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"Today is your last working day at the company": Mas­se­n­ent­las­sungen bei Twitter recht­mäßig?

Interview von Dr. Felix W. Zimmermann

07.11.2022

Twitter Headquarter in San Francisco, Kalifornien, USA am 28.10.2022

Bei den Twitter-Mitarbeitenden herrscht große Unsicherheit - muss ich gehen oder kann ich bleiben? Foto: picture alliance / AA | Tayfun Coskun

Elon Musk will bei Twitter angeblich die Hälfe der Mitarbeiter entlassen. Vielen ist schon gekündigt worden. Geht das rechtlich so einfach in den USA und was gilt für deutsche Mitarbeiter? Arbeitsrechtler Michael Fuhlrott im Interview.

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Nachdem Elon Musk Twitter übernommen hat, mussten einige hochrangige Mitarbeiter sofort gehen. Doch Musk will angeblich sogar rund 50 Prozent der etwa 7.500 Angestellten Online-Plattform entlassen. Die ersten Mitarbeiter erhielten am Freitag E-Mails mit der Nachricht mit der Überschrift "Your Role at Twitter" und der Aussage, dass heute ihr letzter Arbeitstag sei ("Today is your last working day at the company").

LTO: Herr Professor Fuhlrott. Entlassungen von heute auf morgen. Gibt es im US-amerikanischen Recht gar keinen Kündigungsschutz oder Kündigungsfristen?

Prof. Dr. Michael FuhlrottProf. Dr. Michael Fuhlrott: Das US-amerikanische Arbeitsrecht unterscheidet sich grundlegend von unserem. Das deutsche Arbeitsrecht zielt auf den Schutz des Arbeitnehmers und stärkt dessen Rolle maßgeblich gegenüber dem Arbeitgeber. Gesetzlicher Kündigungsschutz, Höchstarbeitszeiten sowie das gesamte Arbeitsschutzrecht oder Urlaubsansprüche sind etwa Ausfluss davon. Das US-amerikanische Arbeitsrecht verfolgt ein anderes Konzept - der Schutz des Beschäftigten ist viel weniger ausgeprägt. Eine Kündigung "at will", also allein aufgrund des Wunschs des Arbeitgebers ohne nähere Begründungsnotwendigkeit ist meist ohne weiteres möglich. Kündigungsfristen werden zumeist nur arbeitsvertraglich vereinbart, bisweilen durch Gewerkschaften. Es gibt also keine gesetzlichen Vorgaben, so dass auch Kündigungen "von heute auf Morgen" denkbar sind.

Nur sehr vereinzelt gibt es gesetzlichen Schutz. Das Diskriminierungsrecht, das in den USA stark ausgeprägt ist, ist so ein Beispiel. Bei nachgewiesener Diskriminierung durch die Kündigung können ganz andere Schadensersatzsummen als in Deutschland ausgeurteilt werden. Dies mag Beschäftigte dann in gewissem Umfang vor willkürlichen Kündigungen schützen.

Von heute auf morgen heißt dann auch wirklich, dass Arbeitnehmer direkt nicht mehr bezahlt werden und nicht mal Zeit haben, sich einen neuen Job zu suchen?

Im Grundsatz ja, auch wenn es je nach Bundesstaat Sonderregelungen geben kann. Daher rührt auch der Begriff des "hire and fire" her. Aus einigen Filmen kennt man ja auch die Bilder von Mitarbeitern, die mit ihren gepackten Kisten am Tag der Entlassung ihre Büros räumen. Aus nationaler Brille und vor dem deutschen Arbeitsrechtverständnis ist dies schwer nachvollziehbar und erscheint fast schon willkürlich. Zwar steht das gleiche Recht dem Arbeitnehmer zu, der also auch, wenn er ein besseres Angebot erhält, sehr schnell wechseln kann. Gerade Führungskräfte in Deutschland haben oftmals lange Kündigungsfristen, sechs Monate sind da keine Seltenheit. Das ist dann die andere Seite der Medaille. Für denjenigen, der gerade eine Kündigung erhalten hat und selbst keine Wechselambitionen hatte, wird das aber nur kein Trost sein.

