Rassismus: Der Fall Leo Frank

von Martin Rath

19.03.2017

2/2: Verschwörungstheorien über jüdischen Einfluss in den Südstaaten

Die politische Karriere von Watson, die ihn von einer Bauern- über die Populist Party zur Demokratischen Partei führte, darf als Beispiel für die August Bebel zugeschriebene Erkenntnis gelten, wonach Antisemitismus der "Sozialismus der dummen Kerls" ist: Aus dem US-Abgeordnetenhaus ausgeschieden, konnte Watson die Auflage seiner Blätter während der Frank-Affäre auf das Dreifache steigern und als US-Senator und reicher Mann reüssieren.

Den aufgrund fallender Preise und eines deregulierten (Zentral-) Banksystems in die Krise geratenen Landwirten lieferte Watson statt sozialer Marktwirtschaft Verschwörungstheorien – die Idee, die Rothschilds hätten sich gegen den weißen Mann der Südstaaten verschworen, fand nun weite Popularität, ebenso die Überzeugung, dass das "jüdische" Hollywood mit unsittlichen Filmen die ehrbaren Frauen des Südens verwirre.

Ku Klux Klan – die Herrenmenschenrechtsbewegung

An diesem Irrglauben änderte augenscheinlich auch der Straßenfeger des Kinojahres 1915/16, "The Birth of a Nation", nichts, obwohl dieser den Ku Klux Klan der unmittelbaren Nachbürgerkriegszeit derart erfolgreich verherrlichte, dass der Klan neu gegründet und mit schätzungsweise drei bis sechs Millionen Mitgliedern zur erfolgreichsten rassistischen Bewegung der USA der 1910er bis 1920er Jahre wurde.

Gar nicht zynisch oder auch nur sarkastisch ist es übrigens, den Ku Klux Klan nach dem Verständnis seiner Zeit als eine Art Bürgerrechtsbewegung zu bezeichnen.

Jene Männer, die am 17. August 1915 Leo Frank aus der Haft entführten und ihn in der Nähe des Ortes erhängten, an dem sein mutmaßliches Opfer gelebt hatte, fühlten sich wie die Klan-Leute als Verteidiger einer arkanen Rechtsordnung, die vom staatlichen Recht nicht mehr geschützt werde – einer Ordnung, in der sich der Mann des Südens durch die ökonomischen Umwälzungen und jedenfalls formal erklärten Rechte des 'Negers' und der Frau bedroht sah, namentlich durch Juden, Yankees und Katholiken.

Strömungen, die auch Rechtsverständnisse prägen

Mit seiner "Genealogie" der weltanschaulichen und sozialen Voraussetzungen der Sache Leo Frank und der erschütternden medialen Auseinandersetzung in ihrem Gefolge liefert der Historiker Kerl ein auch für Juristen interessantes Stück Justiz- und Mediengeschichte.

Gerichtsprozesse dienten hier immer wieder als Katalysatoren: Durch die Frank-Affäre und "Birth of a Nation" zu medialen Höhenflügen getrieben, brachen die Mitgliedszahlen des Ku Klux Klans 1925 nachhaltig ein, als einer seiner Anführer wegen Vergewaltigung und Ermordung der Lehrerin Madge Oberholtzer verurteilt wurde.

Hierzulande wird Genderforschung, oft nicht unzutreffend, als bloße Neuausgabe des Gleichstellungsstellenfeminismus der 1980er Jahre verstanden. Ganz frei davon macht sich Kerl u.a. mit der sehr störenden und ungeschliffenen Unterstrich-Genderei ("Zeitgenoss_innen") leider nicht.

Dennoch enthält seine Arbeit sehr lesenswerte Betrachtungen zur Wirkmacht ge-schlechtlicher Rollenbilder. Die detaillierte Darstellung der Veränderungen im kol-lektiven Selbstverständnis von Millionen Männern infolge einer empfundenen Bedro-hung ihres Status, darf als Einladung verstanden werden, auch aktuelle soziale Macht-strukturen und Rollenbilder zu hinterfragen.

Literatur: Kristoff Kerl: Männlichkeit und moderner Antisemitismus. Eine Genealogie des Leo Frank-Case, 1860er–1920er Jahre, Köln u.a. (Böhlau), 374 Seiten, 60 Euro.

Autor: Martin Rath arbeitet als freier Lektor und Journalist in Ohligs. Der Rezension liegt ein Bibliotheksexemplar zugrunde.

Zitiervorschlag

Martin Rath, Rassismus: Der Fall Leo Frank . In: Legal Tribune Online, 19.03.2017 , https://www.lto.de/persistent/a_id/22415/ (abgerufen am: 26.04.2024 )

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