Auswirkungen der AÜG-Reform auf (IT-)Beratungsbranche: Vor­ei­liger Ver­bands­jubel

von Martin Gliewe

18.11.2016

2/2: Folgen bei nicht deklarierter Überlassung verschärft

Die derzeitige Rechtslage ist, betreffend die Einordnung von Vertragsgestaltungen als "Arbeitnehmerüberlassung" oder "Werk-/Dienstvertrag" vor allem eines: komplex.

Gerade in der (IT-)Beratungsbranche ist es sogar für Juristen häufig schwierig, die richtige Vertragswahl für entsprechende Leistungen zu treffen: Werk-/Dienstvertrag oder Arbeitnehmerüberlassung? Dieses Bewertungsrisiko ist in der Branche aufgrund der Komplexität der Projekte, der Einführung neuer Arbeitsformen sowie mangelnder finaler Anforderungen an die Dienst-/Werkleistung erheblich. Arbeitsteilige Projektarbeit, die darauf abzielt, externe Spezialisten mit internen Know-How-Trägern für einen begrenzten Zeitraum zusammenzuführen oder neue Formen der Zusammenarbeit, wie beispielsweise "Scrum", können auf eine (verdeckte/illegale) Arbeitnehmerüberlassung hindeuten und stellen die Praxis bei der Beantwortung der Frage, welcher Vertragstyp zugrunde zu legen ist, vor besondere Herausforderungen.

Bislang war es daher gängige und zulässige Praxis eine Überlassungserlaubnis vorzuhalten (sog. Vorratserlaubnis), um zumindest die gravierendste Rechtsfolge einer illegalen Überlassung – die Begründung eines Arbeitsverhältnisses zwischen Entleiher und Leiharbeitnehmer – zu vermeiden. Nach der Änderung des AÜG soll eine solche Vorratserlaubnis jedoch ins Leere laufen: trotz Vorliegens einer Arbeitnehmerüberlassungserlaubnis sollen sämtliche Rechtsfolgen einer illegalen Arbeitnehmerüberlassung eintreten, wenn die (tatsächliche und möglicherweise erst nachträglich durch die Gerichte festgestellte) Arbeitnehmerüberlassung im Vertrag nicht ausdrücklich als solche bezeichnet worden ist.

Daher ist es künftig wichtiger denn je, die Einsatzformen im Rahmen von (IT-)Beratungsleistungen kritisch zu prüfen und ggf. an die neue Gesetzeslage anzupassen. Unternehmen der (IT-)Beratungsbranche und ebenso ihre Auftraggeber sind damit nicht aus dem Schneider – vielmehr tragen sie künftig ein noch größeres Risiko beim Einsatz von Fremdpersonal.

Festhaltenserklärung wird zum bürokratischen Maulwurf

Auch die neu eingeführte Festhaltenserklärung wird hierbei keine Hilfe sein. Zwar wird dem von illegaler Arbeitnehmerüberlassung betroffenen Arbeitnehmer erstmalig die Möglichkeit eingeräumt, an seinem bisherigen Arbeitsverhältnis mit dem Personaldienstleister/Beratungsunternehmen festzuhalten. Die Wirksamkeit dieser schriftlichen Erklärung setzt jedoch voraus, dass der Arbeitnehmer sie persönlich bei der Agentur für Arbeit vorlegt, die Agentur für Arbeit diese mit dem Datum der Vorlage sowie mit einem Hinweis versieht, dass sie die Identität des Arbeitnehmers festgestellt hat sowie die Erklärung dem Personaldienstleister oder Kunden spätestens am dritten Tag nach der Vorlage in der Agentur für Arbeit zugeht.

Dieser zusätzliche Weg über die Agentur für Arbeit soll verhindern, dass der Leiharbeitnehmer seine Festhaltenserklärung schon formularmäßig vorab abgibt. Faktisch dürfte die bürokratische Hürde in vielen Fällen allerdings verhindern, dass Festhaltenserklärungen überhaupt abgegeben werden. Soweit sie dennoch abgegeben werden, werden sie dazu führen, dass vermehrt Ordnungswidrigkeitenverfahren eingeleitet werden – denn jede Festhaltenserklärung bedeutet illegale Arbeitnehmerüberlassung, jede illegale Arbeitnehmerüberlassung bedeutet eine Ordnungswidrigkeit mit Bußgeldern bis zu 30.000 Euro – pro Verstoß, versteht sich.

Man mag der beratenden (IT-)Branche wünschen, nicht derartigen Risiken ausgesetzt zu sein, gerade weil die Einordnung des jeweiligen Vertragstypus schwierig ist und ihr regelmäßig keine Missbrauchsabsicht zugrunde liegen wird. Leider wird dies ein frommer Wunsch bleiben – erst recht nach der Neuregelung des AÜG.

Der Autor Martin Gliewe ist Rechtsanwalt und Fachanwalt für Arbeitsrecht bei Noerr LLP in Frankfurt. Er berät Unternehmen in allen Fragen des Individual- und Kollektivarbeitsrechts, insbesondere im Rahmen von Umstrukturierungen und im Bereich Contractor-Compliance.

Zitiervorschlag

Martin Gliewe, Auswirkungen der AÜG-Reform auf (IT-)Beratungsbranche: Voreiliger Verbandsjubel . In: Legal Tribune Online, 18.11.2016 , https://www.lto.de/persistent/a_id/21203/ (abgerufen am: 28.03.2024 )

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