Fragen des Parlaments nicht zu beantworten, ist aber verpflichtet, dies in jedem Einzelfall zu begründen - gilt allgemein für die Informationsansprüche des Bundestages gegenüber der Regierung und geht zurück auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts.
Die Gründe, ein Auskunftsverlangen des Parlaments, seiner Ausschüsse und sonstigen Kontrollorgane zurückzuweisen, sind danach eng gefasst und lassen sich in drei Gruppen einordnen.
2/2: Die erste Grenze - Kernbereich der Exekutive
Eine verfassungsrechtliche Grenze stellt der sogenannte Kernbereich der Exekutive dar, der aus dem Grundsatz der Gewaltenteilung abgeleitet wird. Danach hat die Regierung als Teil der ausführenden Gewalt gegenüber dem Parlament als Kern der Legislative einen Bereich der Eigenverantwortung.
Dies bedingt einen Bereich der Beratung und Willensbildung innerhalb der Regierung, der nicht durch das Parlament ausgeforscht werden kann. Wie das Bundesverfassungsgericht (Beschluss vom 17. Juni 2009, Az. 2 BvE 3/07, Rn. 123) formuliert, darf es nicht zu einem "Mitregieren Dritter bei Entscheidungen kommen, die in der alleinigen Kompetenz der Regierung liegen". Damit scheidet ein Informationsanspruch des Parlaments in der Regel aus, solange die fragliche Regierungsentscheidung erst noch vorbereitet wird.
Die zweite Grenze - Schutzwürdige Rechte der Bürger
Die Regierung darf und muss weiterhin schweigen, wenn eine Auskunft schutzwürdige Rechte von Bürgern verletzen würde. Das betrifft die Grundrechte, besonders den Kernbereich des allgemeinen Persönlichkeitsrechts, aber auch etwa das Steuergeheimnis (zu beidem Urteil BVerfg vom 17. Juli 1984, 2 BvE 15/83).
Allerdings muss die Regierung ebenfalls prüfen, ob zum Schutz der Individualrechte nicht auch Geheimhaltungsmaßnahmen des Parlaments ausreichend wären, die bewirken, dass die fraglichen Informationen in einem kleinen Kreis von zum Schweigen verpflichteten Personen bleiben.
Die dritte Grenze - Das Staatswohl
Daneben kann eine Begrenzung des parlamentarischen Informationsrechts auch aus dem Staatswohl folgen, das durch ein Bekanntwerden bestimmter Informationen in Gefahr geraten könnte. Allerdings ist das Wohl des Staates durch die Verfassung nicht allein der Bundesregierung, sondern ebenso dem Bundestag anvertraut (BVerfG, Beschluss v. 17. Juni 2009, Az. 2 BvE 3/07, Rn. 130).
Die Bundesregierung kann sich also gegenüber dem Bundestag grundsätzlich nicht auf das Staatswohl berufen, falls der Bundestag seinerseits geeignete Maßnahmen zu Geheimhaltung der Informationen trifft.
Starke Position des Bundestages
Da es sich bei der fraglichen Kooperation von BND und amerikanischen Diensten um in der Vergangenheit beschlossene Vorgänge handelt, kann sich die Bundesregierung nicht auf den Kernbereich der Exekutive berufen, um Informationen gegenüber dem Bundestag zurückzuhalten.
Allerdings könnten sich grundrechtsrelevante Daten in den angefragten Daten finden. So ist es denkbar, dass sich aus den Suchbegriffen, die von der NSA vorgegeben worden sein sollen, Rückschlüsse auf Informanten westlicher Dienste oder auf Geschäftsgeheimnisse von Firmen ziehen lassen. In diesem Falle müssen die Daten geschützt werden, was aber im Regelfall durch Geheimschutzmaßnahmen des Bundestages geschehen kann.
So ist für die Tätigkeit des NSU-Untersuchungsausschusses das sogenannte "Treptow-Verfahren" entwickelt worden, bei dem nur die Obleute der Fraktionen im Untersuchungsausschuss in den Räumen des Bundesamtes für Verfassungsschutz in Berlin-Treptow Einblick in ungeschwärzte Akten etwa über V-Leute oder die Fernmeldeüberwachung im Zusammenhang mit der Terrorzelle NSU nehmen konnten.
Dieses Verfahren könnte auch für die im Bundeskanzleramt lagernden BND-Akten angewandt werden. Daten, die grundrechtlich so sensibel sind, dass sie selbst unter diesen Sicherheitsvorkehrungen nicht an den Bundestag weitergegeben werden können, sind zwar vorstellbar, dürften aber eine seltene Ausnahme bilden.
Auch das Staatswohl taugt nur ausnahmsweise als Begründung dafür, dass eine Anfrage des Bundestages oder seiner Ausschüsse und sonstigen Kontrollorgane nicht beantwortet wird. Auch hier sind Geheimschutzmaßnahmen vorrangig, um das Staatswohl zu schützen. Nur wenn die Regierung in der Lage ist, zu begründen, dass solche Maßnahmen nicht ausreichen, dürfen ausnahmsweise dem Parlament Informationen verweigert werden.
Ein solcher Fall könnte hier vorliegen falls die Vereinbarungen mit den amerikanischen Diensten vorsehen, dass auch an den Bundestag, seine Ausschüsse und Kontrollgremien bestimmte Informationen nicht weitergegeben werden dürfen und falls weiterhin ein Bruch dieser Vereinbarung durch die deutsche Regierung erheblichen Schaden an den deutsch-amerikanischen Beziehungen anrichten würde. In diesem Fall müsste aber die fragliche Zusammenarbeit mit den amerikanischen Diensten beendet werden - was der BND nach Medienberichten getan hat - und dürfte zu solchen Bedingungen auch nicht wieder aufgenommen werden.
So hat der Bundestag eine starke Position – ob der die auch gegenüber der Bundesregierung durchzusetzen gewillt ist, ist eine andere Frage. Die NSA jedenfalls wird wohl kaum mitwirken: Sie hat es bereits lapidar mit dem Argument der Zeitkürze abgelehnt, überhaupt Begründungen für die Überwachung zu liefern.
Der Autor Dr. Sebastian Roßner M.A. ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Öffentliches Recht, Rechtstheorie und Rechtssoziologie der Heinreich-Heine-Universität Düsseldorf.
Sebastian Roßner, BND-Affäre: Schweigerecht und Redepflicht . In: Legal Tribune Online, 07.05.2015 , https://www.lto.de/persistent/a_id/15482/ (abgerufen am: 03.10.2023 )
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