BAG zu verpflichtenden PCR-Tests am Arbeitsplatz: Pan­demie sticht Per­sön­lich­keits­recht

Gastbeitrag von Prof. Dr. Michael Fuhlrott

01.06.2022

Bayerns Staatsoper durfte von ihren Beschäftigten die Vorlage von PCR-Tests verlangen, so das BAG. Eine Flötistin, die dieser Anordnung nicht nachkam, erhält daher keinen Lohn. Was aus dieser Entscheidung folgt, weiß Michael Fuhlrott

Das arbeitgeberseitige Direktionsrecht erlaubt es Arbeitgebern, „Inhalt, Ort und Zeit der Arbeitsleistung nach billigem Ermessen näher zu bestimmen“ (§ 106 Gewerbeordnung). Ob dieses Recht in Pandemiezeiten auch die Anordnung von PCR-Tests umfasst, musste das Bundesarbeitsgericht (BAG) nun anlässlich eines Rechtsstreits klären (Urt. v. 01.06.2022, Az.: 5 AZR 28/22).  

Geklagt hatte eine bei der Bayerischen Staatsoper beschäftigte Flötistin, welche die von dieser angeordneten PCR-Tests ablehnte. Sie sah hierin einen Eingriff in ihr Allgemeines Persönlichkeitsrecht sowie ihre körperliche Unversehrtheit. Grundlage der Testpflicht war das im Sommer 2020 von der Bayerischen Staatsoper eingeführte betriebliche Hygienekonzept, das hinausgehend über die gesetzlichen Vorgaben eine Verpflichtung der Beschäftigten zur Durchführung anlassloser PCR-Tests vorsah. Diese konnten auf Kosten der Arbeitgeberin und während der Arbeitszeit erfolgen. Alternativ war auch die Beibringung eines entsprechenden Attests durch einen Arzt eigener Wahl möglich.  

Nach dem betrieblichen Hygienekonzept wurde diese Maßnahme u. a. darauf gestützt, dass aufgrund der Eigenart der Beschäftigung das Tragen von Mund-Nasen-Bedeckungen nicht möglich sei und die Abstände im Orchesterbetrieb nicht immer sicher eingehalten werden könnten. Denn der Orchestergraben sei räumlich begrenzt, eine Ausweitung des Platzes zur Ermöglichung größerer Abstände schlicht nicht möglich.  

Als die sich weigernde Mitarbeiterin die Durchführung der Tests im August 2020 endgültig ablehnte, stellte die Staatsoper sie unbezahlt frei. Die Besonderheit: Der Arbeitsvertrag der Flötistin verwies auf den Tarifvertrag für Musiker in Kulturorchestern (TVK). Dessen § 4 Abs. 2 enthielt eine Regelung, die den Arbeitgeber „bei gegebener Veranlassung“ berechtigte, durch einen Vertrauensarzt feststellen zu lassen, „ob der Musiker arbeitsfähig und frei von ansteckenden oder ekelerregenden Krankheiten ist“, wobei von dieser Befugnis „nicht willkürlich Gebrauch gemacht werden“ dürfe. 

Vorinstanzen: Testpflicht rechtmäßig, kein Lohnanspruch 

Mit ihrer Klage machte die Flötistin nunmehr Gehaltsnachzahlungen für den anteiligen August, für September und den Oktober 2020 geltend. Sie sei schließlich arbeitswillig und arbeitsfähig gewesen, argumentierte sie. Die Arbeitgeberin habe ihr daher ihren Lohn nach den Grundsätzen des Annahmeverzugs nachzuzahlen (§§ 293 ff. Bürgerliches Gesetzbuch (BGB)).  

Die Bayerische Staatsoper wollte hingegen das monatliche Salär von 8.351.86 Euro brutto der Flötistin nicht zahlen. Sie berief sich dazu auf den Gesundheitsschutz und ihre arbeitsschutzrechtlichen Pflichten auch gegenüber den weiteren Beschäftigten, die wirksame und effektive Hygienemaßnahmen verlangten. Da ein Tragen von Masken nicht möglich sei, sei die strenge Testpflicht angemessen. Arbeitsgericht München (Urt. v. 24.03.2021, Az.: 19 Ca 11406/20) und Landesarbeitsgericht München (Urt. v. 26.10.2021, Az.: 9 Sa 332/21) überzeugte diese Argumentation. Sie gaben der Staatsoper Recht und wiesen die Zahlungsklage ab.  

Keine Leistungsbereitschaft des ungetesteten Arbeitnehmers 

Denn wenn der Arbeitnehmer nicht bereit sei, die betreffende Arbeit bei seinem Arbeitgeber zu den vertraglichen Bedingungen zu erbringen, fehle es an der arbeitnehmerseitigen Leistungsbereitschaft. Arbeitgeberseitiger Annahmeverzug bei Nichtbeschäftigung scheide dann aus, so die Begründung der Münchner Richter:innen. Ein Arbeitgeber habe überdies ein erhebliches Interesse an der Durchführung der Tests, da er sowohl privat- als auch öffentlich-rechtlich verpflichtet sei, die Gesundheit der anderen Arbeitnehmer zu schützen.  