Am Donnerstag haben Twitter-Mitarbeiter eine Klage in San Francisco eingereicht, in der Twitter vorgeworfen wird, mit mangelhafter Kommunikation rund um die Entlassungen gegen kalifornisches Arbeitsrecht verstoßen zu haben. Die Anwälte streben den Status einer Sammelklage an. Was ist der Hintergrund?

Anders als in Deutschland besteht in den USA eine arbeitsrechtliche Gesetzgebungskompetenz auch für die einzelnen Bundesstaaten. Hinzu kommt das case law, das ebenfalls eine große Rolle spielt. Danach gibt es insbesondere in Kalifornien also arbeitsrechtliche Regelungen, die eine entsprechende vorherige Ankündigung von Kündigungen verlangen, die ein bestimmtes Ausmaß erreichen. Offenbar wird die Nichteinhaltung von Fristen durch die dortigen Beschäftigten geltend gemacht. Auch auf Bundesebene gibt es hier einen gewissen, wenngleich nicht sehr stark ausgeprägten Schutz, geregelt im Worker Adjustment and Retraining Notification Act ("WARN Act") bei Massenentlassungen. Eine Verletzung kann Schadensersatzansprüche begründen, muss aber nicht zur Unwirksamkeit der Kündigung führen.

Allerdings sprechen Presseberichte eher dafür, dass Twitter diese Vorgaben beachtet. Hiernach sollen die Kündigungen und die Kommunikation mit den Arbeitnehmern von Bundesstaat zu Bundesstaat variieren. Teilweise sollen die Kündigungen auch mit entsprechenden Fristen ausgesprochen worden sein, die Mitarbeiter also vorerst noch weiter bezahlt werden und zunächst nur freigestellt worden zu sein.

Besondere Vorgaben für eine Vielzahl von Kündigungen kennen wir übrigens auch in Deutschland: Spricht der Arbeitgeber eine Massenentlassung aus und überschreitet die Anzahl der Entlassungen der letzten 30 Tage bestimmte Schwellenwerte, ist die Agentur für Arbeit hierüber zu unterrichten. Unterbleibt dies, sind die Kündigungen unwirksam. Nur das Institut der Sammelklage gibt es im deutschen Arbeitsrecht nicht: Hier muss jeder Arbeitnehmer für sich selbst klagen.

Was gilt arbeitsrechtlich für Twitter-Mitarbeiter in Deutschland?

Auf diese Arbeitsverhältnisse findet zunächst das deutsche Arbeitsrecht Anwendung, auch wenn der Vertrag mit einem US-Unternehmen besteht. Maßgeblich ist, dass die Arbeitsleistung hier vor Ort erbracht wird. Anders als das US-amerikanische Arbeitsrecht sichert das deutsche Arbeitsrecht den Bestand des Arbeitsverhältnisses. Daher benötigt der Arbeitgeber im Anwendungsbereich des Kündigungsschutzgesetzes (KSchG) regelmäßig einen Kündigungsgrund. Konkret: Bin ich länger als ein halbes Jahr tätig (§ 1 Abs. 1 KSchG) und werden im Betrieb mehr als 10 Arbeitnehmer beschäftigt (§ 23 Abs. 1 KSchG), muss ich als Unternehmen einen Grund zur Kündigung haben.

Außerdem sind fristlose Kündigungen nicht so einfach möglich, wie in den USA. Regelmäßig sind hier gesetzliche Kündigungsfristen zu beachten, deren Länge von der Betriebszugehörigkeit sowie den arbeitsvertraglichen Regelungen abhängt und die gesetzlichen Mindestfristen einhalten muss (§ 622 BGB).

Kommen wir zum Grund der Kündigung. Genügt der Wunsch nach Restrukturierung allein für die Annahme einer betriebsbedingten Kündigung? 

Prinzipiell können die Änderungen der betrieblichen Strukturen, Umstrukturierungen, Aufgabenverlagerungen oder Einsparungsmaßnahmen eine solche Kündigung rechtfertigen. Wenn es zutrifft, dass Twitter hoch defizitär arbeitet, ist es nachvollziehbar, dass hier unternehmensseitig versucht wird, gegenzusteuern.

