Deutscher Jurist als Surf-Botschafter für Afghanistan: "Lieber barfuß zum Strand als im Mer­cedes zur Kanzlei"

Interview von Dr. Markus Sehl

14.07.2018

Ein Berliner Jurist vertritt Afghanistan bei der Surf-WM. Mit LTO spricht er über Verfassungsrecht in Kabul, neue Wege der Entwicklungszusammenarbeit und wie man sich am Strand in Indonesien aufs Staatsexamen vorbereitet.

LTO: Herr Amu, wenn man versucht, Sie in Deutschland zu kontaktieren, bekommt man die Abwesenheitsnachricht "Herr Amu ist leider momentan in Indonesien, um sich dort auf die Surfweltmeisterschaft im September vorzubereiten und hat nur beschränkten Internetzugang."

Afridun Amu (lacht): Ja, ich bin gerade auf einer Inselgruppe vor Sumatra.

Wo denn da genau?

Hm, also das will ich eigentlich gar nicht so genau verraten. Hier gibt es nämlich sehr gute Wellen und kaum andere Surfer, und es wäre schön, wenn das noch ein paar Jahre so bleiben würde. 

Sind Sie denn gerade auch geschäftlich unterwegs?

Also das ist vor allem natürlich Spaß hier. Aber Sie haben auch Recht, mit Freunden habe ich vor ein paar Jahren den afghanischen Surfdachverband gegründet. Wir haben festgestellt, dass wir mit unserer Leidenschaft fürs Surfen auch etwas Gutes für das Land tun können.

Wie sieht das denn aus?

Unser Vorbild bei dem Surf-Projekt ist Skateistan, eine NGO, die schon länger in Afghanistan tätig ist. Dahinter steckt die Idee, über das Skateboarden Kinder und Jugendliche zusammenzubringen und zu fördern, und ihnen ermöglichen, etwas Spaß zu haben. In einem Land, in dem seit Jahrzehnten Krieg oder kriegsähnliche Zustände herrschen, ist das ungeheuer wichtig. Und über einen solchen eher ungewöhnlichen Weg kann dann viel mehr gelingen als in der klassischen Entwicklungszusammenarbeit.

Diesen Bereich kennen Sie ja auch: Sie waren Verfassungsrechtsberater bei der Max-Planck-Stiftung für Internationalen Frieden und Rechtsstaatlichkeit.

Ja, das Ziel ist es, rechtsstaatliche Strukturen in Afghanistan aufzubauen. Ich habe vor allem vor Ort gearbeitet und wir haben Gespräche mit der Regierung geführt. Ich habe mit dem Staatsorgan "Independent Commission for Overseeing the Implementation of the Constitution", kurz ICOIC, gearbeitet. Das ist eine Art Vor-Form eines Bundesverfassungsgerichts. Die staatlichen Akteure planen aus dieser Kommission einmal eine Art Verfassungsgericht für Afghanistan zu entwickeln. Ich habe mich als Berater auch mit der Richterausbildung befasst - und eigentlich mit so ziemlich allem, was das Rechtswesen eines Staates betrifft.

Ein neues Verfassungsgericht für Afghanistan

Hat in diesen Prozessen deutsches Verfassungsrecht ein Vorbild geliefert?

Es gab bei unserer Arbeit keinen unmittelbaren Verfassungsrechtsexport aus Deutschland nach Afghanistan. Aber klar, das Team und ich sind geprägt von den jeweiligen nationalen Rechtsordnungen. Ich habe in Berlin Jura studiert und habe deshalb deutsches Recht im Hinterkopf. Besonders bei den Auslegungsgrundsätzen merkt man aber, dass die Werkzeuge für eine internationale Arbeit übertragbar sind. Grundlage unserer Arbeit war aber die afghanische Verfassung selbst.

Können Sie die vielleicht in groben Zügen beschreiben?

Der Aufbau ist eigentlich recht ähnlich wie im Grundgesetz, also vorne Grundrechtsteil, weiter hinten Staatsorganisation und so weiter. Aber natürlich gibt es auch Unterschiede. Die Religion ist weitaus präsenter – wobei, wir kennen ja im Grundgesetz auch noch diesen über Art. 140 GG inkorporierten Teil der Weimarer Reichverfassung zur Rolle der Kirche und den Religionsgemeinschaften. Der Islam wird in der afghanischen Verfassung häufig ausdrücklich erwähnt.

