EU verabschiedet Richtlinie zum Wettbewerbsrecht: Kartellklagen werden leichter – aber nicht leicht

von Dr. Ralf Dietrich

29.12.2014

2/2: Beibehaltung der Vorteile für Kronzeugen

Den letzten Punkt beschränkt die Richtlinie jedoch zugleich. Die Schadensersatzklagen sollen zwar von den behördlichen Kartellverfahren profitieren, auf sie aufbauen und sie dadurch zurückwirkend wiederum stärken – nicht aber das äußerst wirksame Mittel der Kronzeugenregelungen torpedieren. Kartellmitglieder werden, so sie als Kronzeuge ein Kartell offenbaren und mit den Behörden kooperieren, in den behördlichen Sanktionsverfahren stark begünstigt. Daher sollen Kronzeugen von der erwähnten Gesamtschuldnerschaft ausgenommen werden.

Kronzeugen wird auch an anderer Stelle entgegengekommen. Um in den Genuss der Kronzeugenvergünstigungen im behördlichen Verfahren zu gelangen, müssen die Unternehmen ihre Beiträge zum Kartell und umfangreiche Unterlagen offenbaren. Diese Unterlagen dürfen in zivilrechtlichen Schadensersatzklagen aber nicht gegen diese Unternehmen verwendet werden, um die Motivation zur Offenlegung beizubehalten.

Im Übrigen soll es eine Kohärenz von behördlichem und zivilrechtlichem Verfahren nicht geben. So stehen Schadensersatzzahlungen und Sanktionen nebeneinander, eine Anrechnung findet weder in die eine noch in die andere Richtung statt. Sanktionen sollen vergangene Wettbewerbsverstöße bestrafen und dadurch vor zukünftigen abschrecken, während Schadensersatzzahlungen den Schaden des Einzelnen kompensieren sollen. Dies sind verschiedene, wenngleich sich ergänzende Ziele, die frei nebeneinander stehen können.

(Noch) keine Sammelklagen, aber praktische Hilfen

Eines Schwachpunkts nimmt sich die Richtlinie jedoch – bewusst – nicht an. Und dies könnte in der Praxis entscheidend sein, denn die besten Verfahrenserleichterungen helfen naturgemäß nur, wenn es überhaupt zu einem Verfahren kommt. Trotz millionenschweren Schadens für die Gesamtbevölkerung, fehlt oft die individuelle Motivation zur Klage, wegen der angesprochenen Schadensmarginalisierung als Nebeneffekt des "passing on harm". Abhilfe könnte die Möglichkeit von Sammelklagen schaffen, wie der Blick nach Amerika zeigt. Diesem Vorbild wollte die Richtlinie aber ganz ausdrücklich nicht folgen.

Die EU bietet aber nicht nur normative Stütze, sondern auch Hinweise und Rat. So ermutigt sie ausdrücklich zu Vergleichs- und Schiedsgerichtsverfahren, die sie als weniger zeit- und kostenaufwändig als den Zivilrechtsweg ansieht. Weiter gibt die Kommission praktische Ratgeber und Orientierungshilfen heraus, von denen sich Rechtssuchende wie auch Gerichte vor allem bei der Schadensbezifferung leiten lassen können.

Die neue Richtlinie trat pünktlich zum zweiten Weihnachtsfeiertag in Kraft. Die EU wählte bewusst das Mittel der Richtlinie, da sie im Gegensatz zur direkt geltenden Verordnung den nationalen Rechtsordnungen Spielraum lässt. Das Gebot der europarechtskonformen Auslegung gilt freilich schon jetzt. Zwei Jahre haben die Mitgliedsstaaten nun Zeit, ihr nationales Recht anzupassen. Es bleibt spannend, welche Weihnachtsgeschenke der deutsche Gesetzgeber seinen Bürgern spätestens zum 27. Dezember 2016 bereitet.

Der Autor Dr. Ralf Dietrich, aktuell Staatsanwalt, war vorher Zivilrichter. Vor seiner Justizlaufbahn war er einige Jahre Anwalt und u.a. bei einem führenden Automobilhersteller beschäftigt, wo er insbesondere Einkauf und Vertrieb beriet. Im Rahmen seiner Tätigkeit war er mit dem Wettbewerbsrecht befasst, wozu er auch die Fachanwaltsausbildung besuchte.

Zitiervorschlag

Dr. Ralf Dietrich, EU verabschiedet Richtlinie zum Wettbewerbsrecht: Kartellklagen werden leichter – aber nicht leicht . In: Legal Tribune Online, 29.12.2014 , https://www.lto.de/persistent/a_id/14210/ (abgerufen am: 25.04.2024 )

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