Diese unternehmerische Entscheidung prüfen Gerichte auch nur auf Willkür: Selbst die Entscheidung, in einem gewinnbringenden Betrieb Kündigungen auszusprechen, um den Profit weiter zu steigern, ist arbeitsrechtlich erlaubt. Der in einer sozialen Marktwirtschaft gewünschte Schutz wird anders erreicht: Im Falle einer gerichtlichen Überprüfung muss der Arbeitgeber den Arbeitsplatzwegfall und die entfallenden Aufgaben genau darlegen. Zudem ist eine Sozialauswahl durchzuführen. Und bei Massenentlassungen ist überdies vor Ausspruch der Kündigung zwingend die Agentur für Arbeit zu unterrichten. Unterbleibt dies, ist die Kündigung unwirksam.

Berichten zufolge wurden auch deutsche Twitter-Mitarbeiter am vergangenen Freitag per Email aufgefordert, das Büro diesen Tag nicht zu betreten und weitere Nachricht abzuwarten. Twitter begründet dies sinngemäß mit Angst vor betrieblichen Störungen und Konflikten durch die Ankündigung der Umstrukturierungen. Wie bewerten Sie das im Sinne der deutschen Rechtslage?

Grundsätzlich hat der Arbeitnehmer ein Recht auf Beschäftigung. Nur ausnahmsweise ist bei Vorliegen berechtigter Gründe eine einseitige Freistellung erlaubt. Wenn ich als Arbeitgeber zum Beispiel einen Verdacht habe, dass ein Mitarbeiter sich grob pflichtwidrig verhalten hat, darf ich diesen für die Dauer meiner internen Ermittlungen vorerst freistellen. Arbeitgeber dürfen auch nach Ausspruch einer Kündigung den Arbeitnehmer bis zum Ende der Kündigungsfrist freistellen, müssen ihn oder sie dann aber weiter bezahlen. 

So lagen die Fälle hier jeweils nicht, denn die Kündigungen waren am Freitagmorgen noch gar nicht in der Welt. Nach diversen Medienberichten sollten zudem alle Mitarbeiter am Freitag zunächst freigestellt werden, also auch diejenigen, die man gar nicht kündigen wollte.

Ob allein die pauschal behauptete "Angst vor Ärger", also etwa die Sorge der Sabotage, im Betrieb ohne konkrete Anhaltspunkte zur Freistellung aller ausreicht, wage ich daher zu bezweifeln. Da die Freistellungen aber nur einen Tag andauern sollten, ist wohl aber davon auszugehen, dass die eintägige Freistellung praktisch keiner gerichtlichen Kontrolle durch Arbeitsgerichte unterzogen werden wird. Diejenigen, die dann am Ende des Tages tatsächlich gekündigt worden sind, wird das Unternehmen auch weiterhin und zwar bis zum Ende der jeweiligen Kündigungsfrist freistellen dürfen. Diejenigen, denen nicht gekündigt worden ist bzw. die zeitnah gekündigt werden, sind hingegen auch wieder zu beschäftigen.

In der Vergangenheit hat Elon Musk Twitter regelmäßig genutzt, um Ankündigungen zu machen und Erklärungen abzugeben. Müssen die Beschäftigten damit rechnen, dass ihnen Elon Musk per Twitter nunmehr kündigt?

Diese Frage muss Ihnen Herr Musk beantworten. Arbeitsrechtlich hingegen sind die Beschäftigten in Deutschland auf der sicheren Seite: Eine Kündigung bedarf der Schriftform, die elektronische Form ist nicht möglich, § 623 Bürgerliches Gesetzbuch. Das meint ganz traditionell die Übersendung eines Papierstücks mit einer Originalunterschrift. Kein Scan, keine Email, keine Twitter-Nachricht.

Der Gesprächspartner Prof. Dr. Michael Fuhlrott ist Fachanwalt für Arbeitsrecht und Partner bei FHM Rechtsanwälte sowie Professor für Arbeitsrecht an der Hochschule Fresenius in Hamburg.

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"Today is your last working day at the company": . In: Legal Tribune Online, 07.11.2022 , https://www.lto.de/persistent/a_id/50091 (abgerufen am: 15.11.2025 )

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