Homosexuelle Anwälte mussten sich früher oft verstecken, ihre sexuelle Orientierung sollte im Kanzleialltag „Privatsache“ bleiben. Heute leben sie offener, vernetzen sich in LGBT+-Gruppen und kämpfen um Gleichstellung.
Am Donnerstag, den 29. Juni, setzen sich der Anwalt Dr. Malte Stübinger und sein Lebenspartner nach der Arbeit spontan in den Zug und fahren von Hamburg nach Berlin. Das Paar ist am nächsten Morgen pünktlich am Bundeskanzleramt, als der Bundestag die 'Ehe für Alle' billigt. Strahlend vor Glück lachen Stübinger und sein Partner in die Kameras. Sogar bis in die Online-Ausgaben der New York Times und des Guardian schafft es ihr Foto von diesem besonderen Moment. Der jahrzehntelange Kampf um die völlige Gleichstellung Homosexueller hat ein Ende.
Rund einen Monat zuvor ging in München das Kanzleien-Netzwerk "LGBT+ LegalNetworkGermany" an den Start. LGBT+ kommt aus dem Englischen und bedeutet Lesbian Gay Bisexual Transgender (lesbisch, schwul, bisexuell, transgender), das + steht für weitere Formen der sexuellen Orientierung und Geschlechtsidentität, wie etwa intersexuell oder queer.
Das neue Netzwerk gründet auf dem Engagement von sechs Kanzleien: Neben Latham & Watkins sind dies GSK Stockmann, Freshfields Bruckhaus Deringer, Allen & Overy, Hogan Lovells, Jones Day sowie Simmons & Simmons. Die Initiatoren sind häufig bereits in kanzleiinternen LGBT-Netzwerken aktiv und kennen sich über die Messe Sticks & Stones für LGBT+-freundliche Arbeitgeber oder die Juristenmesse Alice.
Mit vereinten Kräften für Gleichstellung
"Mit dem neuen LGBT+-Netzwerk gibt es nun eine physische Plattform, die offen für alle Interessierten ist", sagt David Scholz, Senior Business Development Manager bei Freshfields. "Insbesondere möchten wir eine Möglichkeit zum Networking und Austausch für Kollegen aus kleineren Kanzleien bieten."
"Das Netzwerk ist eine gute Möglichkeit, um einen größeren Zirkel von Menschen zusammenzubekommen und mit noch mehr Gewicht aufzutreten, als uns dies mit den eigenen, kanzleiinternen Netzwerken möglich ist", findet auch Malte Stübinger, der als Associate bei Latham & Watkins arbeitet. Dort sind die Mitglieder der LGBT-Gruppe an einer Hand abzuzählen.
"Wir wollen nach außen zeigen, dass wir gemeinsam für Gleichstellung kämpfen." Das Netzwerk will also kein elitärer Zirkel weniger Großkanzleien sein, sondern sich gemeinsam mit kleinen Einheiten engagieren. Denn letztlich profitieren alle davon, sich auszutauschen und gemeinsam für eine Sache einzustehen, glauben die Initiatoren.
Vorbilder sind wichtig
"Als Anwälte sind wir auch Vertreter des Rechts und nicht nur Geschäftsleute. Daher finde ich es wichtig, dass wir in dieser Sache Position beziehen", ist Dr. Mark Butt überzeugt. Der Verwaltungsrechtler ist einer der Initiatoren des neuen Netzwerks und Partner im Münchner Büro von GSK Stockmann. Er selbst sieht sich in einer Vorbildfunktion: "Auf einem Panel der Messe Alice habe ich darüber gesprochen, wie man mit Outing im Geschäftsleben umgehen kann. Im Publikum saßen junge Leute, die mich mit großen Augen angeschaut haben. Da ist mir wieder klargeworden, wie wichtig es für sie ist, Vorbilder zu haben."
Fehlende Rollenvorbilder waren auch für Scholz von Freshfields der Grund, warum sich sein Outing als Transperson sehr lange hinzog. "Erst nach einer Fernsehdokumentation über einen transidenten Juristen habe ich gesehen, dass dies auch in einem konservativen Umfeld wie der Anwaltsbranche möglich sein könnte", erinnert er sich.
Die Reaktionen auf seinen Namenswechsel waren ausnahmslos positiv und bestärkend. Er hatte ohnehin keine Wahl: "Im Gegensatz zu Homosexuellen kann ich mich nicht verstecken, denn es geht dabei um meine Identität." Das Coming Out geheim zu halten war für Scholz keine Option, da er sich einer Geschlechtsangleichung unterzog und seit rund zwei Jahren als Mann lebt.
Désirée Balthasar, LGBT-Engagement in Kanzleien: . In: Legal Tribune Online, 24.07.2017 , https://www.lto.de/persistent/a_id/23573 (abgerufen am: 31.10.2024 )
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