Spionage für Russland: Zu geheim für den Gerichts­saal?

von Dr. Markus Sehl

13.12.2023

Staatsgeheimnisse, 400.000 Euro bar im Umschlag, Deckname "Puffotter". In Berlin startet ein Prozess mit Stoff für einen Spionagethriller. Aber wie viel Geheimes darf die Öffentlichkeit im Gerichtssaal überhaupt erfahren?

Gut zwanzig Minuten lang verlas Bundesanwalt Lars Malskies im Gerichtssaal 145a die Anklage, der Vorwurf: Landesverrat, in besonders schweren Fällen. Dann war erst einmal wieder Schluss, denn einer der Knackpunkte des Prozesses musste aus logischen Gründen zuerst erörtert werden: Wie viel Geheimes aus diesem Spionageverfahren soll an die Öffentlichkeit dringen?

Der Generalbundesanwalt wirft dem hochrangigen BND-Mitarbeiter Carsten L. und dem Diamantenhändler Arthur E. vor, Staatsgeheimnisse des deutschen Auslandsgeheimdienstes im Herbst 2022 mitten im Ukraine-Krieg an Russland verraten zu haben. Welche das genau sind, steht auf den nächsten drei Seiten in der Anklageschrift, doch Malskies unterbricht die Verlesung. Die Bundesanwaltschaft stuft diese Informationen als besonders geheimhaltungsbedürftig ein. Malskies beantragt deshalb, Journalisten und Publikum im Saal für diese Passagen auszuschließen.

Am Morgen war der Prozess bereits mit gut einer Stunde Verspätung gestartet. Beim Kammergericht gelten höchste Sicherheitsvorkehrungen: keine Laptops, keine Smartphones, nicht einmal Kugelschreiber durften mit in den Gerichtssaal gebracht werden. Zu groß ist die Sorge, dass jemand heimlich den brisanten Prozess aufnehmen könnte.

Ein Spionagefall, der Deutschland gefährlich werden kann?

Der Fall dürfte einer der spektakulärsten Verratsfälle bei einem deutschen Geheimdienst sein. Und er fällt in eine Zeit, in der er dem Ansehen des deutschen Nachrichtendienstes in den Augen seiner internationalen Partner besonders schaden könnte. Eine Zeit, in der Nachrichtendienste angesichts zahlreicher Krisen und Bedrohungen auch politisch eine wichtige Rolle spielen.

Die Anklage hat den Stoff zum Thriller. In den Rollen: russische FSB-Agenten, aber auch solche des FBI, der CIA, ein mutmaßlicher Verräter und ein Komplize mit dem Decknamen "Puffotter". Geheimdienstdokumente abfotografiert auf dem Computerbildschirm, heimliche Übergabe auf einem Sportplatz in der bayerischen Provinz, ein Beach-Club, mit Tesafilm zugeklebte Papierumschläge mit 400.000 Euro in bar, Flüge nach Moskau, Durchschleusen durch die Zollkontrolle am Flughafen und einiges mehr.

Strafrechtlich wird der Fall am Kammergericht unaufgeregt zerlegt werden, das ließ sich am Mittwoch aus der Verhandlungsführung des erfahrenen Vorsitzenden Richter des 6. Strafsenats Detlev Schmidt schon ablesen. Für das Verfahren sind noch 50 weitere Termine angesetzt. Landesverrat (§ 94 Strafgesetzbuch) kann in besonders schweren Fällen mit einer Freiheitsstrafe von mindestens fünf Jahren bis hin zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe bestraft werden.

Strafverteidiger Eisenberg wirft Justiz "Geheimniskrämerei" vor

Ohne die Öffentlichkeit verhandelte das Gericht mit Bundesanwaltschaft und den Verteidigern der beiden Angeklagten über einen Ausschluss der Öffentlichkeit.

