Ermittlungen gegen den FC Bayern München: "Jugend­trainer wurden aus­ge­beutet"

Interview von Dr. Felix W. Zimmermann

07.01.2022

Zu schlechte Bezahlung beim reichsten Club Deutschlands? Während die Staatsanwaltschaft noch ermittelt, läuft bereits ein Arbeitsgerichtsprozess. Rechtsanwalt Andreas Waldschmidt vertritt einen Trainer und gibt Einblicke in das Verfahren.

LTO: Herr Waldschmidt, wen vertreten Sie und was wollen Ihre Mandanten vom FC Bayern München

Andreas Waldschmidt: Wir vertreten Jugendtrainer des FC Bayern oder ehemalige Jugendtrainer, denen gekündigt worden ist in arbeitsrechtlichen Verfahren. Wir machen unter anderem rückständige Löhne geltend, weil Übungsleitern zu Unrecht gekündigt und gegen das Mindestlohngesetz verstoßen wurde. 
 
Inwieweit wurde denn gegen das Mindestlohngesetz verstoßen?

Die Jugendtrainer haben im Schnitt ca. 100 Stunden im Monat gearbeitet und dafür 450 Euro erhalten. Das macht einen Stundenlohn von 4,50 Euro. Der gesetzliche Mindestlohn lag aber ab dem 1. Januar 2021 bereits bei 9,50 Euro. Damit wird der Mindestlohn um mehr als die Hälfte unterschritten. Das wollten unsere Mandanten nicht länger hinnehmen. 
 
Was haben denn die Verantwortlichen von Bayern München daraufhin ihren Mandanten erwidert?

Dort hat man die Jugendtrainer schroff zurückgewiesen und gesagt: "Wenn ihr es nicht macht, dann haben wir noch viele andere, die den Job für weniger als 450 Euro oder sogar umsonst machen." Das war dann sicher auch einer der Knackpunkte, an dem die Stimmung gekippt ist. Grundsätzlich sind diese Trainer nach wie vor große Bayernfans. Dass sie so behandelt werden, hat ihnen nicht gefallen.  
 
Für Ehrenamtler gilt ja das Mindestlohngesetz laut dessen § 22 Abs. 3 nicht. Ist ein Jugendtrainer nicht ein Ehrenamt?

Es mag sein, dass es ehrenamtliche Trainer auch beim FC Bayern München gibt. Doch die Trainer, die sich an uns gewandt haben, sind keine ehrenamtlichen Trainer, sondern sie haben einen ganz normalen Anstellungsvertrag. Es gibt zwischen Ihnen und dem FCB keine zusätzliche Vereinbarung bezüglich einer unentgeltlichen oder ehrenamtlichen Tätigkeit. 

RA Andreas Schmidt genannt Waldschmidt

Staatsanwaltliche Ermittlungen laufen

Können Sie bestätigen, dass es auch staatsanwaltliche Ermittlungen gibt?

Ja.Ich habe hier die Vorladung des Hauptzollamts vorliegen, wonach mein Mandant vernommen werden soll. Hieraus kann ich auch entnehmen, wie der derzeitige amtliche Schuldvorwurf lautet. Ermittelt wird unter anderem wegen Sozialversicherungsbetrugs also dem Vorenthalten und Veruntreuen von Arbeitsentgelt. Das ist eine Straftat. Außerdem geht es um Ordnungswidrigkeiten nach dem Mindestlohngesetz, weil der Mindestlohn nicht gezahlt wurde und Stundenaufzeichnungen nicht oder nicht korrekt geführt worden sein sollen.  
 
Was hat es denn mit den Stundenaufzeichnungen auf sich?

Der FC Bayern hat die Jugendtrainer Stundenzettel unterschreiben lassen, die falsch waren. Wenn es z. B. ein Auswärtsspiel gab – mit An- und Abreise –, dann hat man die Trainer oft nur zwei Stunden Arbeitszeit abzeichnen lassen. Die Fahrzeit, Vorbereitung, Übernachtung und anderes wurden einfach weggelassen. Nur die reine Spielzeit wurde als Arbeitszeit erfasst. Das ist natürlich falsch. Und nach § 17 Abs.1 Mindestlohngesetz besteht die Verpflichtung, ordnungsgemäße Stundenaufzeichnungen zu führen. Ein Verstoß gegen diese Verpflichtung stellt eine Ordnungswidrigkeit nach § 21 Abs. 1 Nr.7 Mindestlohngesetz dar.  
 
