Regulierung von Online-Plattformen: Der DSA ist kein Grund­ge­setz fürs Internet – gut so

Gastbeitrag von Dr. Benjamin Lück

29.07.2022

Mit dem Digital Services Act habe man die Chance für ein Internet-Grundgesetz verpasst, warnen kritische Stimmen. Benjamin Lück hält diesen Anspruch schon im Ansatz für verfehlt. Nötig sind handhabbare, gerichtlich überprüfbare Regelungen. 

Die Lobby-Schlacht in Brüssel ist geschlagen, der Digital Services Act (DSA) ist verabschiedet. Was aus der Zivilgesellschaft zunächst noch als siegreicher Tag für die Grundrechte begrüßt wurde, scheint wenig später nur noch Anlass für Katzenjammer: Der DSA wird als verpasste Chance bezeichnet, als Einschränkung der Pressefreiheit, als Plattformregulierung light, jedenfalls nicht mehr als das mal erhoffte Grundgesetz für das Internet.  

Dabei ist es vielleicht ganz gut, dass der DSA kein neues Grundgesetz für das Internet geworden ist. Denn an mittelbar auch die Plattformen bindenden Grundrechten fehlt es nicht – DSA hin oder her. Was fehlt, sind anwendbare klare Regelungen. Hier wird sich der DSA zwar in der Praxis beweisen müssen, immerhin aber stellt er solche europaweit einheitlichen, ganz konkreten Regelungen für Plattformen auf. So heißt es endlich "raus aus den Regulierungsferien". Anders als eine Verfassung erheben die Regeln des DSA zudem nicht den Anspruch auf ewige Geltung, sondern können auf die Erreichung der mit ihnen verfolgten Ziele hinterfragt und angepasst werden.  

Aus Brüssel in die Welt? 

Die Wirkungen des DSA werden auch tiefer greifen als sie eine Art Verfassungstext oder gar politische Absichtserklärungen wie der jüngsten Declaration for the Future of the Internet sie jemals anordnen könnten. Die unter dem Schlagwort Brussels Effect diskutierte Ausstrahlungswirkung der EU-Gesetzgebung auf Unternehmen mit Sitz außerhalb Europas und die Vorbildwirkung für eine Regulierung in Nicht-EU-Staaten ist nicht zu unterschätzen. Bei aller berechtigten Kritik an dem intransparenten Gesetzgebungsverfahren der EU – bezeichnend war etwa der Versuch, im allerletzten Moment eine Regelung zugunsten von Presseverlagen in den Digital Markets Act (DMA) hineinzuverhandeln – ist es immerhin gelungen, die schon lange identifizierten Probleme des Web 2.0 regulatorisch anzugehen. Die EU hat insofern geliefert. 

In den USA hingegen erscheint eine Regulierung auf Bundesebene ferner denn je, während sich die Bundesstaaten aus parteipolitischem Kalkül in einer Gesetzgebung verlieren, die offen die Grenzen des verfassungsrechtlich Zulässigen austesten. Das zeigt etwa das jüngst vom Supreme Court kassierte Gesetz aus Texas, das Plattformen ab einer bestimmten Größe die eigene Moderation von Inhalten zur Schaffung eines erträglichen Kommunikationsklimas weitgehend untersagt hätte. 

Warum die Sehnsucht nach dem noch größeren Wurf nur ablenkt 

Vor allem aber verdeckt die Sehnsucht nach dem noch größeren Wurf, dass die EU-Gesetzgebungstätigkeit mit DSA und DMA gerade erst Fahrt aufnimmt. In der Pipeline sind etwa ein AI Act und ein Data Act, also zu Künstlicher Intelligenz und dem Zugang zu und der wirtschaftlichen Nutzung von Daten. Weiter steht der Entwurf der in Deutschland unter dem Schlagwort "Chatkontrolle" diskutierten CSAM-Verordnung an, mit der ein beispielloser Eingriff in die Kommunikationsfreiheit droht. Und nicht zuletzt die seit vielen Jahren verhandelte E-Privacy-Verordnung sowie die Regulierung politischer Werbung. Der Trend geht zu einer "Aktifizierung" des EU-Rechts. Verordnungen mit kurzen, einprägsamen Titeln treten so vermehrt an die Stelle von Richtlinien, die zumindest im Bereich der Digitalpolitik als Regulierungsmittel in den Hintergrund rücken. Das stellt nicht nur die europäische (Medien-)Öffentlichkeit vor große Herausforderungen, da es bereits jetzt schwierig genug ist, die auf Brüsseler Ebene verhandelten Fragen für ein nationales Publikum anschaulich genug darzustellen. Damit einher geht auch ein stetig geringer werdender eigener Gestaltungspielraum für den nationalen Gesetzgeber. So wird mit Inkrafttreten des DSA das ehemals hoch umstrittene NetzDG in großen Teilen aufzuheben sein, während die für die Durchsetzung des DSA notwendigen Aufsichtsstrukturen, darunter die Benennung eines Digital Service Coordinator noch zu schaffen sind.  