Schmidt betonte den hohen Stellenwert der Öffentlichkeit in einem Strafverfahren. Die Diskussion sei sehr kontrovers erfolgt. Und das glaubte man dem Vorsitzenden Richter sofort, wenn man vorher Strafverteidiger Johannes Eisenberg zugehört hatte. Er wolle "die Geheimniskrämerei beenden" und das Verfahren für die Öffentlichkeit unbedingt offen halten. So sensibel seien die verratenen Informationen gar nicht gewesen. In einer Mitteilung vom Mittwoch erhebt Eisenberg schwere Vorwürfe gegen die Ermittlungsbehörden, er vermutet Manipulationen und sieht die Verteidigung durch Geheim-Einstufungen des Aktenmaterials behindert. Auch die Rolle des BND als Geschädigten und zugleich Ermittler in dem Fall kritisiert er. Den mitangeklagten E. bezeichnet er als "Hochstapler".

Am Donnerstag will das Gericht seine Entscheidung über den Ausschluss der Öffentlichkeit mitteilen. Es dürfte eine richtungsweisende Entscheidung für das ganze Verfahren werden.

Heimliche Agenten-Post im Gefängnis?

Hinter Eisenberg und seinen Anwaltskollegen sitzen in zwei Sicherheitsglaskästen die beiden Angeklagten. Carsten L., 53 Jahre, dunkelblaues Sakko, hellblaues Hemd, Typ Geschäftsmann. Er wirkt konzentriert, sagen will er nichts. Auf die Frage nach seinem Beruf antwortet er dem Vorsitzenden Richter in James-Bond-Syntax: "Soldat. Berufssoldat." Seit 2007 stand er im Dienst des BND, erst bei der Technischen Aufklärung, und zuletzt vor der Festnahme ausgerechnet als Leiter der sensiblen Einheit Eigensicherung.

Daneben Arthur E., 32 Jahre, schwarzes Shirt, Glatze. Er wirkt lässig, scherzt mit seinen Verteidigern. E. will "heute nichts" sagen, hat aber anders als L. bereits in Vernehmungen ausgesagt. Die beiden Angeklagten stehen nebeneinander, ein paar Meter entfernt, nur durch eine Glasscheibe getrennt. Eine Kommunikation zwischen den beiden findet nicht statt, sie vermeiden jeglichen Blickkontakt.

Dabei haben die beiden einiges zu besprechen: Seit einem knappen Jahr sitzen die Angeklagten L. und E. beide in zwei benachbarten Gebäudeteilen der JVA Berlin-Moabit in Untersuchungshaft. Wie in der Verhandlung überraschend bekannt wurde, war bei einem Mitgefangenen ein Brief gefunden worden – eine handgeschriebene Nachricht von L. an E. Wohl nicht der einzige Kontakt der beiden im Gefängnis, wie sich aus dem Schreiben selbst ergeben soll.

Prozess bis zum Sommer terminiert

Die Bundesanwaltschaft befürchtet, dass die beiden ihre Aussagen abstimmen könnten. L. soll E. gedrängt haben, seine Aussagen zurückzunehmen, "dann ist die Sache schnell vom Tisch, sonst acht Jahre plus". Sein Vorschlag, E. sei nicht beim FSB gewesen, habe kein Geld erhalten, und keines mitgebracht. Der Verfasser des Briefs denkt sogar über ein Komplott von US- und ukrainischen Geheimdiensten nach, um den BND bloßstellen. Als Tarnung soll auf dem Schreiben vermerkt gewesen sein "Verteidigerpost".

Das klingt schon alles sehr nach Spionagethriller. Der spielt für die beiden Angeklagten – unter nunmehr verschärften Haftbedingungen – zunächst weiter im Gefängnis, jedenfalls bis zum Urteil. Die Hauptverhandlung soll noch bis in den Juli 2024 dauern.

Zitiervorschlag

Spionage für Russland: Zu geheim für den Gerichtssaal? . In: Legal Tribune Online, 13.12.2023 , https://www.lto.de/persistent/a_id/53412/ (abgerufen am: 28.04.2024 )

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