Bankkredit und Videogrußwort: Hat sich Chris­tian Lindner strafbar gemacht?

Gastbeitrag von Dr. Yves Georg

09.01.2023

Die Generalstaatsanwaltschaft Berlin prüft den Anfangsverdacht für "Korruptionsermittlungen" gegen den FDP-Politiker und Bundesfinanzminister Christian Lindner. Yves Georg hält eine Strafbarkeit von Lindner aus zwei Gründen für zweifelhaft.

Nach Meldung diverser Medien führt die Berliner Generalstaatsanwaltschaft Vorermittlungen gegen Christian Lindner durch. Dabei prüft sie, ob ein Anfangsverdacht der Vorteilsannahme gemäß § 331 des Strafgesetzbuchs (StGB) besteht. Dafür bedarf es nach § 152 Abs. 2 der Strafprozessordnung (StPO) zureichender tatsächlicher Anhaltspunkte, die nach kriminalistischer Erfahrung eine solche Straftat als möglich erscheinen lassen.

Ermittlungsverfahren erfordert keine Immunitätsaufhebung

Falls sie einen solchen Anfangsverdacht bejaht, müsste die Staatsanwaltschaft – entgegen ihrer eigenen Darstellung – nicht die Aufhebung der Immunität des Bundestagsabgeordneten beantragen, um förmlich ermitteln zu können. Denn das bloße Einleiten eines Ermittlungsverfahrens wird bereits durch die generelle immunitätsrechtliche Genehmigung des Bundestages durch Beschluss in Anlage 6 seiner Geschäftsordnung gestattet. Es bedarf lediglich einer Mitteilung an die Bundestagspräsidentin und grundsätzlich auch an den Abgeordneten selbst mindestens 48 Stunden vor Beginn der Ermittlungen. Lediglich für über die Verfahrenseinleitung hinausgehende Maßnahmen wie Durchsuchungen, eine Verhaftung oder die Anklageerhebung bedürfte es weiterer Einzelgenehmigungen.

Immobilienfinanzierung und Videogrußwort

Was ist Stein des Anstoßes? Im Januar 2021 soll Lindner für 1,65 Millionen Euro eine danach aufwendig umgebaute Immobilie in Berlin gekauft und diese mit einer Grundschuld über zunächst insgesamt 2,35 Millionen Euro zugunsten der BBBank belastet haben. Im Mai 2022 soll er dann auf Bitten der Bank zu deren 100-jährigen Bestehen ein vorab aufgezeichnetes, dreiminütiges Videogrußwort übermittelt haben. Darin soll er laut Redemanuskript insbesondere deren Digitalisierungsstrategie gelobt und gesagt haben, die Bank sei ihm "von Grund auf sympathisch". Im Juni 2022 soll er seine Immobilie dann in Höhe weiterer 450.000 Euro mit einer Grundschuld zugunsten der Bank belastet haben.

Frühere Vorträge Lindners für die BBBank

Von Bedeutung für die strafrechtliche Einordnung der Sache ist auch das Verhältnis, das Lindner vor seiner Ernennung zum Bundesfinanzminister im Dezember 2021 zu der Bank unterhalten hat: In den Jahren 2017 bis 2019, vor seinem Eintritt ins Bundeskabinett, soll Lindner bei "exklusiven Abenden" mindestens sieben bezahlte Vorträge bei der Bank gehalten haben. Und im September 2018 veröffentlichte die Bank auf ihrer Internetpräsenz ein knapp dreiminütiges Video, in dem Linder unter dem Titel "Ich liebe meine Freiheit" Fragen zu klassisch liberalen Themen beantwortet. In das Jahr 2018 fällt auch ein Video, in dem Lindner äußert, "dass die genossenschaftliche Säule unseres Finanzwesens mir in besonderer Weise sympathisch ist."

Vorteilsgewährung "für die Dienstausübung" zweifelhaft

Kann sich Lindner vor diesem Hintergrund der Vorteilsannahme strafbar gemacht haben? Gemäß § 331 StGB macht sich ein Amtsträger der Vorteilsannahme strafbar, wenn er für die Dienstausübung einen Vorteil – wozu auch die Darlehensgewährung regelmäßig gehört (BGH, Urt. v. 8.7.1958 – 1 StR 150/58) – für sich oder einen Dritten fordert, sich versprechen lässt oder annimmt.