Die aktuelle afghanische Verfassung ist seit 2004 in Kraft und wurde auf Konferenzen unter anderem in Bonn erarbeitet. Da waren viele internationale Experten beteiligt und natürlich auch einige aus Deutschland. Dennoch würde ich sagen, dass ist eine sehr eigene, eben afghanisch geprägte Verfassung – vor allem, wenn man sich die Kontinuitäten zu den Vorgängerverfassungen anschaut.

Ist ihr neues Surf-Projekt für Sie aus einer Erkenntnis gewachsen, dass "klassische Entwicklungszusammenarbeit" im Bereich Rechtsstaatlichkeit vor Ort an Grenzen stoßen kann?

Hm, das ist schwierig zu sagen. Allein der Begriff Rechtsstaatlichkeit ist ja schon so ungriffig, dass die Ergebnisse bei der Arbeit im Bereich der Rechtsstaatlichkeit zwangsläufig auch vage bleiben müssen. Wenn man in einem Bereich der Entwicklungszusammenarbeit tätig ist, wo man unmittelbar Menschenleben rettet, sieht das ganz anders aus. Ob tatsächlich die rechtsstaatlichen Strukturen in Afghanistan durch meine Arbeit gestärkt wurden, das werde ich wohl erst in zwanzig Jahren herausfinden.

Wie macht man Entwicklungsarbeit auf dem Surfbrett?

Vielleicht kann man sagen, dass ich so eine Art surfender Botschafter bin - und zwar in zwei Richtungen. In den Medien ist Afghanistan erst seit dem 11. September 2001 wieder interessant und zugleich wird es dabei auf einige wenige Themen reduziert: Ein Kriegsland, in dem sehr viel Negatives passiert. Aber das Land zeichnet so viel mehr aus, Afghanistan ist so komplex wie jedes andere Land auch. Mit meinem Engagement habe ich die Möglichkeit, auch eine andere Geschichte von Afghanistan zu erzählen. 

Und vor Ort?

Allein der Umstand, dass Afghanen surfen, gibt den Leuten das Gefühl: "Da tut sich was". Man muss dazu wissen, dass Afghanistan während des Bürgerkriegs und dann bis zum Sturz der Taliban im Jahr 2001 total abgeschottet war. Es gab keine Möglichkeit, Sport zu machen, keinen Fußball oder Basketball, was zuvor in Afghanistan als Sport groß war. Ich glaube, wenn die Menschen heute surfende Afghanen sehen, dann gibt ihnen das einen Funken von Hoffnung, dass sich etwas verändern kann. 

Mit dem Surfbrett im Pandschir-Tal unterwegs

Wo kann man denn in Afghanistan surfen?

Afghanistan hat zwar keinen Meerzugang, aber in den Bergen reißende Flüsse, die sich bestens fürs Flusswellenreiten eignen. Wir haben dazu das Pandschir-Tal im Nordosten erkundet.

In Deutschland wird vor dem Hintergrund von Abschiebungen immer wieder diskutiert wie sicher die Lage in Afghanistan ist… 

Bei diesem Surfcamp war für uns die Sicherheit ein bestimmender Faktor. In der Hauptstadt Kabul geschehen etwa alle zwei Wochen Anschläge, in anderen Regionen drohen Entführungen. Die Taliban üben in über 70 Prozent des Landes eine deutliche Kontrolle aus. Das Land befindet sich vielerorts faktisch im Krieg. Auch deshalb haben wir uns für das Pandschir-Tal entschieden, da es mit deutlichem Abstand die sicherste Region ist. Aber auch dort sind bestimmte Gegenden immer noch vermint aus der Sowjetzeit. Das Land ist immer noch nicht sicher.

Sie sind in Kabul geboren, haben Ihre Kindheit in Moskau verbracht und sind als politischer Flüchtling nach Deutschland gekommen. Was ist das denn für ein Gefühl, wenn Sie nun wieder Afghanistan bereisen?

Ich habe die doppelte Staatsangehörigkeit, das ist die juristische Antwort. Ich habe dazu aber sonst gar kein richtiges Gefühl, ich fühle mich nicht als Deutscher oder als Afghane. Auf einer langen Reise nach Australien habe ich Deutschland sehr vermisst. Aber wenn ich dann wieder an einem Bahnhof in Ostdeutschland auf einen Zug warte und die Blicke der Menschen um mich herum wahrnehme, dann fühle ich mich eher als Afghane.

