Anwaltliche Tätigkeit in Russland: Trotz allem: Die Mehr­heit bleibt

von Stefan Weber

26.04.2016

3/3: Flexibilität und Durchhaltevermögen sind gefragt

Einige westliche Unternehmen haben nun den russischen Markt verlassen, laut Außenhandelskammer Moskau gab es im Jahr 2015 einen Rückgang um sieben Prozent bei der Anzahl der Unternehmen mit deutscher Kapitalbeteiligung. Die ganz überwiegende Mehrheit der ausländischen Unternehmen bleibt jedoch vor Ort und passt sich an die veränderten Umstände an. Einige große und durchaus auch mittelständische Unternehmen vergrößern sich sogar. Sie gründen etwa mit russischen Partnern Joint Ventures oder nutzen die neuen Produktionsanreize zum Aufbau einer lokalen Produktion. So sind beispielsweise in Tatarstan mehrere Investitionsvorhaben zum Aufbau lokaler Produktion mit deutschem Know-how  in Verhandlungen.

Die wirtschaftliche und rechtsstaatliche Entwicklung hat den Bedarf an rechtlicher Beratung ein Stück weit verschoben. Im Mittelpunkt steht weniger die transaktionsbezogene Beratung; stärker gefragt sind aktuell vor allem die prozessuale Begleitung, arbeitsrechtliche und regulatorische Themen sowie insolvenz- und restrukturierungsbezogene Beratung. So besteht u.a. vermehrt Beratungsbedarf hinsichtlich bestehender Verträge, die durch die wirtschaftliche Entwicklung in Schieflage geraten sind. Aufgrund von finanziellen Schwierigkeiten der russischen Kunden finden sich viele Geschäftspartner vor dem staatlichen Wirtschaftsgericht wieder, die früher sehr erfolgreich zusammengearbeitet haben.

Zwischenmenschliches und der Anwalt mittendrin

Allen derzeitigen Schwierigkeiten zum Trotz besteht auf beiden Seiten oftmals der Wunsch, die Zusammenarbeit auch für die Zukunft fortzuführen. Das zeigt, dass die Geschäftsverbindungen zwischen deutschen und russischen Unternehmen produktiv und attraktiv sind und auf einer langjährigen vertrauensvollen Zusammenarbeit beruhen. So zählten deutsche Unternehmen zu den ersten Investoren nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion.

Überhaupt ist für russische Unternehmer ein Vertrauen in ihre Partner besonders wichtig. Sie stellen Vertrauensvorschüsse für diejenigen aus, die sich aufgeschlossen und interessiert an dem Leben, den Menschen und der Kultur in Russland zeigen. Zahlreiche deutsche Staatsbürger leben bereits seit Jahren in Russland und sind hier beruflich und privat verwurzelt. Das umfassende Know-how, die lange Erfahrung, die Anwesenheit im Land des Geschäftspartners und das Sprechen beider Sprachen überzeugen und bleiben gefragt. Und nicht zuletzt genießen deutsche Qualitätsprodukte nach wie vor ein hohes Ansehen bei russischen Geschäfts- und Privatleuten.

Die Zukunft der anwaltlichen Tätigkeit vor Ort hängt von der weiteren wirtschaftlichen Entwicklung ab. Erfährt die Wirtschaft einen Aufschwung, werden Geschäftsverbindungen intensiviert und neue Investitionen getätigt. Baut die Regierung die Kontrollbefugnisse aus, verringert sich das Vertrauen in den bereits geschwächten Markt weiter. Bedarf an rechtlicher Beratung ist jedoch selbst in diesen schwierigen Zeiten vorhanden. Flexibilität, Mut und Durchhaltevermögen sind gefragt. Und natürlich auch ein gewisses Vertrauen auf eine Stabilisierung des Marktes in der Zukunft.

Der Einstieg für deutsche Rechtsanwälte in Russland ist vergleichsweise einfach. Anders als in anderen Ländern, wie z.B. Brasilien, kann der deutsche Jurist nach der derzeitigen Rechtslage ohne besondere Zulassung seiner Tätigkeit nachkommen und sogar vor Gericht auftreten. Auch besteht trotz der Sanktionen nach wie vor eine kulturelle Nähe zwischen Russen und Deutschen. Wir werden als besonders gründliche und vertrauenswürdige Berater und Vertreter geschätzt. Allerdings ist das Rechtssystem im Laufe der Jahre differenzierter und komplizierter geworden, bei gleichzeitig zunehmender Qualität und Spezialisierung der russischen Juristen. Damit ist für Anfänger die fachliche Einarbeitung in das russische Recht schwieriger als noch vor zehn Jahren, auch wenn strukturell das russische Zivilrecht häufig dem deutschen Recht ähnlich ist.

Stefan Weber ist Leiter des Moskauer Büros der Kanzlei Noerr. Er berät bei gesellschaftsrechtlichen und Finanztransaktionen vornehmlich nach russischem, aber auch nach deutschem Recht, mit Volumina bis zu mehreren Milliarden US-Dollar. Weber lebt und arbeitet seit 2008 in Moskau.

Zitiervorschlag

Stefan Weber, Anwaltliche Tätigkeit in Russland: Trotz allem: Die Mehrheit bleibt . In: Legal Tribune Online, 26.04.2016 , https://www.lto.de/persistent/a_id/19210/ (abgerufen am: 29.03.2024 )

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