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EuGH vor Urteil und Koalitionsstreit: Wie ­viel Vor­rats­da­ten­spei­che­rung darf es sein?

von Dr. Markus Sehl

19.09.2022

Das Bild zeigt Symbole für Datenverwaltung, was die Diskussion über Vorratsdatenspeicherung und Datenschutz veranschaulicht.

Foto: picture alliance / dpa | Jens Büttner

Allzu große Überraschungen dürfte es nicht geben, wenn der EuGH am Dienstag über die deutsche Vorratsdatenspeicherung urteilt. Viel wird nicht übrig bleiben. In der Ampelkoalition ist bereits ein Streit über die Folgen des Urteils ausgebrochen.

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Aller Voraussicht nach wird es am Dienstag keine große Überraschung geben, wenn der Europäische Gerichtshof (EuGH) sein Urteil zur deutschen Version der Vorratsdatenspeicherung verkündet. Alle Vorzeichen stehen darauf, dass der EuGH die deutschen Regelungen aus 2015 kassiert (Rs. C-793/19 und C-794/19 u.a.). Diese Version der Vorratsdatenspeicherung sieht vor, dass Telefon- und Internetverbindungsdaten anlasslos noch zehn Wochen bei den privaten Providern wie etwa der Telekom auf Vorrat gespeichert werden müssen. Im Einzelfall können die Ermittlerinnen und Ermittler der Polizei darauf zugreifen. Die gespeicherten IP-Adressen oder Standortdaten von Mobiltelefonen sollen bei der Strafverfolgung die Frage beantworten: Wer hat wann mit wem kommuniziert?

Der Generalanwalt des EuGH hat dem Gericht bereits im November 2021 mit auf den Weg gegeben, auch für die Beurteilung der deutschen Vorratsdatenspeicherung an seiner bisherigen Rechtsprechung festzuhalten – danach wäre die deutsche Regelung unvereinbar mit den Vorgaben aus Luxemburg. Die Richterinnen und Richter haben über die letzten rund acht Jahre einige Gelegenheiten gehabt, sich mit der Vorratsdatenspeicherung in Europa zu beschäftigen. 2014 beanstandete das Gericht die EU-Richtlinie, die ursprünglich auch den Anlass für die Regelungen in Deutschland gab. Mit einer Grundsatzentscheidung im Jahr 2016 erklärte auch der EuGH das Instrument für unvereinbar mit EU-Grundrechten. Für die meisten Mitgliedstaaten und ihre Sicherheitsbehörden eine schwer verdauliche Botschaft, Strafverfolger wollen auf die Vorratsdatenspeicherung setzen.

Jetzt also Deutschland

Der EuGH hat mit den Vorlagen zugleich auch immer ein europäisches Politikum auf dem Tisch. Denn eigentlich wollen die Mitgliedstaaten über Angelegenheiten der Inneren Sicherheit selbst entscheiden – zumindest, wenn es um ihre nationale Sicherheit geht (vgl. Art. 4 Abs. 3 EU-Vertrag), der europäische Gesetzgeber und der EuGH kommen allerdings über das europäische Zuständigkeitsgebiet des Datenschutzes ins Spiel. Die Vorratsdatenspeicherung ist quasi wie gemacht für die Abgrenzung der Zuständigkeiten in Europa.

Mit einer weiteren Entscheidung zur Vorratsdatenspeicherung aus dem 2020, diesmal nach Vorlagen aus Großbritannien, Frankreich und Belgien, sowie im Frühjahr 2022 nach einer irischen Vorlage hat der EuGH zwar seine grundsätzliche Absage an das Instrument wiederholt, zugleich aber gewichtige Spielräume für die Mitgliedstaaten vorgesehen. So darf die IP-Adresse, also eine Art digitale Adresse der Internetnutzerinnen und -nutzer, anlasslos gespeichert werden, wenn es um die Bekämpfung schwerer Kriminalität oder schwerer Bedrohungen für die öffentliche Sicherheit geht. Bei den übrigen Verbindungs- und Standortdaten ist eine anlasslose, aber räumlich begrenzte Vorratsdatenspeicherung möglich, die sich etwa auf Drehkreuze wie Bahnhöfe oder Flughäfen beschränkt. Damit verschaffte der EuGH den Staaten Zugeständnisse für ihre Strafverfolgung. Gemessen daran, muss aber die deutsche Vorratsdatenspeicherung made in 2015 dennoch durchfallen. Interessant dürfte sein, ob der EuGH in seinem Urteil am Dienstag noch weitere Konkretisierungen für sein Ausnahmeregime vermitteln wird.