Für mich ist Identität sehr kontextabhängig, nichts was mich definiert. Afghanistan ist eines der Länder mit der größten Exilbevölkerung auf der Welt, dementsprechend "normal" ist es, dort auf afghanisch-stämmige Menschen zu treffen, die nicht in Afghanistan aufgewachsen sind. Das ist eine eigene Rubrik, ich werde dort als Exil-Afghane wahrgenommen.

Nach Ihrem Studium in Berlin haben Sie eine Innovationsagentur gegründet, die Beratung im Bereich "Design Thinking" anbietet – was machen Sie da als Jurist?

Neben dem Jura-Studium habe ich noch Kulturwissenschaften studiert und ein ein-jähriges Programm- Design Thinking abgeschlossen. Diese Zusatzausbildung in Potsdam besteht eigentlich daraus, herauszufinden, was Design Thinking nun ist…

Das müssen Sie jetzt erklären.

Es ist schwierig, das in aller Kürze zu beschreiben. Im Prinzip geht es darum, wie man Innovation erschafft. Also darum, wie ich komplexe Probleme mit den verfügbaren Mitteln löse. Wenn ich komplexe Probleme sage, dann meine ich solche Probleme, die gar nicht definiert sind, also von denen man gar nicht genau weiß, wo das Problem so richtig liegt.

In einem Land wie Afghanistan, das multiple Probleme hat, die man gar nicht voneinander trennen kann, da kommt einem so eine Herangehensweise im Denken sehr zugute. Das juristische Denken ist eine gute Sache, aber in einem Land wie Afghanistan bringt einen das nur begrenzt weiter. Man findet dort am allerwenigsten die sterilen Bedingungen vor, die man aus der Theorie des deutschen Jurastudiums kennt. 

Am Strand fürs Staatsexamen gelernt

Sind das Erfahrungen, die Sie schließlich weg von einem klassischen juristischen Beruf geführt haben?

Vor dem Studium hatte ich den Plan, später in der Entwicklungszusammenarbeit zu arbeiten, im Bereich "state building". Während des Studiums habe ich dann gemerkt, dass mir Jura nicht so richtig Spaß macht – und angefangen, daneben noch Mathematik zu studieren, später dann Kulturwissenschaften. Zum Ende des Jura-Studiums wurde mir klar, dass ich lieber zu Fuß zum Strand gehe als mit dem Mercedes zur Kanzlei zu fahren. Ich war im Jurastudium aber schon zu weit fortgeschritten, um alles links liegen zu lassen. Deshalb habe ich dann Scheuklappen aufgesetzt und mir gedacht, im ersten Examen richtig Gas zu geben und des dann auch gut sein zu lassen.

Staatsexamen, erst Mathematik und dann Kulturwissenschaften - das klingt nach einem vollgepackten Alltag. Wo blieb da noch Zeit fürs Surfen?

Wann immer es ging, habe ich meine Zeit am Ozean verbracht und die Uni-Sachen mitgenommen. Ich habe am Meer an den Hausarbeiten gearbeitet und mich auch dort auf die Klausuren vorbereitet - später dann sogar für das Examen. Das wäre auch gar nicht anders gegangen, als Surfer muss man einfach ständig am Wasser sein. Und nach dem Lernen ins Meer zu gehen, das hat mich entspannt und mich erst so richtig motiviert.

So würden bestimmt viele Juristen gerne ihre Examensvorbereitung betreiben – aber ganz ehrlich: Wie finanziert man das?

Während meiner Studienzeit habe ich beim Surfen im Ausland weniger Geld ausgegeben als in Berlin. Ich habe meine Wohnung untervermietet und nur mein Surfbrett und ein paar Shorts mitgenommen. Am Strand habe ich eine Bruchbude gemietet und dann vom sprichwörtlichen Apfel und Ei gelebt – wobei ich als Veganer eher von Apfel und Brot lebe. Das kostet nicht allzu viel.

Herr Amu, wann müssen Sie denn zurück ins Wasser?

Heute mache ich frei, aber sonst gibt es einiges zu tun. Die kommende Surf-WM im September zum Beispiel. Und 2020 ist Surfen zum ersten Mal als Sportart bei Olympia dabei."

Alles Gute auf dem Weg und vielen Dank für das Gespräch

Zitiervorschlag

Markus Sehl, Deutscher Jurist als Surf-Botschafter für Afghanistan: "Lieber barfuß zum Strand als im Mercedes zur Kanzlei" . In: Legal Tribune Online, 14.07.2018 , https://www.lto.de/persistent/a_id/29741/ (abgerufen am: 28.03.2024 )

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