Zweifelhaft ist allerdings, ob der Vorteil "für die Dienstausübung" gewährt wurde. Dieses Tatbestandsmerkmal enthält zwei für die Strafbarkeit entscheidende Aspekte, von denen in der bisherigen Berichterstattung allerdings nur einer die ihm gebührende Beachtung findet:

Problematisiert wird nur der Zusammenhang zwischen Videogrußwort und Immobilienfinanzierung, also die Frage, ob die zweite Zahlung über 450.000 Euro im Sinne einer "Unrechtsvereinbarung" inhaltlich mit dem Videogruß Linders verknüpft war (hierzu sogleich). Demgegenüber wird es als selbstverständlich unterstellt, dass Lindner sein Grußwort im Rahmen ministerieller Dienstausübung übermittelt hat. So spricht etwa der Tagesspiegel – der als erster von dem generalstaatsanwaltschaftlichen Vorermittlungsverfahren berichtete – vom "Minister-Grußwort" und vom "dienstliche[n] Grußwort", und der Spiegel – der die Vorermittlungen mit seinen (von ihm selbst so genannten) "Enthüllungen" angestoßen hat – teilt mit, Lindner habe das Grußwort "als Finanzminister" und "dienstlich" gehalten. Doch liegen die Dinge wirklich so einfach?

Schon "Dienstausübung" drängt sich nicht auf

Der vorschnelle Schluss auf ein dienstliches "Minister-Grußwort" lässt unberücksichtigt, dass Lindner eben nicht nur Bundesfinanzminister, sondern zugleich auch Bundesvorsitzender der FDP – eines rechtsfähigen Vereins des Privatrechts – und Bundestagsabgeordneter ist. Die Amtsträgereigenschaft hat er hingegen nur in seiner Funktion als Bundesfinanzminister.

Erwägenswert erscheint, ob vor diesem Hintergrund für die Frage, ob er sich in dem Videogruß dienstlich als Minister oder nichtdienstlich als Bundesvorsitzender des privatrechtlichen Vereins FDP oder als Bundestagsabgeordneter äußerte, nicht die (oder ähnliche) Kriterien herangezogen werden müssen, wie sie das Bundesverfassungsgericht vor allem in den vergangenen Jahren für die Einordnung von insbesondere bei Talkrunden, Diskussionsforen und Interviews getätigten Äußerungen eines Regierungsmitglieds als amtlich oder nichtamtlich entwickelt hat (BVerfGE 138, 102 Rn. 56 ff.; 148, 11 Rn. 66; 154, 320 Rn. 58 ff., und zuletzt das Merkel-Urteil v. 15.6.2022, 2 BvE 4/20, 2 BvE 5/20).

Videogruß als Parteipolitiker oder als Amtsperson?

Denn nicht anders als dort kann ein Minister auch bei einem Videogrußwort "sowohl als Regierungsmitglied als auch als Parteipolitiker oder Privatperson angesprochen sein". Folgt man dem Vorschlag, käme es auf die Umstände des Einzelfalls an: Maßgeblich wäre dann, wie der Einladungstext der BBBank an Lindner lautete, insbesondere, ob er ausschließlich aufgrund seines Ministeramts für das Grußwort angefragt worden ist, welchen Wortlaut der Videogruß hat, ob er "ausdrücklich auf das Ministeramt Bezug nimmt", ob darin das Logo des Bundesfinanzministeriums (Bundesadler, Vertikalbalken in schwarz-rot-gold, Ministeriumsbezeichnung) eingeblendet ist und ob er etwa mit Minister-Laptop im Minister-Büro sitzt. Wie Lindner in dem Video bezeichnet wird, etwa als "Christian Lindner, MdB, Bundesminister der Finanzen und Bundesvorsitzender der FDP", ist hingegen nicht entscheidend. Denn das bloße Verwenden seiner ministeriellen Amtsbezeichnung wäre noch kein Indiz für eine Äußerung in dienstlicher Funktion, "weil staatliche Funktionsträger ihre Amtsbezeichnung auch in außerdienstlichen Zusammenhängen führen dürfen".

Unabhängig von der konkreten Ausgestaltung des Videogrußes drängt es sich im Ergebnis aber jedenfalls nicht auf*, dass Lindner in den Jahren 2017 bis 2019 als FDP-Parteichef und Bundestagsabgeordneter sieben Mal bei der Bank gesprochen und ein Image-Video für deren Internetpräsenz gedreht hat, seinen Videogruß 2022 dann aber in seiner Funktion als Bundesfinanzminister übermittelt hat.

