Juristen sind auf der Flucht, Anwälte verhaftet, Richter und Staatsanwälte zu Tausenden entlassen. Unter den am Freitag geschlossenen 350 Vereinen sind drei Anwaltvereine. Die einst kämpferischen Juristen in der Türkei sind verzweifelt.
Selbst langjährig anwaltlich tätige Haudegen, die bis vor kurzem trotz allem noch kämpferisch und fröhlich aufgetreten seien, seien verzweifelt. "Es ist ganz dramatisch", sagen deutsche Anwälte, die sehr vertraut sind mit den Vorgängen in der Türkei. Unter dem eigenen Namen äußern möchten sie sich nicht mehr.
Die Situation am Bosporus spitzt sich auch für Juristen immer mehr zu. Am vergangenen Freitag wurden 350 Vereine geschlossen, darunter drei anwaltliche Vereinigungen. Es sind der CHD, übersetzt etwa der Anwaltverein für den Fortschritt, der vornehmlich kurdisch geprägte ÖTD, der Anwaltverein für den Frieden und der MHD, der Anwaltverein für Mesopotamien. Die Vereine haben in der Vergangenheit eng zusammengearbeitet. Sie vertreten rund 15 Prozent der türkischen Anwälte aus dem linken Spektrum, sie sind regierungskritisch und ihre Mitglieder bekannt dafür, dass sie sich sehr engagiert für ihre Mandanten einsetzen.
Gefahr von Folter und Vergewaltigung
Noch am Montagmorgen ist ein Mitglied des ÖHD, Levent Piskin, verhaftet worden. Der Vorwurf: Er habe Informationen über seinen Mandanten in dessen Auftrag an den Spiegel weitergegeben und damit Propaganda für die PKK betrieben – das ist in diesen Tagen strafbar als Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung.
Der Aufenthalt in türkischen Polizeistationen und Gefängnissen ist gefährlich. Schon nach dem Putschversuch im Juli berichtete Amnesty International über Folter in der Türkei. Dieser Tage sprechen die türkischen Juristen selbst darüber. Wer, wie der verhaftete Piskin, zudem in der Schwulen- und Lesbenbewegung aktiv ist, müsse Folter und Vergewaltigungen befürchten, berichten gut unterrichtete Kreise gegenüber LTO.
Schon mit der Verhängung des Ausnahmezustands sei das Recht auf Verteidigung erheblich beschränkt worden. Inhaftierte hätten fünf Tage lang kein Recht auf Anwaltsbesuch. Das Verfassungsgericht habe sich für Beschwerden hiergegen für unzuständig erklärt. Wenn der Anwaltsbesuch dann doch stattfinden könne, sei er auf eine Stunde in der Woche beschränkt und finde zwingend in Anwesenheit eines Justizbeamten statt. Ein Anwaltsgeheimnis gebe es nicht mehr, die Gespräche werden audiovisuell aufgezeichnet.
Tanja Podolski, Juristen in der Türkei: . In: Legal Tribune Online, 16.11.2016 , https://www.lto.de/persistent/a_id/21169 (abgerufen am: 04.12.2024 )
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