Aus der in § 618 BGB normierten Schutzpflicht folge die Verpflichtung des Arbeitgebers, seine Beschäftigten gegen Gefahren für Leben und Gesundheit soweit zu schützen, wie es die Natur der Dienstleistung gestatte. Dazu müsse der Arbeitgeber gem. § 3 Arbeitsschutzgesetz (ArbSchG) die erforderlichen Maßnahmen treffen. Die Anordnung von PCR-Tests sei zur Erreichung dieses Ziels geeignet. Die Tests seien auch erforderlich gewesen. Die Bayerische Staatsoper habe neben den Tests überdies die weiteren in der maßgeblichen SARS-CoV2-Arbeitsschutzregel vorgesehenen Schutzmaßnahmen implementiert. Da die Tätigkeit als Flötistin zudem nicht mit Maske erbracht werden könne, sei eine Testpflicht erforderlich. 

BAG: Ein recht klares „Ja“ zur Testpflicht 

Auch vor dem BAG blieb die Klägerin nun erfolglos, das nunmehr die Revision der Flötistin zurückwies. Ausweislich der Pressemitteilung des Gerichts  ist die Anweisung zum Testen rechtmäßig gewesen. Denn die auf dem betrieblichen Hygienekonzept beruhenden Anweisungen hätten billigen Ermessen entsprochen. Der mit der Durchführung der Tests verbundene Eingriff in die körperliche Unversehrtheit sei minimal, damit auch verhältnismäßig gewesen.  

Das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung mache die Testanordnung ebenfalls nicht unzulässig, zumal ein positives Testergebnis mit Blick auf die infektionsschutzrechtlichen Meldepflichten und die Kontaktnachverfolgung ohnehinn im Betrieb bekannt werde, so das BAG. Da die arbeitgeberseitige Anweisung zur Umsetzung des betrieblichen Hygienekonzepts rechtmäßig gewesen sei, habe die Arbeitgeberin zu Recht einen fehlenden Leistungswillen der Arbeitnehmerin annehmen dürfen und die Lohnzahlung einstellen dürfen.  

Folgen für Hygienemaßnahmen in Unternehmen 

Das Urteil stützt sich allein auf das arbeitgeberseitige Direktionsrecht. Auf die tarifvertragliche Regelung zur Vornahme von Gesundheitsuntersuchungen, auf die die Vorinstanz noch maßgeblich abgestellt hatte, kam es – jedenfalls nach dem Wortlaut der Pressemitteilung – nicht an.  

Für Arbeitgeber ist die Entscheidung daher eine Erleichterung bei der Planung betrieblicher Hygienemaßnahmen, die laut dem BAG einseitig durch den Arbeitgeber angewiesen werden können. Natürlich müssen diese verhältnismäßig sein und ein bestehender Betriebsrat wäre hierbei gem. § 87 Abs. 1 Nr. 1, 7 Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG) zu beteiligen. Grenzenlos ist der Spielraum des Arbeitgebers also nicht.  

Hinzu kommt: Die Entscheidung erging zu einem Sachverhalt in Corona-Hochzeiten. Ob angesichts des aktuellen Pandemiegeschehens und niedriger Infektionszahlen derartige Maßnahmen momentan noch möglich wären, müsste jeweils genau unter Berücksichtigung der betrieblichen Situation geprüft werden. Dort, wo Kontakt zu vulnerablen Gruppen besteht, wird eine entsprechende Anordnung sicherlich möglich sein. Dort, wo es an einem besonderen Gefahrenpotential fehlt, wird man dem Persönlichkeitsinteresse der Arbeitnehmer im Rahmen der Güterabwägung stärkeres Gewicht beimessen müssen.  

Sollte sich im Herbst aber eine erneute Corona-Welle abzeichnen oder die Affenpocken Deutschland noch stärker heimsuchen, gibt die aktuelle Entscheidung Unternehmen eine Handhabe und wichtige Leitlinien, welche betrieblichen Hygienemaßnahmen Arbeitgeber vornehmen dürfen. Im Zweifel pro Gesundheitsschutz und contra Individualinteresse – solässt sich die Entscheidung der Bundesarbeitsrichter:innen (plakativ und sehr verkürzt) zusammenfassen. 

Der Autor Prof. Dr. Michael Fuhlrott ist Fachanwalt für Arbeitsrecht und Partner bei FHM – Fuhlrott Hiéramente & von der Meden Partnerschaft von Rechtsanwälten in Hamburg. 

Zitiervorschlag

BAG zu verpflichtenden PCR-Tests am Arbeitsplatz: Pandemie sticht Persönlichkeitsrecht . In: Legal Tribune Online, 01.06.2022 , https://www.lto.de/persistent/a_id/48625/ (abgerufen am: 19.04.2024 )

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