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50042

Vorlage des LG Berlin: Encro­chat wird Fall für den EuGH

01.11.2022

Stolz präsentiert im März 2022 u.a. Bayerns Innenminister Herrmann infolge von Verwertung von Encrochat-Daten beschlagnahmte Autos. Foto: picture alliance / ZUMAPRESS.com | Sachelle Babba

Der BGH hat grünes Licht für die Verwertung von Encrochat-Daten gegeben. Doch die 25. große Strafkammer des LG Berlin möchte dem BGH nicht folgen. Sie hält die staatlichen Hacks für rechtswidrig und legt dem EuGH Fragen vor. 

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Die Verschlüsselungssoftware Encrochat wurde von der organisierten Kriminalität zur Abwicklung illegaler Geschäfte genutzt. Der Dienst galt wegen seiner aufwendigen Verschlüsselung als nicht zu knacken, Kriminelle kommunizierten deshalb unbefangen über den Nachrichtendienst. Der Polizei in den Niederlanden und Frankreich gelang es Millionen geheime Daten abzuschöpfen und zu entschlüsseln. Dies führte zu zahlreichen Verhaftungen und Strafverfahren in ganz Europa. Die Verwertung dieser Chats für die Strafverfolgung ist rechtlich weiter umstritten.

Die 25. große Strafkammer des LG Berlin hatte im Juli 2021 entschieden, dass die Überwachung ein nicht gerechtfertigter Eingriff in das Telekommunikationsgrundrecht aus Art. 10 Grundgesetz (GG) und in das sogenannte IT-Grundrecht aus Art. 2 Abs. 1 iVm Art. 1 Abs. 1 GG darstelle (Beschl. v. 01.07.2021, 525 KLs 10/21). Doch die Entscheidung währte nicht lang. Das Kammergericht hob diese auf (Beschl. v. 30.08.2021, Az. 2Ws 79/21, 2 Ws 93/21). Der Bundesgerichtshof (BGH) gab in der Folge in einem Revisionsverfahren ebenfalls grünes Licht für die Verwertbarkeit der gehackten Daten, wenn es um die Aufklärung schwerer Straftaten geht (Beschluss vom 02.03.2022 - 5 StR 457/21).

LG Berlin zeigt sich beharrlich

Die 25. große Strafkammer ist von dieser Rechtsprechung weiter nicht überzeugt. Eben diese Kammer hat nun die Hauptverhandlung in einem Encrochat-Verfahren ausgesetzt und dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) Fragen zur Zulässigkeit der Datenerhebung und Verwertung von Encrochat-Daten zur Vorabentscheidung vorgelegt. Der zugrundeliegende Fall betrifft einen Angeklagten, dem u.a. das Handeltreiben mit Betäubungsmitteln zur Last gelegt wird, was durch Encrochat-Daten belegt sein soll. Der Vorlagebeschluss vom 19.10.2022 liegt LTO vor (525 KLs, 8/22). Zuerst hatte heise online berichtet.

Zusammenfassend ersucht das LG den EuGH zu klären, ob die deutschen Ermittlungsbehörden beim Erlangen von Encrochat-Daten gegen EU-Recht verstoßen haben und wie sich ein etwaiger Rechtsbruch auf die Verwertbarkeit der erhaltenen Informationen im Strafverfahren auswirkt. Konkret geht es um 14 Fragen zur Auslegung der Richtlinie über die Europäische Ermittlungsanordnung in Strafsachen. Derartige Ermittlungsanordnungen (EEA) bilden die Grundlage dafür, dass deutsche Ermittler Daten aus dem europäischen Ausland erhalten können. 