Zugleich sind die im Koalitionsvertrag vereinbarten Maßnahmen umzusetzen. Allein im Bereich digitaler Gewalt sind das die Schließung vorhandener Lücken bei den Auskunftsrechten und die Möglichkeiten elektronischer Anzeigenerstattung – die Bundesländer haben sich hier kürzlich auf Drängen Hamburgs, wenn auch butterweich, darauf verständigt, dass ein länderübergreifendes Anzeigenportal Teil einer Lösung sein "könnte". Dazu kommt das Gesetz gegen digitale Gewalt, das umfassende Beratungsangebote für Betroffene aufsetzen und gerichtlich angeordnete Accountsperren ermöglichen soll. 

Was die EU im Kampf gegen digitale Gewalt plant 

Neben der zunehmenden Aktifizierung im EU-Recht existieren zudem von der Öffentlichkeit bislang weitgehend unbeachtete weitere Richtlinienentwürfe oder entsprechende Vorarbeiten auf europäischer Ebene im Bereich Kampf gegen digitale Gewalt. So überraschte die EU-Kommission am internationalen Frauentag 2022 mit einem umfangreichen Richtlinienentwurf zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen inklusive Formen der Cyber-Gewalt wie bildbasierter Gewalt, Cyber-Stalking oder Cyber-Harassment und häuslicher Gewalt. In dem Vorschlag begnügt sich die EU nicht mehr, wie noch im DSA, mit Vorgaben für die Moderation von Inhalten durch die Plattformen und behördlichen Löschanordnungen. Vielmehr sollen die Betroffenen von spezifischen Formen digitaler Gewalt vor Gericht die schnellstmögliche Entfernung rechtsverletzender Inhalte gegen die Plattformen durchsetzen können (Art. 25).  

An solche europaweit einheitlichen Rechte einzelner von digitaler Gewalt Betroffener hatte sich die EU im DSA gerade noch nicht herangetraut – insofern ist die Bedeutung dieser Regelung nicht zu unterschätzen. Solche Anträge können neben den Betroffenen zudem Verbände stellen, was dem deutschen Recht eher fremd sein dürfte (Art. 24 Abs. 2). Ob dies genau so umgesetzt wird, muss sich in den absehbar langwierigen und gerade erst angelaufenen Verhandlungen zeigen. Den Mitgliedstaaten eröffnet sich hier aber auch eine Gelegenheit, weitere, die Betroffenen von digitaler Gewalt ermächtigende Maßnahmen, etwa die im Koalitionsvertrag vereinbarten Accountsperren, bereits auf dieser Ebene einzubringen. Und schließlich erscheint als Phantasma am Brüsseler Horizont das Hate Speech File, mit dem Straftatbestände gegen Hetze und weitere Formen der Hasskriminalität unter Formulierung bestimmter Mindeststandards europaweit vereinheitlicht werden sollen und so en passant festlegen würde, welche "illegalen Inhalte" vom DSA adressiert werden – angesichts zum Teil offen minderheitenfeindlicher Aussagen führender Politiker:innen in einigen Mitgliedstaaten ist die Zukunft dieses Regulierungsvorhabens aber noch unklar. 

Ein Grundgesetz für das Internet mag all das zusammengenommen am Ende nicht ergeben, aber doch die umfassendste Regulierung, die Plattformen bislang erfahren haben. Vielleicht werden wir uns eines Tages wieder nach den Regulierungsferien sehnen. 

Dr. Benjamin Lück ist Projektkoordinator der von der Gesellschaft für Freiheitsrechte e.V. (GFF) und der Alfred Landecker Foundation ins Leben gerufenen Marie-Munk-Initiative, in deren Rahmen ein Diskussionsentwurf für ein Gesetz gegen digitale Gewalt erarbeitet wird. 

Zitiervorschlag

Regulierung von Online-Plattformen: Der DSA ist kein Grundgesetz fürs Internet – gut so . In: Legal Tribune Online, 29.07.2022 , https://www.lto.de/persistent/a_id/49183/ (abgerufen am: 26.04.2024 )

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