"111 Gründe, Anwälte zu hassen": Lecker Schnittchen mit Flughafenbuchhandlungspotenzial

von Markus Hartung

28.11.2014

2/2: Schnittchen vom Niederrhein, wie früher bei Oma

So unterschiedlich Joachim Wagners und Eva Engelkens Bücher sind, so haben sie viel gemeinsam, quasi einen identischen Kern. Wagner kommt uns mit dem erhobenen Zeigefinger, Engelken eher mit dem ausgestreckten Mittelfinger, schon auf dem flughafenbuchhandlungsgeeigneten Cover.

Wo Wagner seitenlange, ach, ellenlange Ausführungen mit Beweisführungen über anwaltliche Verirrungen schreibt, begnügt sich Engelken mit kurzen und knappen Pretiosen, aber zum selben Thema. Wagners Buch liest sich wie eine nicht endende SPIEGEL-Titelgeschichte, Engelken hat sich für Schnittchen entschieden, ganz Niederrhein, wie früher bei Oma. Man kann das Buch an jeder Stelle aufschlagen und findet etwas, ohne sich über vorher und nachher Gedanken machen zu müssen. Locker geschrieben, teilweise sehr lustig.

Das Lesevergnügen soll "unter die Robe" gehen, so die Rückseite des flughafenbuchhandlungsgeeigneten Covers. Das trifft die Sache gut, man liest es und amüsiert sich meistens gut, manche Sachen hat man schon zu oft gehört, aber irgendwie müssen es ja 111 Gründe werden. Trotz der leichten Kost kommt das Buch ganz schön schwergewichtig daher, 314 Seiten mit 406 Fußnoten, man kommt sich vor wie im juristischen Kommentar. Geht’s noch? Aber klar, Joachim Wagner bietet 873 Fußnoten. Format und Umfang sind jedenfalls schon mal so, wie Juristen es von richtigen Büchern erwarten.

Auch bedrückender Inhalt im leichten Stil

Nicht alles geht unter die Robe – manches geht unter die Haut: Was Engelken im 6. Artikel über Anwälte und ihre Vergangenheit schreibt, kann man nicht einfach überlesen. Es ist nicht neu, aber fast die Kurzfassung von Ingo Müllers Buch über die "Furchtbaren Juristen", auch so ein Buch über uns.
Nebenbei befasst sie sich im 7. Artikel mit den Juristen, aus deren Büchern wir heute Jura lernen, etwa Otto Palandt, Theodor Maunz, Eduard Dreher oder Karl Larenz, und wirft die schwierige Frage auf, wie mit den Werken sowohl großer als auch brauner Rechtsgelehrter umzugehen ist. Eine Antwort hat sie darauf nicht, aber die kann man auf kleinstem Raum auch nicht geben.

Aber sie erinnert an das Thema, immerhin, und sie gibt uns zu denken. Alles in dem locker-flockigen Stil, in dem das Buch geschrieben ist, einen erhobenen Zeigefinger findet man nirgends, und an diesen Stellen entfalten bedrückender Inhalt und leichter Stil eine sehr eigene Wirkung.

Das Buch befasst sich unter anderem auch mit dem Wert juristischer Arbeit. Es stellt die Frage, warum die kurze Vorlesetätigkeit eines Notars beim Grundstücksverkauf so ungleich viel besser bezahlt werde als etwa die Arbeit einer Hebamme. Das könnte man sich wirklich fragen, und es gibt kaum eine befriedigende Antwort darauf. Diese Differenz kann man Anwälten (oder Notaren) nicht direkt vorwerfen. Engelken tut es aber, weil sie diese Diskrepanz auf die bessere Lobbytätigkeit von Anwälten zurückführt, denn wir Anwälte wenden Gesetze nicht nur an, wir machen sie auch beziehungsweise beteiligen uns daran, und das ist der 96. Grund, uns zu hassen.

Brauchen wir solche Bücher?

Braucht es ein solches Buch? Brauchen wir Bücher von Wagner, von Engelken, solche wie die von Ingo Müller? Ja, offensichtlich ja. Blüms Buch vielleicht nicht, aber dazu hat Thomas Fischer in der ZEIT schon alles gesagt.

Wir Anwälte haben eine wichtige gesellschaftliche Funktion, wir sind, ohne Übertreibung, unverzichtbar, aber offenbar gehen nicht alle von uns mit der damit verbundenen Verantwortung sorgfältig genug um. Viele? Alle? Schwarze Schafe oder systemisches Problem?

Die Debatte beherrscht uns, seit diese Bücher auf dem Markt sind. Und auch wenn belastbare empirische Daten fehlen, gibt es zu viele anekdotische Hinweise, als dass wir beruhigt auf die schwarzen Schafe verweisen könnten, die es überall gibt (selbst bei Hebammen). Wir brauchen Provokationen wie die von Engelken, damit wir in der Diskussion über unsere heutige und künftige Rolle in der Gesellschaft weiterkommen. Das tun wir nicht, wenn wir lautstark nach empirischen Beweisen rufen, denn juristische Beweisführung hatte mit Empirie noch nie viel zu tun.

Übrigens gibt es einen 112. Grund, uns zu hassen: Wir finden nicht nur das letzte Haar in der Suppe (20. Grund) und sind Kontrollfreaks (22. Grund), sondern wir entdecken auch sofort jeden noch so kleinen Fehler in der Position unserer Gegner und Kritiker und neigen dazu, ihn über zu bewerten. Eigene argumentative Schwachstellen vernebeln wir, oder "verschwurbeln" dagegen gern, das ist der 18. Grund, uns zu hassen. So sind wir eben programmiert. Wenn wir etwa im 44. Grund die Buchstaben "BRAO" als "Berufsordnung für Rechtsanwälte" übersetzt finden, dann schauen wir Anwälte uns gern kurz an, zucken wortlos mit den Schultern und gehen dann unserer Wege.

Der Autor Markus Hartung ist Rechtsanwalt, Direktor des Bucerius Center on the Legal Profession an der Bucerius Law School und Vorsitzender des Berufsrechtsausschusses des Deutschen Anwaltvereins, Berlin/Hamburg.

Das Buch "111 GRÜNDE, ANWÄLTE ZU HASSEN - Und die besten Tipps, wie man mit ihnen trotzdem zu seinem Recht kommt" von Eva Engelken mit Illustrationen von Jana Moskito ist im Schwarzkopf & Schwarzkopf Verlag, Berlin 2014 erschienen. ISBN 978-3-86265-403-1, 9,95 EUR (D), 352 Seiten (Taschenbuch)

Zitiervorschlag

Markus Hartung, "111 Gründe, Anwälte zu hassen": Lecker Schnittchen mit Flughafenbuchhandlungspotenzial . In: Legal Tribune Online, 28.11.2014 , https://www.lto.de/persistent/a_id/13956/ (abgerufen am: 20.04.2024 )

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