Niema Movassat: Der Youngster

Gil Eilin Jung

20.06.2010

Als einer der jüngsten Abgeordneten im Deutschen Bundestag hat der 25jährige Diplom-Jurist Niema Movassat in relativ kurzer Zeit relativ bewegte Zeiten erlebt. LTO traf den im Ruhrpott aufgewachsenen Sohn iranischer Eltern im Berliner Bundestagsabgeordnetenhaus Unter den Linden 50, wo Movassat für DIE LINKEN und eine bessere Welt kämpft. Ein Portrait von Gil Eilin Jung.

Niema Movassat ist kein großer Mann, aber ein Mensch mit einer großen Ausstrahlung. Etwas Zen-ähnliches umgibt den 25jährigen, dessen Markenzeichen ein Kapuzenpullover ist, der lässig unterm Jackett hervorblitzt. Bei Movassat ist der "Hoody" kein Statement. Bei ihm ist er natürlicher Ausdruck seiner Generation.

Karriere und Kalkül scheinen sein Ansatz nicht. Niema Movassat will die Welt ein bisschen besser machen. Bildungspolitisch fordert er "eine Schule, in der alle Kinder gemeinsam lernen" und befürwortet die Abschaffung von Noten. Die Zukunft der Wehrpflicht sieht er "allein in ihrer Abschaffung oder zumindest Aussetzung". Er fordert, Fahrräder in ICEs mitnehmen zu können und wirft dem FDP-Kabinettsmitglied Dirk Niebel keck vor, sein Entwicklungshilfe-Ministerium "schrittweise zu einem Mix aus Verteidigungs- und Wirtschaftsministerium zu machen". Mit anderen Worten: Movassat kämpft an vielen Fronten.

 "Ich habe mich immer für Politik interessiert", erzählt der Diplom-Jurist am kleinen Konferenztisch seines Bundestagsbüros. Drei Zimmer teilt er mit drei wissenschaftlichen Mitarbeitern und einer Batterie von Ficus Benjamini. Die Einrichtung ist schlicht – schwarze Polster, dunkles Holz –, gehoben studentisch. Mit 16 Jahren trat Movassat der PDS bei, weil ihn der "erste Kriegseinsatz deutscher Soldaten nach dem Zweiten Weltkrieg" – wie er den Friedenseinsatz der Bundeswehr im Kosovo bezeichnet – nachdenklich machte. "Ich fand die allgemeine politische Haltung damals fragwürdig", erzählt Movassat. Die PDS als Vorläufer der heutigen Linken war aus seiner Sicht die einzige der fünf im Bundestag vertretenen Parteien, die sich klar gegen das Mandat auf dem Balkan ausgesprochen hatte.

Niema Movassat ist Sohn eines iranischen Ingenieurs und einer iranischen Röntgenassistentin. Ende der 70er Jahre lernte man sich im deutschen Exil kennen. Die Gründe der Mutter, die Heimat zu verlassen, waren familiär, die des Vaters politisch. "Er gehörte im Iran zu den Linken und verließ das Land aus Befürchtung vor Repressalien", erzählt der Sohn. Der Gedanke an eine Rückkehr war aus Angst vor Verfolgung "irgendwann abgeschnitten". Über das politische Umfeld im Hause Movassat sagt der Sohn: "Es war völlig neutral. Wir haben Tagesschau geschaut, aber es gab nicht jeden Tag heiße politische Debatten quer über den Abendbrottisch." Während der Schulzeit engagiert sich Niema - Betonung auf dem langen "i" -  bereits politisch, macht ein Einser-Abitur, studiert Jura.

"Jura gibt einem viele Möglichkeiten", erläutert der Abgeordnete über einem Becher Milchkaffee. "Ich war in der Schule in der Rechts-AG, was ich spannend fand."  Movassats Schwerpunkte sind öffentliches Wirtschafts- und Umweltrecht, Grundrechte, Staats- und Verwaltungsrecht. Sein erstes Examen (Note: "gut") absolviert er im April 2009 und geht im Oktober gleich in die Politik. "Am Anfang des Studiums hätte ich nicht gedacht, dass ich fünf Jahre später als MdB i Bundestag sitzen würde. Ich hätte sonst etwas juristisches gemacht - eine richterliche Laufbahn oder eine interessante Tätigkeit als Anwalt, aber nicht als Staatsanwalt. Bei Strafrecht habe ich immer das Gefühl, das es wenig Neues gibt. Es geht immer darum, dass man jemanden verknacken will. Das ist nicht so mein Ding!"

Aber all die großen und kleinen Polit-Dramen sind Movassats Ding. Die Milliardenverschuldung, die Angst vor einer neuen Weltwirtschaftskrise, die sukzessive Rücknahme des Steuerentlastungsversprechens, der überraschende Rücktritt des Bundespräsidenten und - als persönliches Highlight – Movassats erste Rede vor dem Deutschen Bundestag. Die sogenannte Jungfernrede stemmte der Jungpolitiker in Hemd und Anzug, ohne seinen Markenzeichen-Hoody, aber mit erstaunlicher Souveränität, klarer Aussage und ohne Versprecher.

Nicht nur Movassats Eltern und seine elfjährige Halbschwester sahen dabei zu ("die fanden das super, aber Eltern sind ja nicht so objektiv"), sondern auch Bundesaußenminister Guido Westerwelle in direkter Nähe. "Da schießt einem das Adrenalin durch den Körper", bekennt der 25jährige offen. Inzwischen ist Movassat für die Linke schon mehrfach in die "Bütt" gestiegen, wie das Rednerpult noch aus alten Bonner Zeiten heißt. Eine kleiner, routinierter Vorsprung, aber noch weit entfernt von den großen Vorbildern Gregor Gysi und Oscar Lafontaine. "Gysi hat Witz und Charme", sagt der Neuling, "Lafontaine ist jemand, der sehr stark begeistern kann und einen Marktplatz zum Kochen bringt."  An seinen "Kochkünsten" muss Niema Movassat noch feilen, auch wenn es in Sachen Selbstbewusstsein und Charisma schon in die richtige Richtung geht. Eine weitere Legislaturperiode kann sich der MdB vorstellen. Doch sollte dies nicht im Sinne des Wählers liegen, so sagt er, stünde immerhin noch das 2. Staatsexamen aus. In der Zwischenzeit versucht sich Movassat "juristisch fit zu halten, um nicht völlig rauszukommen und die großen Sachen zu verfolgen". Denn eins ist ihm klar: das 2. Staatsexamen parallel zur politischen Laufbahn zu stemmen, das haut nicht hin. "Das geht erst nach dem Bundestag", sagt der 25jährige - wann immer das auch sein mag.

Zitiervorschlag

Gil Eilin Jung, Niema Movassat: Der Youngster . In: Legal Tribune Online, 20.06.2010 , https://www.lto.de/persistent/a_id/764/ (abgerufen am: 25.04.2024 )

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