Krankschreibung per WhatsApp: Prak­tisch und pro­b­le­ma­tisch

Gastbeitrag von Jan Schiller

15.01.2019

Ein Unternehmen bietet bei Erkältungen Krankschreibungen per WhatsApp an – ohne persönlichen Kontakt zwischen Arzt und Patient. Jan Schiller erläutert, ob Arbeitgeber die Bescheinigung akzeptieren müssen.

Seit einigen Tagen sorgt ein neuer Service eines Hamburger Unternehmens nicht nur bei Arbeitgebern für Verwunderung und Zweifel: Dieser ermöglicht es Arbeitnehmern mit Erkältungssymptomen, eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung (AU-Bescheinigung) online zu beantragen. Wer eine Krankschreibung haben will, muss im Internet ein Formular ausfüllen, in dem klassische Erkältungssymptome abgefragt werden. Danach muss der Erkrankte über den Ende-zu-Ende verschlüsselten Messenger-Dienst WhatsApp persönliche Daten und ein Foto der Versichertenkarte übermitteln. Nach Prüfung durch einen Arzt erhält er den Krankenschein vorab digital als Foto sowie im Original per Post zugeschickt. Ein persönliches Gespräch mit einem Arzt findet nicht statt.

Das Modell wirft viele Fragen auf. Vertreter mehrerer Ärztekammern äußerten nicht nur aus datenschutzrechtlicher Sicht Bedenken, sondern zweifelten an, ob ein Arzt die Arbeitsunfähigkeit überhaupt ohne persönliche Untersuchung des Patienten bescheinigen darf. Unterstellt man einmal die medizinrechtliche Zulässigkeit einer solchen Bescheinigung, stellt sich für betroffene Arbeitgeber die Frage, ob eine ohne Untersuchung ausgestellte und digital übermittelte AU-Bescheinigung ausreicht, um die nach § 5 Abs. 1 Entgeltfortzahlungsgesetz (EFZG) bestehende Nachweispflicht des Arbeitnehmers zu erfüllen.

Arbeitgeber könnten Bedenken äußern

Legt ein Arbeitnehmer eine AU-Bescheinigung vor, so kann der Arbeitgeber diese sowohl formell als auch materiell anzweifeln. Die hier angebotene Bescheinigung erfolgt soweit ersichtlich auf dem durch den Bundesmanteltarifvertrag für Ärzte vorgegebenen Muster, so dass sie zumindest inhaltlich den Vorgaben genügen dürfte. Aber: Reicht eine digitale Version der Krankschreibung oder muss sie dem Arbeitgeber in Schriftform, also im Original, vorgelegt werden? Das Gesetz macht hierzu keine Vorgaben, überwiegend wird aber aus der Formulierung – laut Gesetz ist die Bescheinigung "vorzulegen" – auf ein Schriftformerfordernis geschlossen, schon wegen der besonderen Nachweisfunktion der Bescheinigung. In diesem Fall reicht eine digitale Version der Bescheinigung allein nicht aus, um der Nachweispflicht des Arbeitnehmers zu genügen. Der Arbeitgeber hat immer das Recht, sich das Original vorlegen zu lassen.

Der Anbieter des neuen Service übersendet dem Arbeitnehmer die Krankschreibung jedoch nicht nur als Bilddatei über den Messanger-Dienst, sondern auch als Original per Post – das dauert allerdings naturgemäß ein bis zwei Tage. Der gesetzliche Regelfall, nach dem der Arbeitnehmer bei einer Arbeitsunfähigkeit von mehr als drei Tagen die ärztliche Bescheinigung spätestens am darauffolgenden Arbeitstag vorlegen muss, wäre aber hier für die Arbeitnehmer erfüllbar.

Digitale Übersendung und Vorlage im Original

Arbeitgeber können allerdings auch verlangen, dass der Arbeitnehmer den Nachweis ab dem ersten Tag der Arbeitsunfähigkeit erbringt. Dies schließt mit ein, dass der Arbeitnehmer die AU-Bescheinigung grundsätzlich auch noch an diesem Tag vorlegen muss. Dieses Verlangen kann der Arbeitgeber formlos und ohne materielle Voraussetzungen stellen. Solange der Arbeitgeber dies nicht pauschal von allen oder zumindest einer Gruppe von Arbeitnehmern verlangt, ist diese Vorgabe mitbestimmungsfrei möglich.

Schon aus praktischen Gründen kann es dem Arbeitnehmer unmöglich sein, die angeforderte Bescheinigung im Original bereits am ersten Tag der Arbeitsunfähigkeit vorzulegen. Ist eine persönliche Übergabe nicht möglich, reicht es aus, dass der Arbeitnehmer die Bescheinigung einscannt oder mit seinem Smartphone fotografiert und dem Arbeitgeber per E-Mail übersendet. Auch dies wäre mit der WhatsApp-Krankschreibung möglich.

