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Cannabis-Legalisierung in Deutschland: Ver­wir­rung um Ver­hand­lungen mit der EU

von Hasso Suliak

17.11.2022

EU-Kommission

Die EU-Kommission in Brüssel: Wird hinter dieser Fassade auch über die Cannabis-Legalisierung in Deutschland beraten? Bild: picture alliance / pressefoto_korb | Micha Korb

Am Montag verkündete Karl Lauterbach den Start der Verhandlungen zur Cannabis-Legalisierung mit der EU, am Mittwoch reagierte Brüssel. Eine europarechtliche Prüfung sei von Deutschland formal noch nicht angestoßen worden. Was gilt denn nun?

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Erleichterung in der deutschen Cannabis-Community machte sich breit, als Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach in einem Tweet am Montag erklärte: "Verhandlungen mit EU in Brüssel beginnen schon heute. Unsere Linie: Schutz vor Drogenkriminalität, legaler sicherer Konsum nur für Erwachsene." Vom Tisch schienen damit Irritationen, für die wenige Tage zuvor Aussagen seitens der EU-Kommission gegenüber LTO gesorgt hatten. "Wir haben den deutschen Entwurf noch nicht erhalten und warten auf die von den deutschen Behörden erwähnte Konsultation", so eine Sprecherin der Kommission am Freitag.

Hintergrund ist, dass Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach ein Gesetz zur Cannabis-Legalisierung nur auf den parlamentarischen Weg bringen will, wenn die Pläne einer europarechtlichen Prüfung in Brüssel standhalten. Zu diesem Zweck hatte er Ende Oktober die Einleitung eines Vorabprüfungsverfahren bei der EU-Kommission angekündigt. "Wenn es ein klares Nein gäbe, werden wir den Fehler, der bei der Autobahn-Maut für Pkw gemacht wurde, mit Sicherheit nicht wiederholen", bekräftigte er diese Woche auch noch einmal in einem Interview mit dem Kölner Stadt-Anzeiger. "Wir setzen auf Gesundheitsschutz. Das kann auch Brüssel überzeugen", so der Minister.

Klar ist: Um in Brüssel die Legalisierung voranzubringen, müsste irgendwann einmal das entsprechende Verfahren angestoßen werden, und zwar bei der für das Thema zuständigen Kommissarin bzw. der ihr zugeordneten Generaldirektion. Anders als in Deutschland, wo das Bundesgesundheitsministerium für das Vorhaben federführend ist, liegt bei der EU-Kommission die Zuständigkeit für das deutsche Legalisierungs-Gesetz nicht bei der Gesundheitskommissarin, sondern bei der Schwedin Ylva Johannsson, der Kommissarin für Inneres und Migration.

EU-Kommission: "Deutsches Konsultationsersuchen noch nicht bekommen"

Und deren Sprecherin Anitta Hipper erklärte am Mittwochabend auf LTO-Nachfrage zum Stand der Verhandlungen, dass von den deutschen Behörden in Sachen Cannabis-Legalisierung weiterhin "noch keine förmliche Notifizierung" eingereicht worden sei. "Da wir das förmliche deutsche Konsultationsersuchen noch nicht erhalten haben, können wir daher zum jetzigen Zeitpunkt keine weiteren Kommentare abgeben", sagt sie.

Deutschland verhandelt mit Brüssel bislang allenfalls nur informell und hat den offiziellen Prüfprozess noch gar nicht angestoßen. Lauterbachs Ministerium erklärte dazu auf Nachfrage, man führe mit der EU-Kommission einen "offenen und konstruktiven Dialog".

Auf Unverständnis stoßen die Aussagen aus Brüssel bei Lauterbachs Fraktionskollegin Carmen Wegge. Die Juristin ist in der SPD-Bundestagsfraktion die zuständige Berichterstatterin für die Legalisierung von Cannabis im Rechts- wie im Innenausschuss. "Meines Wissens ist der Prozess bereits angestoßen. Die Aussagen der Kommission kann ich mir daher nicht erklären", sagt sie gegenüber LTO.

Die 33-jährige weilte vergangene Woche selbst in Brüssel. "Die zahlreichen Gespräche mit der Kommission, mit vielen Parlamentarier:innen und Verbänden waren sehr gewinnbringend und durchweg positiv für unser deutsches Legalisierungsprojekt", berichtet sie. Wenn sich die Kommission die Faktenlage zur prohibitionistischen Drogen- und Suchtpolitik der vergangenen Jahrzehnte anschaue, dann werde sie auch der deutschen Interpretation folgen. Der europäische Rechtsrahmen und das deutsche Legalisierungsvorhaben verfolgten ein identisches Ziel: "Den unerlaubten Handel zu unterbinden und für einen umfassenden Gesundheitsschutz der Bevölkerung zu sorgen."

