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BVerfG-Rüffel im Streit um BZR-Eintrag: Kam­mer­ge­richt muss neu ent­scheiden

17.02.2017

Führungszeugnis

© Björn Wylezich - Fotolia.com

Seit Jahren kämpft ein BVB-Fan um die Löschung eines spanischen Urteils aus seinem BZR-Auszug. Er macht schwere rechtsstaatliche Verfahrensmängel geltend, denen das KG nicht ausreichend nachging, so das BVerfG. Nun muss es neu entscheiden.

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Nicht immer dürfen deutsche Gerichte Urteile aus anderen EU-Ländern ungeprüft als vereinbar mit rechtsstaatlichen Grundsätzen ansehen. Das geht aus einem jetzt veröffentlichten Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) hervor (Beschl. v. 23.01.2017, Az. 2 BvR 2584/12).

Ein Anhänger von Borussia Dortmund war im Dezember 2010, einen Tag nach einem Fußballspiels des BVB im spanischen Sevilla, von einem örtlichen Gericht wegen Beamtennötigung in Tateinheit mit tätlichem Angriff auf einen Polizeibeamten im Schnellverfahren zu einer Freiheits- und Geldstrafe verurteilt worden. Diese Verurteilung wurde sodann ins Bundeszentralregister (BZR) eingetragen. Der Verurteilte bemerkte dies, nachdem er ein Führungszeugnis beantragt hatte.

Vorwurf: Von Dolmetschern zu Geständnis gedrängt

Daraufhin verlangte der Mann die Streichung und begründete dies mit schweren rechtsstaatlichen Mängeln des Verfahrens. Er monierte unter anderem, von der spanischen Polizei körperlich und seelisch äußerst grob behandelt worden und auch nicht belehrt worden zu sein. Zudem hätten die zugezogenen Dolmetscher nur gebrochen Deutsch gesprochen und zum Teil Druck auf ihn ausgeübt und ihn zu einem Geständnis gedrängt.

Insbesondere sei ihm erklärt worden, dass eine Verurteilung keine Konsequenzen in Deutschland nach sich ziehen werde. Dazu sei ihm ein Telefonat und die Konsultation eines Wahlverteidigers verweigert worden. Der ihm zugewiesene Pflichtverteidiger habe kein Deutsch gesprochen. Sowohl zu dessen Bevollmächtigung als auch zur Ablegung eines Geständnisses habe er ein Schriftstück in spanischer Sprache unterzeichnen müssen, dessen Inhalt er nicht verstanden habe. Zu den  Vorwürfen selbst habe er aber keine Stellung beziehen dürfen. Das Urteil enthalte außerdem fälschliche Angaben. Weder habe eine Gerichtsverhandlung stattgefunden, noch habe er weder einen Richter noch einen Staatsanwalt je zu Gesicht bekommen.

Das Bundesamt für Justiz – zuständig für das Bundeszentralregister – lehnte die Streichung der Verurteilung jedoch ab. Es sah sich nicht befugt, das spanische Verfahren zu überprüfen. Ähnlich sah es das Bundesjustizministerium, welches über die Beschwerde des Mannes zu entscheiden hatte. Schließlich sollte das nach §§ 23 ff. Einführungsgesetz zum Gerichtsverfassungsgesetz (EGGVG) zuständige Kammergericht (KG) in Berlin entscheiden.

BVerfG: Keine Scheu vor aufwendiger Beweisaufnahme

Die Berliner Richter argumentierten in ihrem Beschluss, dass bei Strafgerichten in der Europäischen Union allgemein davon ausgegangen werden könne, dass das jeweilige Verfahrensrecht rechtsstaatlichen Anforderungen genüge. Die geltend gemachten Vorwürfe genügten dem Gericht nicht. Sie seien entweder nicht konkret genug oder widersprüchlich geltend gemacht oder bezögen sich nur auf das Ermittlungsverfahren. Deswegen verwarfen die Richter den Antrag des Fußballfans ohne die geltend gemachten Verfahrensfehler näher zu prüfen.

Der zog schließlich nach Karlsruhe und erreichte nun die Aufhebung des Beschlusses des KG. Der Mann sei in seinen Grundrechten aus Artikel 19 Abs. 4 und Artikel 3 Abs.1 Grundgesetz (GG) verletzt, so der Tenor des Beschlusses der Verfassungsrichter.

Nach Ansicht des BVerfG ist es einem Fachgericht nicht gestattet, auf eine Beweisaufnahme zu verzichten, nur weil diese besonders arbeits- oder zeitaufwendig erscheine. Wenn der Vortrag eines Antragstellers konkret Anlass zur Prüfung gebe, müsse das angerufene Fachgericht die Entscheidung über eine Eintragung ins Bundeszentralregister auf ihre Vereinbarkeit mit grundrechtlichen Mindeststandards hin überprüfen und dürfe sich nicht damit begnügen, die Feststellungen des ausländischen Urteils ohne weiteres zu übernehmen.

KG hätte den Vorwürfen nachgehen müssen

Das KG habe ausgehend von diesen Maßstäben gegen das Gebot der Sachverhaltsermittlung verstoßen, indem es keine Beweise erhoben habe, obwohl der Mann dies beantragt hatte, heißt es in dem Beschluss aus Karlsruhe. Seine Schilderungen seien entgegen der Auffassung der Berliner Richter auch nicht widersprüchlich, sondern konkret und detailreich gewesen. Seine angebotenen Beweismittel seien überdies geeignet und erreichbar gewesen.

Zwar durfte das Gericht grundsätzlich von der Richtigkeit des spanischen Urteils ausgehen. Dieser Grundsatz gelte aber nur, soweit diese Vermutungswirkung nicht durch den Vortrag eines Antragstellers und dessen Beweisangebote erschüttert werde. Der pauschale Hinweis auf die Vermutung der Richtigkeit reiche in diesem Fall nicht mehr, so das BVerfG.

Da die Karlsruher Richter auch die Würdigung des Vortrags des Mannes durch das KG nicht nachvollziehen konnten, sahen sie hierin zudem einen Verstoß gegen das Willkürverbot, welches sich aus Art. 3 Abs. 1 GG ergibt.

Das KG Berlin muss nun erneut über den Antrag entscheiden.

una/LTO-Redaktion

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BVerfG-Rüffel im Streit um BZR-Eintrag: Kammergericht muss neu entscheiden . In: Legal Tribune Online, 17.02.2017 , https://www.lto.de/persistent/a_id/22135/ (abgerufen am: 19.08.2022 )

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