Gegen wen richten sich die Ermittlungen?

Da wir in Deutschland kein Unternehmensstrafrecht haben, wird zunächst einmal gegen ehemalige und aktuelle Vorstände der FC Bayern AG ermittelt. Das heißt aber noch nicht, dass diese letztendlich auch schuldig sind. Die Ermittler müssen zunächst herauszufinden, wer tatsächlich persönlich für die Verstöße verantwortlich war. Dadurch kann sich der Beschuldigtenkreis reduzieren oder auch vollständig verändern. Das passiert häufig.

Bayern München will mit Behörden kooperieren

Welche Strafen drohen denn hier?

Nach dem Mindestlohngesetz ist eine Geldbuße von bis zu 500.000 Euro möglich. Das würde auch gegen Privatpersonen greifen. Beim Sozialversicherungsbetrug geht der Regelstrafrahmen von Geldstrafe bis zu fünf Jahre Freiheitsstrafe. 
 
Warum hängt der zu wenig gezahlte Lohn mit dem Sozialversicherungsbetrug zusammen?

Wer einen Lohn bezahlt, der unter dem Mindestlohn liegt, zahlt insgesamt zu wenig Lohn. Wer zu wenig Lohn zahlt, führt keine oder zu wenig Sozialversicherungsbeiträge an die Sozialversicherung ab und das ist strafbar. Vielleicht verteidigt man sich beim FC Bayern damit, dass das Delikt fahrlässig begangen worden sei. Strafbar ist nur eine vorsätzliche Begehung.
 
Wer indes Angestellten Arbeit aufgibt, die denklogisch in der vereinbarten Arbeitszeit nicht zu schaffen ist, wird wohl nicht auf Fahrlässigkeit plädieren können?

Ja, das ist auch meine Ansicht. Das ist zumindest bedingt vorsätzlich. 
 
Beim FC Augsburg hat man wegen ähnlicher Vorwürfe von Seiten der Staatsanwaltschaft eine Durchsuchung vorgenommen. Gleiches ist über den FC Bayern nicht bekannt. Was glauben Sie, woran das liegt?

Darüber kann wohl besser das zuständige Hauptzollamt München Auskunft geben. Der FC Bayern hat nun über Oliver Kahn angekündigt, kooperativ zu sein. Der Verein will nach den Bekundungen von Herr Kahn mit den Behörden zusammenarbeiten und helfen, die Vorwürfe aufzuklären. Eine solche Haltung dient natürlich auch der Vermeidung einer Durchsuchung.

Bayern München droht auch langer Arbeitsgerichtsprozess 

Sie klagen ja für ihren Mandaten vor dem Arbeitsgericht. Mit welchem Ziel?

Wir wollen uns eigentlich mit dem FC Bayern über eine vernünftige Entschädigung für den Verlust des Arbeitsplatzes und rückständiger Gehälter einigen. Man muss ja sehen: Der Prozess vor dem Arbeitsgericht könnte sehr langwierig werden – es drohen viele Verhandlungstage und eine umfangreiche Beweisaufnahme mit Zeugenaussagen über die Anzahl der tatsächlich geleisteten Arbeitsstunden der Trainer. Und die schwankten ja auch. Von daher ist es nicht so einfach, die exakte Höhe des vorenthaltenen Lohns zu berechnen. Daher suchen wir einen Vergleich.
 
Der Prozess läuft ja schon seit Februar 2021. Wie verhält sich denn der FC Bayern München bislang vor Gericht?

Es gab letztes Jahr einen Gütetermin mit dem Ziel, die Sache durch einen Vergleich zu erledigen. Doch der FC Bayern wollte nicht einmal Gespräche über einen Vergleich führen. Das ist untypisch vor dem Arbeitsgericht. Was die Kündigung meines Mandanten angeht, sagt der Verein, es handele sich um eine notwendige betriebliche Umstrukturierungsmaßnahme, die vom Vorstand beschlossen worden sei. Gleichzeitig hat der Verein allerdings andere Jugendtrainer eingestellt, was gegen die Erforderlichkeit und Betriebsbedingtheit der Kündigung spricht. 