"Unrechtsvereinbarung" fernliegend

Käme die Staatsanwaltschaft zu dem Ergebnis, dass Lindner sich in seinem Videogrußwort in amtlicher Funktion geäußert, also im Sinne des § 331 StGB seinen "Dienst ausgeübt" hat, wäre weiter fraglich, ob zwischen Lindner und der Bank eine "Unrechtsvereinbarung" bestand, ob also eine wenigstens angestrebte, auch stillschweigend mögliche Übereinkunft dahingehend vorlag, dass der Videogruß und die spätere weitere Darlehensgewährung in Höhe von 450.000 Euro im beiderseitigen Bewusstsein inhaltlich verknüpft sein sollten.

Lindners Presseanwalt bestreitet jeden personellen, inhaltlichen oder auch nur zeitlichen Zusammenhang zwischen dem Grußwort und der privaten Immobilienfinanzierung und verweist auf die Unüblichkeit eines Institutswechsels für die den weiteren Baufortschritt der Immobilie betreffende Ergänzungsfinanzierung. Und in der Tat liegt es bei aller der Unrechtsvereinbarung innewohnenden, die Ausdeutung des strafbaren Terrains erschwerenden Konturenlosigkeit fern, dass die Gewährung der zweiten Darlehenstranche über 450.000 Euro inhaltlich mit einem 3-minütigen "Minister-Grußwort" verknüpft sein sollte, wo die Bank Lindner doch schon im Januar 2021 – also bevor er Minister wurde und damit ohne jeden dienstlichen Zusammenhang – ein Darlehen über 2,35 Millionen Euro – also über mehr als das Fünffache – gewährt hatte.

Dass die Bank mit dieser – nicht einmal 20 % des Volumens der Erstfinanzierung erreichenden – Ergänzungsfinanzierung riskiert haben soll, "womöglich auf einer hohen Schuldensumme sitzenzubleiben", weil Politik "oft ein Beruf auf Zeit" ist, drängt sich im Übrigen auch deshalb nicht auf, weil Lindner seit Jahren zu den Abgeordneten mit den höchsten Nebeneinkünften zählen soll und nach dem, was öffentlich bekannt ist, nicht dazu zu neigen scheint, nach einem möglichen Ende seiner Politik-Karriere auf die ihm dann sicherlich offerierten hohen Verdienstchancen zu verzichten. Dies wird die Bank bei ihrer Risikoprognose zu Recht nicht unberücksichtigt gelassen haben.

Resümee

Bei näherer Betrachtung liegt eine Strafbarkeit Christan Linderns nach § 331 StGB auf Grundlage des derzeit Bekannten fern: Es drängt sich schon nicht auf, dass es sich bei der Videogrußbotschaft überhaupt um eine "Dienstausübung" handelte. Vor allem aber ist unwahrscheinlich, dass die weitere Darlehensgewährung in Höhe von 450.000 Euro durch die BBBank im Juni 2021 mit dem Grußwort im Mai 2022 in einem strafrechtlich relevanten Zusammenhang stand.

* Artikelversion vom 16.1.23. Mittlerweile ist u.a. öffentlich bekannt geworden, dass die Anfrage an das Finanzminsterium gerichtet wurde sowie die Aufzeichnung im Ministerium stattfand, womit der dienstliche Bezug naheliegt (Anm. d. Redaktion). 

Ergänzung: Am 27.1.2023 hat die Staatsanwaltschaft Berlin mitgeteilt, dass kein Anfangsverdacht gegen Christian Lindner wegen Abgeordnetenbestechung oder Vorteilsannahme besteht. Ergebnis des Prüfvorgangs sei, dass keine Ermittlungen aufgenommen werden.

 

Dr. Yves GeorgDr. Yves Georg ist Strafverteidiger und Partner der Kanzlei Schwenn Kruse Georg Rechtsanwälte in Hamburg.

Kanzlei des Autors

Zitiervorschlag

Bankkredit und Videogrußwort: Hat sich Christian Lindner strafbar gemacht? . In: Legal Tribune Online, 09.01.2023 , https://www.lto.de/persistent/a_id/50693/ (abgerufen am: 26.04.2024 )

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