Die Vorlage aus Deutschland hat das Bundesverwaltungsgericht 2017 auf den Weg gebracht, zuvor hatte das Oberverwaltungsgericht Münster die Speicherpflicht für die privaten Provider ausgesetzt, seitdem liegt die Vorratsdatenspeicherung in Deutschland auf Eis.

Bundesinnenministerin würde Spielraum nach EuGH-Urteil maximal ausschöpfen wollen

Noch bevor das Urteil verkündet wurde, ist in der Hauptstadtpolitik in den letzten Wochen ein etwas überraschender Streit ausgebrochen. Angefacht hat ihn die Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD), sie will vor allem sexualisierte Gewalt gegen Kinder und Jugendliche im Netz besser verfolgen. Ein Anliegen, das von Befürwortern der Vorratsdatenspeicherung in den vergangenen Jahren immer wieder vorgebracht wurde. Für die Verfolgung von Kriminalität im Netz erhoffen sich die Ermittlerinnen und Ermittler von der Vorratsdatenspeicherung einiges. Ob die Verbindungsdaten im Kampf gegen Kinderpornographie tatsächlich so viel bringen, muss nach Zahlen der Ermittlungsbehörden jedenfalls kritisch gesehen werden. So oder so würde Faeser für eine Neuregelung möglichst viel des Spielraums ausschöpfen wollen, den der EuGH am Dienstag mit Blick auf Deutschland zubilligen würde.

FDP und die Grünen äußern ihre Meinung zu dem Instrument schon seit einiger Zeit deutlich, sie lehnen die anlasslose Speicherung ab. Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) spricht sich für ein eigenes Modell aus, das bereits seine Vor-Vor-Vor-Vorgängerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) im Jahr 2011 ins Spiel gebracht hatte. Es nennt sich "Quick-Freeze", auch der EuGH hat es in seiner letzten Entscheidung erwähnt. Dabei soll es sich nach Buschmanns Lesart gar nicht um eine Version der Vorratsdatenspeicherung handeln.

Was steckt hinter dem "Quick-Freeze" aus dem BMJ?

Im Ausgangspunkt ist das Modell aber auf eine Vorratsdatenspeicherung im Kleinen angewiesen. Denn wo die Anbieter nicht wenigstens für eigene Zwecke einige Tage Verbindungsdaten ihrer Kundinnen und Kunden speichern, gibt es auch nachträglich nichts zu holen. Um diesen Vorrat kommt auch "Quick-Freeze" nicht herum. Besteht ein Verdacht auf eine entsprechend schwere Straftat, können Strafverfolger nach Entscheidung eines Richters bzw. einer Richterin die Daten "einfrieren" lassen und damit ihre drohende Löschung verhindern. Orientieren dürfte sich das grob am System des § 100g Strafprozessordnung. Die eilige Anordnung kann auch noch ohne Bezeichnung einer konkreten Person geschehen und sich etwa auf Verbindungsdaten an einem bestimmten Tatort und seine Umgebung beziehen. Konkretisiert sich der Verdacht, können Strafverfolger die gesicherten Daten dann gezielt "auftauen" und für ihre Arbeit nutzbar machen. So die Vorstellung aus dem Bundesjustizministerium, für die es auch bei den Grünen Sympathien gibt, der Vize-Fraktionschef und Rechtspolitiker der Grünen, Konstantin von Notz, lehnt die Wiedereinführung einer anlasslosen Vorratsdatenspeicherung ab.

Die Bundesinnenministerin will die Formulierung aus dem gemeinsamen Koalitionsvertrag, "Regelungen zur Vorratsdatenspeicherung so ausgestalten, dass Daten rechtssicher anlassbezogen und durch richterlichen Beschluss gespeichert werden können" – auf die der Bundesjustizminister zuletzt immer wieder pochte – so auslegen, dass für die deutsche Vorratsdatenspeicherung noch mehr drin ist als nur "Quick-Freeze". Damit hat die Ampelkoalition ihr erstes großes innenpolitisches Streitthema. Nach dem Urteil des EuGH am Dienstag wird es auf dem Weg zu einem Kompromiss in Berlin dann erst so richtig zur Sache gehen.

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EuGH vor Urteil und Koalitionsstreit: . In: Legal Tribune Online, 19.09.2022 , https://www.lto.de/persistent/a_id/49669 (abgerufen am: 17.06.2025 )

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