14 kritische Fragen an den EuGH

Das LG Berlin stellt etwa die folgenden Fragen: Hätte nicht ein deutsches Gericht die EEA deutscher Staatsbürger anordnen müssen? Wie wirkt es sich rechtlich aus, wenn sich die EEA auf sämtliche auf dem Hoheitsgebiet befindlichen Anschlüsse eines Dienstes erstrecken, obwohl keine konkreten Anhaltspunkte für das Begehen schwerer Straftaten durch einen individuellen Nutzer bestehen? Dürfen Daten von Frankreich nach Deutschland übermittelt werden, auch wenn die Datenerhebung in Deutschland unzulässig wäre? Ergibt sich durch eine unionsrechtswidrige Ermittlungsanordnung ein Beweisverwertungsverbot? 
In der Begründung für die Vorlage, lässt die 25. große Strafkammer keine Zweifel daran, dass sie die Überwachung und Beweisverwertung für rechtswidrig hält. Sie hält auch an der Ansicht aus ihrer Entscheidung aus dem Jahre 2021 fest, wonach der direkte staatliche Zugriff im Gegensatz zur Vorratsdatenspeicherung "den mit der Speicherung verbundenen Grundrechtseingriff und damit auch das Bedürfnis, den Zugang der deutschen Behörden an strenge Voraussetzungen zu binden und die Entscheidung darüber einem Richter zuzuweisen (…) "noch verstärkt".

LG Berlin: Kein Generalsverdacht bei Verwendung von Verschlüsselungssoftware 

Die EEA sei zudem nur verhältnismäßig, "wenn gegen jede betroffene Person ein auf konkrete Tatsachen gestützter Verdacht der Beteiligung an einer schweren Straftat besteht." Dies sei bei den abgeschöpften Encrochat-Daten nicht der Fall. Ausdrücklich widerspricht die Kammer der Rechtsauffassung des BGH, wonach eine "nicht spezifizierte Verdachtslage" für die Überwachungsmaßnahme ausreichend sei. "Dem möchte die Kammer nicht folgen".
Soweit es Anhaltspunkte dafür gegeben habe, dass die Encrochat-Betreiber ihr System gezielt auf die Bedürfnisse von Kriminellen ausrichteten, erlaubte dies nur den ohnehin naheliegenden Schluss auf kriminelle Aktivitäten einiger, aber keinesfalls aller oder auch nur fast aller Nutzer. Hinweise darauf, dass es sich bei allen Encrochat-Nutzern um eine untereinander in Verbindung stehende kriminelle Gruppierung handelte, gäbe es nicht; angesichts der hohen Zahl an Nutzern (allein in Deutschland über 4.000, weltweit ca. 60.000) und deren Verteilung auf eine Vielzahl von Ländern läge dies auch fern. Weitere Bedenken gegen die Verhältnismäßigkeit die Überwachungsanordnung durch eine EEA ergäben sich mit Blick auf das Recht auf ein faires Verfahren.

Was folgt aus EuGH-Rechtsprechung zur Vorratsdatenspeicherung? 

Dabei appelliert das LG an den EuGH seine Rechtsprechung zur Vorratsdatenspeicherung konsequent auch auf Encrochat-Verfahren anzuwenden. Der Gerichtshof habe mehrfach entschieden, dass das Ziel, schwere Straftaten zu bekämpfen, eine allgemeine unterschiedslose Vorratsdatenspeicherung nicht rechtfertigen könne. Zu dieser Wertung könnte es im Widerspruch stehen, wenn ein Rechtsverstoß, der unmittelbar an den fehlenden Tatverdacht anknüpft, unter Verweis auf nachträgliche Erkenntnisse aus den rechtswidrig erlangten Daten ohne Sanktion bleibt. 

Zuletzt bittet das LG den EuGH um eine vorrangige Behandlung der Sache, da die Entscheidung für eine große Vielzahl noch offener gleichgelagerter Verfahren von Bedeutung sei. In Deutschland gab es bislang 3.200 Ermittlungsverfahren mit Encrochat-Bezug, wie - nach einem Bericht von heise online - jüngst ein BKA-Sprecher der Neuen Westfälischen Zeitung mitteilte. Zudem seien 1.400 Haftbefehle vollstreckt worden. 

fz/LTO-Redaktion

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Vorlage des LG Berlin: Encrochat wird Fall für den EuGH . In: Legal Tribune Online, 01.11.2022 , https://www.lto.de/persistent/a_id/50042/ (abgerufen am: 30.03.2023 )

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