Bayern München bestreitet bislang zu geringe Entlohnung

Und mit welchen Argumenten verteidigt der Verein die geringe Entlohnung?

Der FC Bayern bestreitet bisher, dass die Jugendtrainer so viel gearbeitet haben, was von ihnen unisono behauptet wird. Das ist das eigentliche Skandalöse: Wenn man doch weiß, dass die Trainer drei Wocheneinheiten Training begleiten, vorbereiten und nachbereiten mussten, dann ein bis zwei Spiele am Wochenende und zusätzlich noch Elterngespräche führen mussten, kann man sich ausrechnen, dass das mit einer Arbeitszeit von zehn Stunden in der Woche undenkbar ist. Das geht einfach nicht.  
 
Und was sagt der Verein zu den Stundenzettel bei Auswärtsspielen, bei denen zwei Stunden Arbeitszeit angesetzt wurden?

Dazu habe ich noch keine Stellungnahme des FCB bekommen. Dieses Stundenzettel-System hat man in letzter Zeit wohl auch eingestellt.  
 
Also hat man die Trainer dann besser bezahlt bei Auswärtsspielen?

Nein, man hat einfach weiter 450 Euro bezahlt und nur die Stundenzettel weggelassen.  Es wurden einfach keine weiteren Aufzeichnungen geführt oder jedenfalls den Trainern nicht mehr zur Unterzeichnung vorgelegt. Aber nach dem Mindestlohngesetz ist ein Arbeitgeber eben zur Führung von Stunden-Aufzeichnungen verpflichtet. 

Strafrechtliche Ermittlungen könnten zu mehr Vergleichsbereitschaft der Bayern führen

Der FC Bayern München - das ist ja nun quasi ein international agierendes Unternehmen. Und ein sehr reiches noch dazu. Wie beurteilen Sie vor diesem Hintergrund das Verhalten der Verantwortlichen?

Es wird sicher bei vielen Fußballvereinen diese Problematik geben. Aber dass es bei einem so renommierten und großen Verein wie dem FCB und in so vielen Fällen passiert, ist schon skandalös. Und natürlich weiß man beim FC Bayern München, wie die Rechtlage ist. In der Hoffnung, es werde sich schon keiner beschweren, wurden hier Jugendtrainer ausgebeutet. Und anstatt auf die Trainer zuzugehen als die Sache aufgeflogen ist, wird gemauert und das Offensichtliche bestritten. Dabei geht es um verhältnismäßig kleine Beträge gegenüber den Umsätzen oder Spielergehältern des FC Bayern. 
 
Im Januar steht die nächste Verhandlung an. Danach würden unter Umständen Zeugen geladen. Glauben Sie, dass der FC Bayern München vorher ein Vergleichsangebot macht?

Ich bin zuversichtlich, weil es mir für beide Parteien sinnvoll erscheint, die Angelegenheit durch einen Vergleichsschluss zu beenden. Der FC Bayern wird sicher versuchen, aus der Sache strafrechtlich so gut wie möglich rauszugehen und dafür ist auch der Täter-Opfer-Ausgleich nach § 46a StGB ein entscheidendes Kriterium der Strafzumessung. Das klingt jetzt etwas dramatisch. Es geht hierbei schlicht darum, dass eine Entschädigungszahlung an die Jungendtrainer sich strafmildernd auswirken dürfte. Für den FC Bayern dürfte eine solche auch zu verschmerzen sein.

Die Redaktion von LTO hat den FC Bayern München um ein Interview und um eine Stellungnahme zu den erhobenen Vorwürfen gebeten, jedoch keine Antwort erhalten.

Der Interviewpartner Andreas Schmidt genannt Waldschmidt ist Anwalt in München und spezialisiert auf Arbeits- und Verkehrsrecht.

Zitiervorschlag

Ermittlungen gegen den FC Bayern München: "Jugendtrainer wurden ausgebeutet" . In: Legal Tribune Online, 07.01.2022 , https://www.lto.de/persistent/a_id/47144/ (abgerufen am: 26.04.2024 )

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