Aus datenschutzrechtlichen Gründen ist Arbeitgebern dringend davon abzuraten, die Krankschreibung als Bilddatei über einen Messanger-Dienst anzunehmen. Vor allem WhatsApp greift auf Namen und Telefonnummern aus dem Telefonbuch des Empfängers zu und überträgt diese in die USA. Dies ist grundsätzlich nur mit einer Einwilligung der Betroffenen zulässig. Liegt eine solche nicht von jedem Kontakt im Telefonbuch des Arbeitgebers vor – und das dürfte nur bei den Kontakten anzunehmen sein, die selbst einen WhatsApp-Account haben –, begeht der Arbeitgeber einen Datenschutzverstoß und riskiert ein Bußgeld nach der Datenschutzgrundverordnung. Arbeitgeber sollten also unbedingt verlangen, dass der Krankenschein als E-Mail oder Fax vorab eingereicht wird, wenn eine persönliche Übergabe nicht möglich ist. Außerdem sollten sie darauf bestehen, sich das Original schnellstmöglich – grundsätzlich am Folgetag – vorlegen zu lassen, um deren Echtheit überprüfen zu können.

Der Arbeitgeber kann die Annahme einer vorab zugesandten digitalen AU-Bescheinigung also aus formellen Gründen nicht per se ablehnen. Hier fehlt es noch an entsprechender Rechtsprechung.

Erschütterung des Beweiswertes

Neben formellen Erwägungen können Arbeitgeber aber auch materielle Zweifel an einer AU-Bescheinigung äußern, die ohne persönliche Untersuchung des Arbeitnehmers ausgestellt wurde. Die Rechtsprechung spricht den Bescheinigungen zwar einen hohen Beweiswert zu (vgl. BAG Urt. v. 26.02.2003, Az. 5 AZR 112/02), der Arbeitgeber kann die Arbeitsunfähigkeit aber anzweifeln und diesen Beweiswert erschüttern. Dazu muss er Tatsachen darlegen und beweisen, die ernsthafte Zweifel an dem tatsächlichen Bestehen der Arbeitsunfähigkeit hervorrufen.

Entsprechende Zweifel können sich aus zwei Aspekten ergeben: aus der Bescheinigung und deren Inhalt selbst sowie aus den tatsächlichen Umständen der Erteilung der Bescheinigung. Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hatte bereits im Jahr 1976 über einen Fall zu urteilen, in dem eine AU-Bescheinigung ohne eine persönliche Untersuchung des Arbeitnehmers, sondern allein aufgrund einer fernmündlichen Krankmeldung durch die Ehefrau des Patienten ausgestellt wurde (BAG, Urteil v. 11.08.1976, Az. 5 AZR 422/75). Das Gericht ging davon aus, dass ohne eine vorangegangene Untersuchung des Arbeitnehmers der Beweiswert einer AU-Bescheinigung beeinträchtigt wird, sodass sie in der Regel nicht als Nachweis der Arbeitsunfähigkeit dienen kann. Stattdessen müsse der Arbeitnehmer die Arbeitsunfähigkeit mit anderen Beweismitteln darlegen und der Tatrichter unter freier Beweiswürdigung entscheiden, ob er die Arbeitsunfähigkeit als erwiesen ansieht oder nicht.

Krankschreibungsquote von nahezu 100 Prozent

Im Fall der WhatsApp-Krankschreibungen des Hamburger Unternehmens kann der Arbeitgeber die Bescheinigung also dadurch angreifen, dass er darlegt und beweist, dass diese im Rahmen des Online-Angebotes ohne eine vorherige Untersuchung des Arbeitnehmers ausgestellt wurde. Dies wird noch untermauert durch die Tatsache, dass der Anbieter selbst mit einer statistischen Krankschreibungsquote von "nahezu 100%" wirbt und andererseits den Service auf zwei Krankenscheine pro Jahr beschränkt. Zudem wird eine rückwirkende Krankschreibung bis zu drei Tagen angeboten und der Arbeitnehmer kann sich offenbar aussuchen, für wie lange er innerhalb eines maximalen Fensters von fünf Tagen krankgeschrieben werden will.

Bei Zweifeln, ob eine Arbeitsunfähigkeit tatsächlich besteht, kann der Arbeitgeber auch von der zuständigen Krankenkasse verlangen, dass diese ein Gutachten des Medizinischen Dienstes zur Überprüfung der Arbeitsfähigkeit einholt (§ 275 Abs. 1a S. 3 SGB V). Verweigert der Arbeitnehmer die Durchführung einer solchen Untersuchung oder entbindet er seinen behandelnden Arzt nicht von dessen Schweigepflicht, kann dies im Streitfall ebenfalls gegen das Bestehen der Arbeitsunfähigkeit sprechen.

Unabhängig davon, ob die Ausstellung einer AU-Bescheinigung durch einen Arzt ohne vorherige persönliche Untersuchung überhaupt zulässig ist, können Arbeitgeber deren Beweiswert mit guten Argumenten erschüttern. Das Missbrauchspotential eines solchen Angebotes liegt auf der Hand. Auch Arbeitnehmern ist daher nicht zu raten, bis zu einer Klärung der aufgeworfenen Fragen, diesen Service in Anspruch zu nehmen.

Jan Schiller ist Fachanwalt für Arbeitsrecht bei CMS in Deutschland. Er berät nationale und internationale Unternehmen neben klassischen individual- und kollektivarbeitsrechtlichen Themen in den Bereichen Datenschutz und Compliance.
 

Zitiervorschlag

Krankschreibung per WhatsApp: Praktisch und problematisch . In: Legal Tribune Online, 15.01.2019 , https://www.lto.de/persistent/a_id/33171/ (abgerufen am: 28.03.2024 )

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