SPD-Berichterstatterin: "EU-Rahmenbeschluss ändern"

Der Legalisierung in Deutschland bekanntlich europarechtlich entgegenstehen könnten sowohl das Schengener Durchführungsübereinkommen, das dem EU-Primärrecht zuzuordnen ist, als auch ein EU-Rahmenbeschluss zur Bekämpfung des illegalen Drogenhandels von 2004. Europarechtlern zufolge verpflichten beide Abkommen die Mitgliedstaaten dazu, jegliche gewerbliche Aktivitäten mit Cannabis außerhalb wissenschaftlicher und medizinischer Zwecke zu verbieten. Es bleibe daher Deutschland gar nichts anderes übrig als hierzu auf EU-Ebene nachzuverhandeln.

Das sieht im Prinzip auch SPD-Rechtspolitikerin Wegge so: "Klar ist, dass wir den Rahmenbeschluss von 2004 perspektivisch ändern müssen, damit eine rechtssichere Legalisierung der Produktionskette nicht nur in Deutschland erfolgen kann. Dies ist auch unser erklärtes Ziel."

Brüssel soll also auf Grundlage des geltenden Rechts der Bundesregierung grünes Licht für die Legalisierung geben, obwohl die Ampel selber der Auffassung ist, der entsprechende EU-Rahmenbeschluss müsse "perspektivisch" geändert werden, um Rechtssicherheit zu schaffen? Besonders überzeugen dürfte diese Argumentation die EU-Kommission wohl nicht.

Mit Gesetz ins EU-Notifizierungsverfahren

Aber auch ansonsten herrscht Irritation über die deutsche Strategie: Während Karl Lauterbach in der PK, auf der er die Cannabis-Eckpunkte präsentierte, klarstellte, dass die Arbeiten an einem Gesetzentwurf erst aufgenommen würden, wenn es grünes Licht von der EU-Kommission gebe, erklärt seine Fraktionskollegin Wegge: "Aus unserer Sicht wäre es natürlich schön, wenn bereits vor der Rückmeldung der Kommission zu den Eckpunkten am Gesetzentwurf gearbeitet wird. Sollte sich die Kommission dazu entscheiden, sich nicht zu den Eckpunkten zu äußern, sei es sinnvoll, "schnellstmöglich den Gesetzesentwurf vorzulegen und ihn in das EU-Notifizierungsverfahren zu geben". 

Gemeint ist damit ein Verfahren, in dem jeder Mitgliedstaat die Europäische Kommission und in einigen Fällen auch die anderen Mitgliedstaaten über einen Rechtsakt von grenzüberschreitendem Interesse (binnenmarktrelevant) in Kenntnis setzen muss, bevor dieser in nationales Recht umgesetzt werden darf.

Mit wem auch immer die Vertreter:innen der Ampel derzeit über das Cannabis-Projekt in Brüssel verhandeln: Am Mittwoch war der bayerische Gesundheitsminister Klaus Holetschek zu Gesprächen im Hause der zuständigen EU-Kommissarin. Er traf dort Generaldirektorin Monique Pariat, die vom Rang her mit einer Staatssekretärin in einem deutschen Ministerium zu vergleichen ist. 

CSU: "Alle Register ziehen, um das Gesetz zu verhindern" 

Und auch Holetschek berichtet von positiven Signalen aus Brüssel – nur anderen: "Ich bin optimistisch, dass die EU-Kommission als ausgleichendes Element auf die hitzige Legalisierungsdebatte in Deutschland einwirken wird", sagte Holetschek nach dem Gespräch mit Pariat. Er habe den Eindruck, dass die Kommission vor allem den Verkauf von Cannabis europarechtlich problematisch sehe, fügte er hinzu. Bayern sei strikt gegen eine Legalisierung von Cannabis und werde auch auf Bundesebene alle Register ziehen, um das Gesetz zu verhindern, sollte es so weit kommen", so Holetschek.

Wie das bayerische Justizministerium gegenüber LTO bekräftigte, widerspreche das Ampel-Vorhaben nicht nur dem Unionsrecht, sondern stehe darüber hinaus auch "in offenem Widerspruch zu der bisher vom EuGH vertretenen Linie. Danach verbietet das Unionsrecht den Mitgliedstaaten den Handel mit Betäubungsmitteln abgesehen von der Verwendung für medizinische und wissenschaftliche Zwecke."

SPD-Frau Wegge beeindrucken die Botschaften aus Bayern nicht: "Klaus Holetschek kann noch so viel drohen und Termine in Brüssel absolvieren, dazu kann ich nur sagen: Die Prohibitions-Politik der CSU, die vor allem auch eine Politik für den gefährlichen Schwarzmarkt ist, ist gescheitert. Und ich bin froh, dass wir als Koalition hier einen deutlich anderen, vor allem progressiven Weg beschreiten."

Mit Material von dpa

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Cannabis-Legalisierung in Deutschland: . In: Legal Tribune Online, 17.11.2022 , https://www.lto.de/persistent/a_id/50199 (abgerufen am: 19.05.2025 )

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